Mannheim/Rhein-Neckar, 05. Oktober 2012. (red/pro) Das Café Prag feiert sein zehnjähriges Bestehen. Das Café Prag ist Adonis Malamos (49). Seine Reise war lang und teils beschwerlich, um hier anzukommen. Und sie dauert an. Aber er hat pünktlich vor zehn Jahren am 01. Oktober 2002 eröffnet. Für Adonis Malamos ist das Café Prag Mittel- und Ausgangspunkt für seine Ausflüge in die Welt. Seine Gäste können daran teilhaben oder einfach nur nur bei ihm Rast machen und einen gepflegten Kaffee in Ruhe genießen.
Text: Hardy Prothmann
Fotos: Ricardo Wiesinger
Adonis Malamos fängt ganz vorne an, wenn es um sein Leben geht. Und darum geht es in diesem Text. Um einen Mann, der lange gebraucht hat, um anzukommen. Seit zehn Jahren betreibt er das Café Prag in Mannheim. Er feiert Jubiläum. Er ist hier angekommen und umso mehr auf Reisen. Das Café Prag ist seine Vergangenheit, seine Zukunft und sein Alter:
Da, wo ich herkomme, sind die Menschen zäh. Das versteht man heute kaum noch. Richtig zäh. Sie brauchen wenig und leisten viel. Ein Bergvolk eben. Sehr hart, ob als Bauern oder Soldaten in früheren Zeiten für Byzanz oder Venedig. Da hat mein Leben begonnen. Das hat mich geprägt. Und das bin ich bis heute.
Der Mittelpunkt
Adonis lacht. Fröhlich. Mit einem Blick nach innen auf sein Leben. Die Erinnerungen sind präsent. Sein Gesicht ist markant, der Körper drahtig. Die Haare, zum Pferdeschwanz gebunden, ergrauen. Als er erzählt, ist er der kleine Junge, der sich in Lozétsi (Nord-West-Griechenland) drei Stühle zusammenschiebt, um darauf zu schlafen. Im rund 30 Quadratmeter großen Gastraum seines Vaters steht in der Mitte ein Herd. Sein Vater ist auch Metzger. Und Lebensmittelhändler. Einer, bei dem alle zusammenkommen. An einem Ort. Dort schläft Adonis am liebsten und spürt die Energie der Menschen:
Der Gastraum hat mich magisch angezogen. Das war der Mittelpunkt unseres Dorfes. Ich kann bis heute noch die Luft riechen und die Atmosphäre spüren. Seit ich sechs Jahre alt bin, bin ich davon besessen.
Dann wird sein Ausdruck ernst. Zäh. So, wie er sich beschrieben hat und seine Leute. Man kann sein Dorf fühlen:
Weißt Du, wenn Wasser fehlte, dann musste man das von weit her holen. Da gab es keine Diskussionen. Es war für mich als kleinem Jungen sehr beschwerlich. Ich habe es einfach geholt. Darüber wurde nicht diskutiert.
Vier Geschwister hat er und ein Pferd. Wie fast jeder hier. Die Männer und Jungs sind gute Reiter – ohne Sattel. Er ist der jüngste in der Familie. Seine Eltern ziehen Anfang der 70-er Jahre in die große Stadt. Nach Athen. Wie viele andere. Die Zeiten ändern sich. Hatte das Dorf damals 1.000 Einwohner, sind es jetzt noch 300. Das Leben in der Großstadt ist härter als im Dorf. Dem jungen Adonis fehlt die Atmosphäre. Der Mittelpunkt. Die Luft zum Atmen. Er geht aufs Gymnasium, bricht irgendwann ab und geht mit sechzehn Jahren auf Reisen:
Das Dorf, die Großstadt. Das war ein krasser Gegensatz und ich war nicht glücklich. Ich hatte meinen Lebensmittelpunkt verloren. Also bin ich losgezogen, um einen neuen zu suchen. Mein Bruder hat mir ein Buch von Hermann Hesse geschenkt. Siddhartha. Ich wollte das Land kennenlernen, aus dem dieser großartige Schriftsteller stammt. Das Buch beschreibt eine lange Reise. Ich war fasziniert, musste aber selber reisen, um die Faszination zu erleben.
