Ludwigshafen/Frankenthal/Rhein-Neckar, 19. Februar 2013. (red/ld) Das Landgericht Frankenthal hat den geständigen Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kinder und Jugendlichen zu sechs Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Der 32 Jahre alte Sexualstraftäter war Angestellter beim Verein Eis- und Rollsportclub (ERC) Ludwigshafen. Das Urteil erging wegen sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in insgesamt 121 Fällen, in 21 davon wegen schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Mindestens fünf Jungen wurden zwischen 2008 und 2012 Opfer des heute 32-Jährigen. Weitere Verfahren werden derzeit geprüft. Dabei geht es um zwei weitere Opfer, einer davon zur Tatzeit neun Jahre alt. Vermutungen auf Mittäter haben sich nicht erhärtet, sagte die Staatsanwaltschaft.
Von Lydia Dartsch
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Verurteilte vom Winter 2008/2009 bis Februar 2012 fünf Jungen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren insgesamt 121 Mal sexuell missbraucht hat, in 21 Fällen davon schwer. Begonnen haben die Taten mit einem damals 14-jährigen Jungen, den er im Sommer 2008 bei Renovierungsarbeiten im Eisstadion Ludwigshafen kennengelernt habe. Es sei daraufhin eine „freundschaftliche Beziehung zwischen beiden entstanden“. Der Junge habe den doppelt so alten Angeklagten als großen Bruder betrachtet, mit dem man über alles reden konnte. Richter Michael Wolpert sah es als erwiesen an, dass dem Angeklagten seine Überlegenheit gegenüber dem Jungen klar war und er diese Überlegenheit für seine sexuellen Übergriffe ausgenutzt hatte.
Kein „goldener Käfig“
Ab Winter 2009/2010 hatte sich der Angeklagte neue Jungen gesucht, die immer jünger wurden. Der Jüngste von ihnen war neun Jahre alt. Das Verfahren in dem Fall wird derzeit auf Zulassung geprüft. Bei seinen Taten habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen, dass einige der Jungen, die er missbraucht hatte, jünger waren als 14 Jahre, wodurch die Opfer strafrechtlich als Kinder zu werten seien. Es komme erschwerend hinzu. dass der Angeklagte trotz bestehender Risiken für Infektionen auf den Schutz mit Kondomen verzichtet habe. Eine Entscheidung der Jungen, freiwillig mitgemacht zu haben, stellte der Richter in Abrede. Die Kinder seien dazu noch nicht reif genug gewesen.
Strafmildernd wirkte sich das Geständnis des Angeklagten aus. Das habe den Kindern das Erscheinen vor Gericht erspart. Außerdem habe der Angeklagte nicht bewusst eine Atmosphäre, einen „goldenen Käfig“ geschaffen, in der sich die Kinder wohlgefühlt hätten. Außerdem sei im Strafmaß zu berücksichtigen, dass die Hemmschwelle zu der Tat während des langen Tatzeitraums und der Tatwiederholungen abgenommen habe. Seine Haftzeit in einer sozialtherapeutischen Anstalt soll der Angeklagte dazu nutzen, sich über seine Taten klar zu werden, zu denen er sich noch immer wenig Schuld eingestehe. Er soll auch eine Chance geben, sich gesellschaftlich verträglich zu entwickeln und lernen, mit seiner pädophilen Nebenströmung umzugehen. Damit sich die Taten nicht wiederholen.
Den Jungen kann die Tragweite nicht bewusst gewesen sein
Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt acht Jahre Haft gefordert. Staatsanwältin Anne Wolf führte straferschwerend an, dass der Angeklagte kein Unrechtsbewusstsein zeige. Immer wieder habe er in der Verhandlung und in der polizeilichen Vernehmung gesagt, der Altersunterschied zwischen ihm und den Jungen sei ihm bewusst, er habe sich von ihnen zu den Taten aber überreden lassen und habe auch auf Wunsch der Jungen darauf verzichtet, Kondome zu benutzen. Gleichfalls besäßen Kinder in diesem Alter keine Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung. Deshalb könne auch der erste Junge, mit dem die Taten im Jahr 2008 begonnen hatten, die Tragweite der sexuellen Übergriffe nicht bewusst gewesen sein. Dafür spräche auch die Aussage des Jungen:
Ich kann ja nicht schwanger werden.
