Rhein-Neckar, 23. Februar 2015. (red/ld) Nach den Plänen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten die Masern in fünf Jahren ausgerottet sein. Doch derzeit erlebt die Kinderkrankheit ein Comeback. Über 500 Erkrankungen sind aktuell in Berlin gemeldet. Am vergangenen Mittwoch starb dort ein eineinhalb Jahre alter Junge an Masern. Und auch die Region ist nicht ganz frei von der Kinderkrankheit.

Kleinkinder sollten bis zum 2. Lebensjahr zwei Masernimpfungen haben. Dann sind sie lebenslang immun. Foto: AOK-Mediendienst
Von Lydia Dartsch
Wer in seiner Kindheit an Masern erkrankt ist oder wer zwei Mal gegen Masern geimpft wurde, ist mit großer Wahrscheinlichkeit immun gegen die Krankheit,
sagt Dr. Rainer Schwertz, Amtsleiter des Gesundheitsamts im Rhein-Neckar-Kreis und ebenfalls zuständig für die Stadt Heidelberg. Er sagt „große Wahrscheinlichkeit“, weil es eine absolute Sicherheit in der Medizin nicht gibt.
Lediglich einen Masern-Fall gab es in diesem Jahr in Heidelberg. Im Jahr 2014 wurde kein Fall gemeldet und im Jahr zuvor waren es drei. In Mannheim wurde in diesem und im vergangenen Jahr noch kein Fall gemeldet. Im Jahr 2012 waren es zwei, sagt Herr Helbe vom Gesundheitsamt Mannheim. Vor fünf Jahren habe es einen großen Ausbruch mit 19 Erkrankten gegeben, sagt er. Die Krankheit sei in einem Wohnhaus ausgebrochen. Im Vergleich dazu sind in ganz Baden-Württemberg derzeit 10 Fälle gemeldet. Im vergangenen Jahr waren es 14 und im Jahr 2013 gab es 66 Masern-Erkrankungen, teilt das Regierungspräsidium Stuttgart auf unsere Anfrage mit.
Hohe Impfungsrate in der Region – Keine Immunität
Die aktuelle Infektionsrate in Berlin mit weit über 500 Masernerkrankungen und am vergangenen Mittwoch sogar ein Junge an dieser Kinderkrankheit verstorben ist, sorgt die Gesundheitsämter hier vor Ort aktuell nicht. Denn die Durchimpfungsrate in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis liege bei rund 92 Prozent und in Mannheim bei 93 Prozent. Diese Zahlen basieren auf den Grundschul-Untersuchungen vor der Einschulung, bei der auch der Impfausweis vorgelegt werden muss. Weil es in Deutschland keine Impf-Pflicht gibt, kann das Amt darüber hinaus keine Daten erheben.
„Herden-Immunität“
95 Prozent Durchimpfungsrate seien optimal, sagen Dr. Schwertz und Herr Helbe: „Dann spricht man von einer Herden-Immunität“, sagt Dr. Schwertz. Das bedeutet: Wenn 95 Prozent der Bevölkerung immun sind gegen eine Krankheit, sind die übrigen 5 Prozent Nicht-Immunen ebenfalls davor geschützt. Davon profitieren vor allem diejenigen Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, weil beispielsweise ihr Immunsystem geschwächt ist.

Impf-Gegner haben ein erhöhtes Risiko, an Masern zu erkranken. Und sie gefährden damit Menschen, die nicht geimpft werden können. Foto: AOK-Mediendienst
Auch Impfgegner sind vor einer Infektion dadurch geschützt, sofern die Durchimpfungsrate bei 95 Prozent liegt. In der Region wird dieser Wert derzeit nahezu erreicht. Aber vor allem im Süden des Landes – im Raum Freiburg – seien die Impf-Lücken deutlich größer: Nur 75 Prozent der Menschen sind dort gegen die Masern immun. Das hänge vor allem mit dem Bildungsniveau der Menschen zusammen, sagt Dr. Schwertz:
Je höher das Bildungsniveau, desto eher lehnen die Menschen Impfungen ab.
Der eine Masern-Fall in Dr. Schwertzs Zuständigkeitsbereich ereignete sich in der Patrick-Henry-Village in Heidelberg. Dort war eine Bewohnerin aus dem früheren Jugoslawien an Masern erkrankt. „Die Durchimpfungsrate in diesen Ländern war einmal sehr hoch“, sagt Dr. Schwertz. Jedenfalls bis zum Zerfall des Landes. Derzeit schätzt man die Anzahl der Masern-Erkrankten auf rund 6.000 Menschen allein in Bosnien-Herzegowina.
Mit den Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen und verteilt werden, steige auch für Menschen ohne Impfschutz das Risiko, sich anzustecken, sagt Dr. Schwertz:
Besonders bei den Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen, ist das besonders tragisch.
Im Mannheimer Gesundheitsamt hält man daher eine Impfpflicht für sinnvoll. Dr. Schwertz appelliert dagegen an die Impf-Gegner, ihre Haltung zu überdenken, im Impfpass nachzuschauen und die Kinder impfen zu lassen.
Ministerin Altpeter: „Erst Überzeugungsarbeit, dann Impfpflicht“

Die Baden-Württembergische Sozialministerin Katrin Altpeter. Foto: Sozialministerium Baden-Württemberg
Auf Überzeugungsarbeit setzt auch die Baden-Württembergische Sozialministerin Katrin Altpeter.
Auf unsere Anfrage teilt sie mit, dass zuerst versucht werden müsse, die Eltern von er Impfung zu überzeugen – beispielsweise im Kindergarten. Denn wer sein Kind nicht impfen lässt, bringe andere in Gefahr. Dessen sollten sich Eltern immer bewusst sein.
Falls aber alle Appelle nicht fruchten, müsse nach Ansicht von Ministerin Altpeter auch über eine Impfpflicht nachgedacht werden.
Denn in der Regel sollte jedes Kind bis zu zweiten Lebensjahr zwei Masern-Impfungen erhalten haben und gilt damit lebenslang als immun. Doch auch für Erwachsene sei eine Impfung sinnvoll, sagt er – auch kurz nach dem Kontakt mit einer infizierten Person: „Dann ist der Schutz zwar nicht mehr hundertprozentig. Sollten die Masern aber doch ausbrechen, nimmt die Krankheit in der Regel einen schwächeren Verlauf an“, sagt Dr. Schwertz.
Masern: Hoch ansteckend und schwer verlaufend
Angesichts des üblichen Krankheitsverlaufs könnte das eine Motivation sein: Die Viren-Krankheit geht nicht nur mit einer allgemeinen Schwäche, Kopfschmerzen, Fieber und den typischen roten Flecken einher. Es können sich auch lebensbedrohliche Komplikationen ergeben wie Lungenentzündung und Hirnhautentzündung.
Masern sind zudem höchst ansteckend und werden durch Hautkontakt und Tröpfcheninfektion übertragen: Also durch Sekrete, die beispielsweise durch Niesen und Husten in der Luft vernebelt werden.
Daher rät Dr. Schwertz neben der Impfung auch dazu, sich die Hände zu waschen, wenn man von draußen nach Hause oder ins Büro kommt – das gilt insbesondere aktuell für Berlinreisende. So kann man die Erreger, die man auf der Bahnfahrt oder mit dem Geld beim Einkaufen auf der Haut eingefangen hat, einfach abwaschen.