Rhein-Neckar, 24. März 2016. (red/nh) Von „Analsex“ über „Gute Beziehung“ bis hin zur „Weiblichen Genitalverstümmelung“ – darüber will das Portal „Zanzu“ aufklären. Was steckt hinter diesem merkwürdigen Namen?
Von Naemi Hencke
Von „Analsex“ über „Gute Beziehung“ bis hin zur „Weiblichen Genitalverstümmelung“ gibt es Informationen auf dem Online-Angebot „Zanzu – Mein Körper in Wort und Bild“. Das Gemeinschaftsprojekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Bundesministerium für Gesundheit und Sensoa (ein flämisches Expertenzentrum für sexuelle Gesundheit), ist zunächst in Belgien gestartet und seit Februar 2016 offiziell auch in Deutschland verfügbar.
Zielgruppe: Unkonkret
Laut des Einstiegsvideos richte sich die Seite an „Migrantinnen und Migranten, die noch nicht lange in Deutschland sind“ sowie an „Berater und Beraterinnen und Ärztinnen und Ärzte“. In der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit heißt es: „Vor allem zu uns geflüchtete Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, erhalten hier einen diskreten und direkten Zugang zu Wissen in diesem Bereich.“
Nach der Auswahl der Sprachen richtet sich das Angebot vor allem an osteuropäische Zuwanderer, Muslime und Russisch-Orthodoxe.
Laut eigenen Angaben würden Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit „einfach verständlich“ zugänglich gemacht. Die Seiten könnten leicht als PDF-Datei für Beratungsgespräche exportiert und ausgedruckt werden.
Es wird vorgelesen – barrierefreie Informationen
Das Online-Angebot ist in mehreren Sprachen zugänglich und größtenteils barrierefrei. Es ist möglich, sich die Texte übersetzen und vorlesen zu lassen: Beispielsweise in Arabisch, Russisch, Rumänisch oder in Deutsch. In den Sprachen Bulgarisch und Albanisch ist die Funktion allerdings nicht verfügbar.
Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit soll die Aufklärungsseite in 13 Sprachen verfügbar sein – wenn man jedoch genauer hinschaut, stehen insgesamt genau 12 Sprachen zur Auswahl – die Informationen in Gebärdensprache sowie in einfacher Sprache sind (noch) nicht abrufbar.
Beziehungen, Gefühle, Sexualitäten – Recht und Gesetz
Insgesamt ist die Seite anhand von sechs Themen (Körper, Familienplanung und Schwangerschaft, Infektionen, Sexualität, Beziehung und Gefühle sowie Rechte und Gesetze) mit jeweils verschieden Unterthemen gegliedert. Jedes Thema ist durch eine eigene Farbe hervorgehoben und soll die Navigation erleichtern.
Es gibt ein Suchfeld, um schneller bestimmte Begriffe beziehungsweise Themen zu finden und ein Wörterbuch. Unter „Hilfe“ findet sich eine angeblich ausführliche Liste an Beratungsstellen.
Die Seite ist optimiert für Desktop-Computer, Tablets und Smartphones – das Angebot ist somit auch mobil verfügbar.
Emotionale Piktogramme – geht das?
Alle aufgegriffenen Themen sind durch Piktogramme bebildert – doch wie stellt man „Sexuelles Vergnügen“ dar? Zanzu wählt zwei Menschen in Missionarsstellung – ein fröhlicher Smiley soll wohl das „Vergnügen“ unterstreichen. Das Negativum – „Unglücklich in der Schwangerschaft“ und „Beziehungsprobleme und -ängste“ wird durch einen traurigen Smiley betont.
Ist das angebracht? Reicht es aus, sehr individuelle und oft auch sehr komplexe Gefühle „einfach“ durch so genannte Emojis auszudrücken? Ist dies überhaupt nötig?
Hemmschwellen überwinden – geht das so?
Die Texte sind meistens grafisch bebildert. Dicke und schlanke Männer und Frauen unterschiedlichster Hautfarben sind zu sehen. Sie haben Sex in unterschiedlichen Posen, sie küssen und liebkosen sich.
Die Gestaltung wirkt eher naiv. Oft etwas angestrengt und distanziert. „Anschaulich“ sollen Hemmschwellen überwunden und die „Kommunikation über sensible Themen erleichtert“ werden. Bilder einer zugenähten Vagina etwa können auf den ersten Blick erschrecken. Die „verschiedenen Formen von Penissen“ könnten trotz der naiven Darstellung peinlich berühren.