Der Angeklagte habe sich keine Gedanken darüber gemacht, ob er den Jungen mit sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken könnte und sich seine Unwissenheit ausgenutzt. Durch viele Annehmlichkeiten wie langes Aufbleiben, Pizza bestellen und Filmabende und Shisha rauchen habe er zu den Kindern ein freundschaftliches, kumpelhaftes Verhältnis aufgebaut, das die Jungen wohl nicht verlieren wollten, indem sie sich gegenüber Eltern äußern. Er habe außerdem Kinder angesprochen, wie es wäre, sexuelle Handlungen an ihnen vorzunehmen und sie über Dritte ansprechen lassen. Ob es sich bei den Dritten um die Jungen handelt, oder ob noch weitere Mittäter in den Fall verwickelt sind, wurde in der Verhandlung nicht geklärt. Außerdem habe er ihnen das Gefühl gegeben, dass seine sexuellen Übergriffe ganz normal seien.
Der Täter weist die Verantwortung von sich
Eine ganz subtile Form von Zwang habe auf die Kinder gewirkt, fasste die Vertreterin der Nebenkläger Gabriele Haas zusammen. Dieser Zwang sei vor allem durch die familiären Verhältnisse, in denen die Übergriffe passiert sind, zu Stande gekommen. Es sei normal, dass sich Jugendliche und Kinder durch solche Angebote angelockt werden und das nicht verlieren möchten.
„Es war ja immer ganz nett“, wenn er einen in Ruhe lässt. Ähnliche Gedanken hätten auch Kinder, die in ihrem familiären Umfeld missbraucht worden sind. Die Kinder fühlten sich schuldig, vor allem, weil sie daran denken, dass sie es freiwillig zugelassen haben.
Das führe beim Angeklagten aber nicht zum Eingeständnis der Schuld, warf Haas ihm vor. Er habe nicht realisiert, was er den Jungen angetan hat. Vielmehr sei er mit seinem Geständnis vor allem auf sich selbst bedacht gewesen und habe die Verantwortung stets von sich gewiesen, sich als Gutmensch präsentiert, der die Kinder abgehalten hatte, Drogen zu nehmen. Im ersten Verhandlungstag habe er außerdem seine Opfer als seine Freunde angesprochen, sie sollen ihn nicht hängen lassen oder sich entschuldigt mit den Worten:
Aber sieh doch, wie schlecht es mir geht.
Zufrieden ist sie mit dem Urteil nicht. Das könne sie erst sein, wenn der Angeklagte Schuld und Reue zeigte. Die unbewegte Miene des Angeklagten beim Plädoyer der Nebenklage war das nicht zu entnehmen. Umso mehr kamen ihm die Tränen, als sein Verteidiger Gert Heuer Postkarten zeigte, die Eltern und Kinder dem Angeklagten in die U-Haft geschickt hatten. Darin sagte sie ihm, er fehle und sie stünden zu ihm. Vor dem Gerichtssaal sagten Eltern aus, sie haben nicht gewusst, weswegen er verhaftet worden sei.
Opfer in die Psychiatrie gebracht
Wie schlecht es den Opfern gehe, sei ihm egal gewesen: Sein erstes Opfer, jetzt 18 Jahre alt, habe eine stationäre psychiatrische Behandlung hinter sich und sei auch heute noch in Behandlung. Er habe es den Jungen nicht erspart, immer wieder im Ermittlungsverfahren aussagen zu müssen. In Therapie wollen die wenigsten gehen, weil sie fürchten, alles noch einmal erzählen zu müssen. Sie wollten nur vergessen.
Verteidiger Gert Heuer stürzte sich auf Verfahrensfehler und auf den Verein. Zeugen seien bei dem Ermittlungsverfahren unter Druck gesetzt und der Angeklagte in dessen Abwesenheit beleidigt und beschimpft worden. Hochsuggestive Vernehmungen hätten zu den belastenden Aussagen gegen seinen Mandanten geführt. Er nannte es dilletantisches Ermittlungsverhalten. Staatsanwältin Anne Wolf räumte „unschöne Passagen“ in den polizeilichen Ermittlungen ein und bezeichnete sie als „schwierig“. Beide Parteien prüfen nun, ob sie in Revision gehen werden. Die Kosten des Verfahrens trägt der Verurteilte, ebenso wie die Auslagen der Nebenkläger.