Die Reise
Er ist unterwegs, lebt teils wie ein Vagabund, landet für einige Jahre in den Niederlanden und dann in Mannheim-Rheinau bei einem Freund, der ihm Arbeit verschafft:
Ich hatte 1987 noch 70 Mark in der Tasche. Dann Schichtdienst in einer Fabrik. Nach ein paar Monaten war ich reich. 3.000 Mark. Soviel Geld hatte ich vorher noch nie über.
Das Geld reicht nicht lange. Er kommt zurück, schichtet und jobbt weiter. Und dann kellnert er für ein Jahr im Akropolis, später im Café Journal am Marktplatz:
Ich war so frech, dass ich den Leuten mein Trinkgeld schon in den Preis reingerechnet habe. Wenn mir jemand Trinkgeld geben wollte, habe ich gesagt: Das ist schon inklusive. Großes Staunen. Ich habe ausprobiert, provoziert, improvisiert. Erfahrungen gesammelt. Nicht alle waren positiv. Es war ein Experiment mit mir und den Gästen. Teil meiner Reise.
Der Rechner Adonis weiß jeden Preis. Niemals hat er an einem Tisch einen Block gezückt. Zahlen? Klar: Soundsoviel. Egal, wie viele Gäste er bedient:
Zahlen muss man im Kopf haben und seinen Kopf muss man benutzen.
Wieder lacht er und macht einen Kosmos auf. Seine Weltordnung. Und die seiner Vorfahren.
Der Kellner Adonis beherrschte den Laden mit seiner Präsenz. Athletisch gewachsen steht er immer gerade, den Kopf hoch, der Blick intensiv, bewegt sich zielstrebig, aber nie hektisch. Seine Bewegungen sind kontrolliert und „sitzen“. Er zeigt Haltung:
Irgendwie bin ich beliebt. Vielleicht, weil ich frech bin, ein wenig verrückt und stolz. Ich bediene, war aber niemals ein Diener. Meine Beliebtheit ist mein größtes Kapital.
Auseinandersetzung
Adonis Malamos sagt ständig solche Sätze, bei denen man merkt, wie er sich mit sich, anderen, dem Leben, der Gesellschaft auseinandersetzt. Sein Denken ist nicht „klassisch“ per Universität geschult, aber er denkt schlau und schnell. Das Leben ist seine Universität. Und hat ein enormes Gedächtnis. Datumsangaben aus seinem Leben, die besten Umsätze, was er investiert hat, wann er wohin gereist ist – alles hat er im Kopf.
1994 ist die Zeit im Journal vorbei. Seine Präsenz passte nicht mehr zu seiner Stellung. Zeit, weiterzuziehen:
Wenn Du etwas so intensiv machst wie ich, dann hast Du es irgendwann satt.
Er reist zurück in seine Vergangenheit. Nach Griechenland. Reist wieder zurück nach Deutschland. Mannheim. Das RIZ wird frei und Adonis investierte in sein eigenes Geschäft:
Alles in meinem Leben hat auf mich gewartet. Und ich war immer pünktlich. Am 9. Januar 1995 habe ich eröffnet und 110 Mark Umsatz gemacht. Das Geschäft lief prächtig.
Doch auch belastend. Intensiv. Nach drei Jahren und zehn Monaten hat er genug. Er fühlt sich nicht mehr wohl. Alle Tage sind gleich. Also verkauft er.
Wendepunkt
Und wieder ist er pünktlich, als das ehemalige Zigarrengeschäft Zimmermann frei wird. Seit 1902, als das Gebäude als Mannheimer Börse von Händlern errichtet wird, gab es erst vier Pächter. Von 1910 bis 1937 jüdische Händler, die vor den Nazis flüchten mussten.
