Mannheim, 12. Juli 2013. (red/ld) Kennen Sie Seilspringen? Gegen die Leistungen der Rope Skipper von der TSG Seckenheim ist das Kindergarten. Mittlerweile kann sich der Verein mit einer deutschen Meisterin und einer deutschen Vizemeisterin schmücken: Sabrina Wagner und Sabrina Diehl. Am 25. Juli treten die beiden im dänischen Aalborg gegen ihre europäische Konkurrenz an: Bei der Europameisterschaft. Wir waren beim Training dabei und haben festgestellt: Rope Skipping ist Leistungssport!
Von Lydia Dartsch
Ich bin gespannt, ob wir damit durch den Zoll kommen,
sagt Sabrina Diehl und feixt. Die 24-Jährige hat mir gerade die beiden Seile erklärt, die sie für die verschiedenen Disziplinen verwendet: Wenn es um Schnelligkeit geht, benutzt sie ein ummanteltes Drahtseil. Wenn es um kunstvolle Figuren geht, eines aus Nylon, mit langen Griffen.
Während wir sprechen, arbeitet Sabrina Wagner mit ihrem Drahtseil: Dreißig Sekunden Schnelligkeitstraining. Sabrina zählt 66 Sprünge mit einem Fuß. Das sind pro Bein zwei Sprünge in der Sekunde. Ein unglaubliches Tempo!
Beide Füße zu zählen, ist viel zu schnell.
sagt sie.
Wenn man der Mannschaft des TSG-Seckenheim zusieht wird einem sofort klar: Seilspringen ist Kindergarten – Rope Skipping ist Leistungssport! Hier geht es mal um Schnelligkeit, mal um Akrobatik, Kreativität und außergewöhnliche Tricks mit dem Seil.
Vorbereitung auf die Europameisterschaft
Sabrina Wagner ist amtierende deutsche Meisterin in der Altersklasse 15 bis 17 und Sabrina Diehl deutsche Vizemeisterin der Über-Achtzehnjährigen. Die beiden starten Ende Juli für Deutschland bei der Europameisterschaft in Dänemark.
Dafür trainieren sie besonders hart – bis zu vier Mal in der Woche. Jeweils zwei Stunden lang. Los geht es heute mit Sprungübungen auf einer Matte: Abwechselnd bekommen die beiden einen Gürtel um die Hüften gelegt, an denen zwei Gummibänder befestigt sind. Links und rechts steht eine Person und fixiert das andere Ende des Bandes am Boden. Dadurch wird ein Widerstand aufgebaut, der die beiden unten hält.
„Die Füße sollen die Matte verlassen!“
Mit dem Gürtel um die Hüften müssen sie springen: 20 Mal. Dann wechseln sie ab. Drei Durchgänge gibt es. Jedes Mal werden die Gummibänder in größerem Abstand am Boden fixiert; der Widerstand, gegen den sie anspringen müssen, vergrößert sich.
Währenddessen laufen sich die anderen in der Halle der Rheinau-Grundschule warm. Trainerin Conny Wörz hat ihnen Hindernisse in den Weg gelegt, die sie auf ihren Runden überturnen sollen: Einen halbhohen Kasten, Bänke, eine dicke Matte. Wenn man darauf joggt, muss man die Beine besonders hoch heben, um vorwärts zu kommen. Sehr anstrengend!
Die Füße sollen die Matte verlassen,
ruft Henner Böttcher einer der jungen Frauen zu, während er die beiden Sabrinas am Gummiband trainiert.
Wettkampfsport seit 2004
Das Training ist in diesen Wochen intensiver. Die Trainingsmethode mit den Gummibändern hat sich der Diplomsportlehrer Böttcher selbst ausgedacht. Man könnte ihn als Pionier des Rope Skippings in Deutschland bezeichnen: Zwei Bücher hat er darüber geschrieben und sich beim Deutschen Turnerbund dafür eingesetzt, dass es offiziell als Wettkampfsportart anerkannt wird. Das passierte im Jahr 2004, vor neun Jahren.
Seit 13 Jahren trainiert Sabrina Diehl schon. Mit der Qualifizierung für die Europameisterschaften hatte sie gar nicht gerechnet:
Ich bin meiner Schwester zuliebe bei den deutschen Meisterschaften gestartet. Da war der Druck plötzlich weg und ich konnte meine volle Leistung abrufen,
sagt sie. Bei dem Wettkampf holte sie die Silbermedaille für den Verein. Ohne ihre Trainierin Conny will sie aber nicht in Dänemark antreten:
Ich bin ihr so unendlich dankbar, dass sie mitfährt. Ohne sie würde ich das nicht schaffen.
Sabrina braucht die Trainerin als mentale Stütze. Denn gerade die Speed-Disziplin, bei der es darauf ankommt, in einer bestimmten Zeit möglichst viele Übersprünge zu schaffen, ist bei drei Minuten besonders anstrengend: physisch und mental.