Natürlich ist es sinnvoll, Texte zum besseren Verständnis zu bebildern. Doch wie „naiv“ können die gezeigten Situationen dargestellt sein, um einerseits informativ zu sein und dennoch nicht obzön?
Gratwanderung
Insgesamt scheint das Online-Projekt Zanzu eine Gratwanderung zu sein – das zeigt sich auch an den unterschiedlichsten Meinungen darüber, die im Internet kursieren. Sie reichen von „kurz gesagt: Sexuelle Aufklärung für alle“ bis hin zu „Dr. Merkel zeigt Asylanten in zwölf Sprachen Wichsen und Bumsen“.
Die Frage ist jedoch, ist es wirklich sinnvoll gleichzeitig Kinder, Jugendliche, Erwachsene wie auch Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen anzusprechen? Müsste die Aufklärungsarbeit nicht differenzierter und detailierter sein?
Gewaltproblematiken nur am Rande
In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auf, dass vor allem auf eine „positive“ Einstellung der Nutzer gesetzt wird. Gewaltprobleme werden nur am Rande thematisiert.
In „Rechte und Gesetze“ finden sich nur drei Unterthemen: Weibliche Genitalverstümmelung, sexualisierte Gewalt und Gewalt in Ehe und Partnerschaft. In „Beziehungen und Gefühle“ noch die „ehrbezogene Gewalt“.
Die Suche nach Kindesmissbrauch ergibt gar keine Ergebnisse, ebenso wenig die nach Ehrenmord. Dem Thema Zwangsheirat wird kein spezielles Augenmerk gewidmet (Siehe unseren Bericht über „Ehe-Gefängnisse in Deutschland„). Es wird nur darauf hingewiesen dass „eine Heirat nicht möglich [ist], wenn: Sie oder Ihre Partnerin/Ihr Partner zu einer Heirat gezwungen werden. Eine Zwangsheirat ist gesetzlich verboten“. Aha.
Doch gerade auch diesen schwerwiegenden Aspekten sollte eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es reicht nicht, nur darauf hinzuweisen, dass wir in Europa Werte vertreten, wie beispielsweise glücklich miteinander zu sein, dass jeder frei entscheiden kann, wen man sich als Partner auswählt oder in welcher Weise man Sex haben will.
Der Passus, die Nicht-Einhaltung dieser grundsätzlichen Werte und Normen sei gesetzlich verboten ist natürlich richtig – aber eindeutig nicht sichtbar genug.
Ist es aber in der Realität wirklich möglich, mit diesem Aufklärungsangebot sehr konservativ und traditionell geprägte Zuwanderer zu erreichen? Kann man wirklich erwarten, dass sich diese mit den hier dargestellten Problemen auseinandersetzen? Und noch dazu auf diese bemüht pädagogische Art und Weise?
Lückenhaftes Hilfsangebot
Ein weiterer wesentlicher Mangel ist die Tatsache, dass die Suchfunktion nach lokalen Beratungstellen sehr lückenhaft zu sein scheint: Die Suche nach Anlaufstellen zum Thema „Sexueller Missbrauch“ innerhalb eines zehn Kilometer Umkreises ergibt in Heidelberg und Mannheim keinerlei Ergebnisse. Diese Auskunft ist definitv falsch, denn es gibt de facto mehrere Beratungsangebote in diesen Städten. In Heidelberg allein acht Stellen bei akuter Gefahr.
Schnellschuss des Bundes?
Zanzu wirkt wie ein Schnellschuss auf Ereignisse wie sie in Köln und anderen Städten zur Silvesternacht passiert sind und auf die darauf folgende Debatte um sexuelle Gewalt.
In manchen Ländern ist das Thema Sex immer noch ein absolutes Tabuthema. Liebe und emotionale Wünsche werden ebenfalls nicht offen debattiert. Stolz und Ehre haben Priorität vor dem Respekt gegenüber anderen und der Würde des Menschen.
Die Bereitstellung eines pädagogischen Onlineangebots zur Aufklärung über sexuelle und reproduktive Gesundheit des Bundes ist sicherlich ein Anfang – aber bislang nicht mehr als ein naiver Versuch, auf diese Problematik einzugehen und einen Zugang zu Integration, oder besser zum kulturellen Verstehen zu schaffen.
Gut gemeint muss nicht gut gemacht sein. Das Angebot wirkt nicht annähernd ausreichend durchdacht und umgesetzt – es gibt einfach zu viele Informationslücken. Die Zielgruppenansprache ist zu unscharf und es scheint fraglich, ob es wirklich eine gute Idee ist, alle aufgeführten Kulturen in dieser Hinsicht in „einen Topf zu werfen“.
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