Adonis Malamos überzeugt den Besitzer, die Stadt Mannheim, von seinen Plänen und beginnt zu renovieren. Neun Monate lang. Mit der Hilfe von Freunden. Der Gründerzeit-Laden ist marode, birgt viele Überraschungen. Auch positive wie das Eichenparkett, das unter Spanplatten und PVC über Jahrzehnte konserviert worden ist. Adonis übernimmt die alte Theke, richtet sie her:
Das Gebäude hat Geschichte, die Einrichtung hat Geschichte. Das respektiere ich und meine Gäste spüren das.
Und er respektiert sich selbst. Konsequenz. Seit einem halben Jahr ist er deutscher Staatsbürger. Er hat die ganze Einbürgerungsprozedur mitgemacht, wie jeder andere auch, der einen deutschen Pass besitzen will:
Die Entscheidung war nicht der Pass, sondern Teil der Gemeinschaft zu sein, wo ich mein Leben verbringe. Ich weiß, woher ich komme und ich weiß, wo ich angekommen bin. Ich bin nur konsequent.
Licht. Zeichnen.
Geschichte, Atmosphäre ist, was ihn fasziniert. Neben dem Reisen. Und die Fotographie. „Mit Licht zeichnen“. Als Grieche versteht er das Wort in seiner Bedeutung. Adonis Malamos verbindet seine Leidenschaften und beginnt ab 2006 historische Cafés in ganz Europa zu fotografieren. Und macht daraus ein Buch. 125 Café aus 13 Ländern stellt er vor. Überall fährt er mit dem Auto hin, weil er Flugangst hat. Vergangene Woche war er in Florenz. Zwei Tage. Hinfahren. Fotografieren. Zurückfahren. Das ist anstrengend, aber Adonis Malamos ist zäh.
Sein großes Vorbild ist der Düsseldorfer Fotograf Walter Vogel (79). Ihm hat er seinen Bildband gewidmet. Auf seinen Reisen hat Adonis Malamos natürlich überall Kaffee getrunken:
Den besten Kaffee gibt es in Italien und Portugal.
Nicht bei ihm? Nein, sagt er. Sein Kaffee ist sehr gut, aber mit diesen Ländern kann er nicht mithalten. Warum?
Ein guter Kaffee hängt von vielem ab. Vor allem vom Wasser. Unser Wasser hier ist hart. Das muss ich berücksichtigen. Natürlich auch vom Kaffee an sich. Insgesamt aber von der Kunst, das Wasser, das richtig gemahlene Pulver und die Technik zusammenzubringen. Seit 1961 ist die Espresso-Maschinentechnik vollkommen. Mit 15 Bar wird das Wasser durch das Pulver gedrückt. Ich kann hören, ob das Pulver richtig gemahlen ist oder nicht. Ich passe die Mahlung täglich an den Zustand des Wassers an.

Der Lichtzeichner Adonis Malamos hat selbst ein Buch gemacht. Über Atmosphären. Über Cafés. Über das, was ihn treibt. Foto: Adonis Malamos
Wenn Wasser, Kaffeepulver und seine Bedienung der Technik harmonieren, ist ein Teil seiner Weltordnung, sein Kosmos, zufrieden. Dann ist der Perfektionist in ihm zufrieden. Bis zur nächsten Herausforderung.
Und die findet er ständig – im Nachdenken.
Im internationalen Kaffee-Geschäft geht es um jeden Cent, sagt Malamos. Ihn ärgert, dass viele Bauern nicht korrekt bezahlt werden. Seit Jahren verwendet er Lavazza-Kaffee. Ist mit der Marke und der Qualität zufrieden. Und sieht doch viele Dinge kritisch:
Im Vergleich sind Lebensmittelprodukte in Deutschland am günstigsten. Was bedeutet das? Man kann nicht alles haben und essen oder trinken? Warum ist billig besser als gut oder sehr gut? Welche Rolle spielt der Geschmack?