Conny springt mit mir und ich konzentriere mich auf ihre Füße. Je schneller sie springt, desto schneller springe ich,
sagt Sabrina.
Sabrina Wagner ist da eigenständiger. Die 16-jährige Schülerin hat im vergangenen Jahr einen beachtlichen Fortschritt gemacht: Beim Bundesfinale 2012 hatte sie noch 1644 von 2500 Punkten geholt und war damit auf Platz 22 gelandet. Beim Bundesfinale im April hatte sie sich dann urplötzlich um über 500 Punkte auf 2171 Punkte gesteigert und den ersten Platz ihrer Altersklasse (15-17 Jahre) belegt.
Bei ihr ist einfach der Knoten geplatzt,
sagt Henner Böttcher.
Sabrina Wagners Lieblingsdisziplin ist die Kür. Dafür hat sie einen speziellen Trick entwickelt:
Das ist eine Rolle vorwärts, ein Sprung in den Spagat, wieder nach oben in den Stand,
sagt sie und man versucht sich vorzustellen, wie das gehen soll. Man muss es einfach selbst sehen.
Sie hat eine unglaubliche Kraft in den Beinen,
sagt Sabrina Diehl, die sie dafür bewundert. Und Sabrina Wagner zeigt Willen. Plötzlich, mitten in der Kür, bricht sie ab: Sie ist mit dem Fuß umgeknickt! Sofort eilen ihre Kolleginnen zu Hilfe, geben ihr Ratschläge, damit sich keine Schwellung bildet:
Leg das Bein hoch. Dann fließt das Blut nicht nach unten.
Fünf Minuten später versucht sie ihre Kür noch einmal. Mit Erfolg. Trotzdem ist für sie heute Schluss. Conny Wörz schickt sie zum Cool-Down. Das heißt Sit-Ups, Liegestütze, Bodentraining. Inzwischen versucht Sabrina Diehl noch einmal, ihre Kür zu schaffen.
Ungarn ist härteste Konkurrenz
Noch klappt nicht alles perfekt. Aber die beiden haben noch gut knapp Wochen Zeit. Die Europameisterschaft beginnt erst am 25. Juli.
Sie sind gut drauf und trainieren hart. Ich denke, dass sie es unter die zehn Besten schaffen,
sagt Conny Wörz. Henner Böttcher sieht das ähnlich gelassen, ist aber weniger optimistisch:
Wenn sie es dorthin schaffen, sind sie schon richtig, richtig gut.
Er glaube zwar an seine Mädchen, aber die internationale Konkurrenz sei doch sehr stark, sagt er: Die Kanadierinnen und die Amerikanerinnen seien nicht zu unterschätzen. Rope Skipping werde auch in den nordeuropäischen Staaten als Leistungssport betrieben. In Osteuropa gebe es dagegen nur eine Mannschaft, die ihnen gefährlich werden könnte. Darin sind sich die beiden einig:
Die Ungarinnen sind sehr gut.
Keine Trendsportart – Spaß macht sie trotzdem
Gut trainiert zu sein sei nicht alles. Es komme darauf an, beim Wettkampf seine Maximalleistung auch abrufen zu können, sagt Henner Böttcher. Um das seinen Sportlerinnen zu ermöglichen, habe er sich damit beschäftigt, in welcher Trainingsphase sie ihre Bestleistung erbringen können, Trainingspläne erstellt. Das habe mehr mit Timing zu tun, sagt er und führt die deutschen Schwimmer bei den Olympischen Spielen 2012 als Beispiel an:
Da wurden große Erwartungen von Goldmedaillen geweckt und am Ende reichte es nur für einmal Silber und zweimal Bronze. Ihre Bestform hatten sie einige Wochen vorher.
Seinen „Mädels“ macht der Sport sichtlich Spaß, auch im Leistungsbereich:
Wir sind ein Team, eine große Familie. Jeder passt auf den anderen auf. Das ist das Schöne an dieser Mannschaft,
sagt Sabrina Diehl.
Mit Vorurteilen, weil sie eigentlich „nur“ Seil springen, hätten sie kaum zu kämpfen, sagt Conny Wörz, die mit ihren 24 Jahren auch schon mit der Nationalmannschaft angetreten ist und jetzt die nächste Generation der Rope Skipper trainiert:
Es ist zwar noch eine sehr junge Sportart, aber durch unsere Erfolge in den Wettkämpfen und unsere Showauftritte, auch auf dem Turnfest, sind wir in der Region recht bekannt,
sagt sie.
Ob die Bekanntheit des Sports und des Vereins ihnen auch hilft, die finanziellen Mittel für die Fahrt nach Dänemark zu beschaffen, bleibt abzuwarten. Derzeit sammeln die beiden Starterinnen und ihre Teamkollegen Spenden, um das 3.356 Euro teure Vorhaben bezahlen zu können. Das seien die Gesamtkosten für alle vier inklusive Flug, Übernachtung und Vollverpflegung vor Ort, sagt Henner Böttcher.