Ludwigshafen, 23. November 2018. (red/pol) Spärlich bekleidet und weinend rennt eine junge Frau durch die Straßen von Ludwigshafen. Sie hat eine rote Schwellung am Arm, in ihrem Gesicht schwillt das Auge langsam zu, während von einem Cut an der linken Braue Blut rinnt. Sie ist verzweifelt. Weil sie weiß, dass wenn sie jetzt nach Hause zurückgeht, dort ihr Albtraum wartet. Ihr Mann, der sie mit einem Rucksack voller Metallgegenstände schlägt, der ihr die Haare rasiert, um sie zu demütigen und der nun auch keinen Halt mehr vor ihren Kindern macht. Sie rennt durch die Straßen und findet schließlich Schutz bei einer Unbekannten, die fragt, ob sie helfen kann und die Polizei anruft.
Information des Polizeipräsidiums Rheinpfalz:
„Die Geschichte entspringt nicht der Fantasie eines Drehbuchautors. Sie ist Realität. Täglich werden Frauen Opfer von Gewalt in engen sozialen Beziehungen. 2017 wurden im Bereich des Polizeipräsidiums Rheinpfalz 2.186 Fälle Häuslicher Gewalt verzeichnet. Für 2018 zeichnen sich nach dem ersten Halbjahr ähnliche Tendenzen ab.
Welche verheerenden Auswirkungen Gewalt in engen sozialen Beziehungen hat, weiß Elisabeth Bender. Sie ist Opferschutzbeauftrage im Polizeipräsidium Rheinpfalz und kümmert sich um Betroffene. Im Interview erklärt die 41-Jährige Polizeioberkommissarin aber auch, welche Möglichkeiten die Frauen haben, und dass Gewaltsituationen nicht ausweglos sind.
Was macht eine Opferschutzbeauftragte?
Meistens bekomme ich die Sachverhalte von meinen Kollegen der Polizeidienststellen im Polizeipräsidium Rheinpfalz geschickt. Ich wende mich dann an die Opfer um herauszufinden, wie ich konkret helfen kann und an welche Stelle ich die Frauen am besten vermitteln soll. Außerdem stehen meine Kontaktdaten auch im Internet. Das heißt, dass auch Frauen deren Fall noch nicht bei der Polizei liegt, sich bei mir melden können und Hilfe bekommen. Neben mir gibt es außerdem auf jeder Polizeidienststelle in unserem Präsidium einen Ansprechpartner für Opferschutz. Auch diese Kolleginnen und Kollegen können jederzeit angesprochen werden und bieten Unterstützung.
Wenn ich selbst betroffen bin und merke, ich kann nicht mehr, was wäre der beste Weg?
Es ist ganz wichtig, zunächst einmal darüber zu sprechen und jemand ins Vertrauen zu ziehen. Egal wen. Das kann zum Beispiel die Polizei sein. Aber zum Beispiel auch jemand von der Interventionsstelle. Die Interventionsstelle ist eine Art Brücke ins Hilfesystem. Sie tritt proaktiv an die Frauen heran und signalisiert „Wir sind da!“. Danach schaut sie dann, welche Organisation im Hilfesystem genau die richtige ist, um der Frau weiterzuhelfen. Und wir haben ein sehr großes Hilfesystem. Da sind zum Beispiel auch die Trauma-Ambulanz, die den Frauen psychologisch beisteht oder die psycho-soziale Prozessbegleitung, die während der Gerichtsverfahren unterstützen kann. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Frauenunterstützungseinrichtungen. Nicht zuletzt können außerdem Angehörige und Freunde eine große Hilfe sein.
Wenn ich nun erfahre, dass beispielsweise meine Schwester von ihrem Partner misshandelt wird. Wie sollte ich mich dann verhalten?
Zunächst einmal geht es vor allem darum aufmerksam zu sein und zuzuhören. Wenn es Hinweise darauf gibt, dass ein Angehöriger betroffen ist, sollten diese im Vertrauen angesprochen werden. Im nächsten Schritt können sich dann auch die Familienmitglieder an mich, die Polizei oder an alle Frauenunterstützungseinrichtungen wenden. Hier wird ihnen genau erklärt, welche Möglichkeiten sie haben und wie sie ihre Angehörige am besten unterstützen können.
Welche Möglichkeiten hat denn die Polizei, um mir zu helfen, wenn ich betroffen bin?
Seit 17 Jahren haben wir bei der Polizei einen Paradigmenwechsel. Das heißt unser gesamtes Vorgehen richtet sich mittlerweile nur noch gegen die Täter. Die Frauen können zum Beispiel in ihrem gewohnten Umfeld bleiben und die Männer werden der Wohnung verwiesen und bekommen beispielsweise ein Kontaktaufnahmeverbot durch uns. Der Opferschutz hat bei uns eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Die Frauen werden schon vor Ort von den Kollegen beraten, über ihre Möglichkeiten informiert und werden dann ans Hilfesystem weitergereicht. Außerdem ergänzt seit zwei Jahren unser Hochrisikomanagement diesen Prozess in der Polizei.
Hochrisikomanagement, was ist das?
Wir haben über die Jahre neue Verfahren implementiert, um Opfer von häuslicher Gewalt besser zu schützen. Trotz aller Maßnahmen kam es immer noch zu gravierenden Gewaltexzessen. Folge des Ganzen ist unser Hochrisikomanagement. Das bedeutet, dass mit spezifischen Analyse-Tools jeder Fall geprüft wird, um weitere Maßnahmen gezielt zu ergreifen und die Gefahr somit zu reduzieren. Eine unabhängige wissenschaftliche Studie hat gezeigt, dass dieses Vorgehen sehr wirkungsvoll ist.
Viele Betroffenen zögern, sich Hilfe zu suchen und aus der Gewaltspirale auszubrechen. Was sagen Sie diesen Frauen?
Ich kann jede Frau nur ermutigen, für sich selbst einzustehen. Wem Unrecht geschieht, der muss für sein Recht kämpfen! Der muss sich Hilfe holen. Meine klare Botschaft ist: Schütz dich! Hol dir Hilfe. Ruf uns an! Notruf 110. Wir kommen zu dir. Wir stehen dir bei. Niemand muss Hemmungen haben, sich an die Polizei zu wenden. Wer Unterstützung braucht, darf sie einfordern und wird sie auch immer von uns bekommen.“