Ausblick
Das Café Prag ist gut besucht. Alle Tische sind besetzt, einige nur von ein bis zwei Personen. Man unterhält sich, trinkt Kaffee und genießt die entspannte Atmosphäre. Das Café Prag lebt nicht von einer anonymen Laufkundschaft, sondern vom Mannheimer Dorf, das sich hier am zentralen, historischen Platz versammelt. Adonis ist längst nicht mehr der kleine Junge. Das Wasser kommt aus der Leitung. Doch der Ort, die Atmosphäre, bleibt der Mittelpunkt. Viele Künstler und Geschäftsleute sind seine Kunden. Selbst der Mannheimer Dorfchef Peter Kurz kehrt gerne ein:
Als er noch Kulturbürgermeister war, war er oft mein Gast. Als Oberbürgermeister hat er brutal viele Verpflichtungen. Aber wenn er kommt, fühlt er sich wohl. Er ist dann Gast und hat hier Ruhe. Und ich bediene ihn gut. So wie jeden anderen Gast.
Adonis sagt das nicht einfach, er meint, was er sagt. Jeder Gast ist willkommen. Jeder Gast ist Mittelpunkt seines Dorfes. Dem Café Prag. Und wenn ein Gast nicht Gast sein will, dann macht er das unmissverständlich klar:
Gäste, die stören, bezahlen nicht. Es reicht, dass sie gehen.
Dabei lacht er nicht. Er schaut ernst und meint das ernst. Wenn das Urteil gefällt ist, steht die Entscheidung fest:
Der Job fordert. Immer nur nett sein geht nicht. Man muss auch Grenzen setzen. Manchmal setzte ich meine eigenen, wenn ich überfordert bin. Das gehört dazu. Es passiert. Die meisten Gäste sind davon nicht betroffen.
Wer sein Gast ist, wird nicht nur mit Kaffee und Kuchen oder gutem Wein bedient. Ausgesuchte Musik, feiner Jazz ist eine weitere Leidenschaft. Die Zahl der kleinen „Kammerkonzerte“ von herausragenden Jazzern ist Legende. Und wenn es nicht live ist, kommt die Musik ausgesucht und dezent aus dem Hintergrund – garantiert nicht an die Charts angelehnt, sondern an Qualität. Er macht mit bei Enjoy Jazz, fördert Kultur und Musik, Literatur und Fotografie. Sein Café Prag soll der Mittelpunkt für seine Gäste sein. Adonis Malamos nimmt alles persönlich. Jedes Detail. Daran arbeitet er, bis er aufhört, Und darüber hinaus. Auch dieses Datum weiß er aus dem Kopf:
Ich habe mit dem Café Prag einen Vertrag für mein Arbeitsleben gemacht. Bis 2032. Dann werde ich 68 Jahre alt sein und es an meinen Nachfolger übergeben.
Wer sein Nachfolger wird? Das weiß er heute noch nicht. Vielleicht der junge Deutsch-Italiener, der gerade von ihm lernt und Stühle zusammenräumt. Der nicht diskutiert, sondern fröhlich arbeitet. Zäh, wie Adonis. Für heute ist bald Feierabend. Dann muss die Arbeit geschafft sein. Und dann?
In meiner Familie werden alle alt. Ich bin gesund und hoffe, dass ich das bleibe. Dann habe Zeit und erfinde mich wieder neu. Ich weiß noch nicht genau, was ich machen werde, sicher werde ich aber noch mehr reisen als heute.
Hinweis: Adonis Malamos hat das Café Prag hat am 01. Oktober 2002 eröffnet. Am heutigen 05. Oktober 2012 haben sich viele, auch prominente Gäste, zum zehnjährigen Jubiläum angemeldet. Obwohl seit einiger Zeit ein weiterer Raum das Café Prag auf nunmehr 90 Quadratmeter Fläche erweitert hat, könnte es eng werden. Ab 18:00 Uhr sollte man pünktlich eintreffen oder einen Platz auf der Straße ergattern.