Mannheim, 02. September 2016. (red/pro) Am Nachmittag informierten Polizei und Staatsanwaltschaft Mannheim über ein Tötungsdelikt. Ein zehn Jahre altes Mädchen aus Neckarau ist das Opfer. Die Behörden haben bislang nur mitgeteilt, dass ein Kapitalverbrechen vorliegt, hüllen sich aber „aus ermittlungstaktischen Gründen“ in Schweigen. Verschiedene Medien der Region wittern jedoch die große Story – und was wir hier dokumentieren, verschlägt einem den Atem.
„Guten Abend,
der plötzliche Tod des 10-jährigen Mädchens in Neckarau löst im Stadtteil sicher viel Trauer und Entsetzen aus,
Sollte es über das Wochenende irgendwelche besonderen Traueraktionen im Stadtteil geben, die von Ihnen ausgehen oder die sie mitbekommen oder die den Menschen helfen, das zu verarbeiten, wäre ich für einen Hinweis per Mail oder Telefon 0163 xxxxxx dankbar.
Wir greifen das dann gerne auf.
Ganz herzlichen Dank.
Mit traurigen Grüßen“
Diese email erreicht uns auf Umwegen. Absendedatum heute, 20:13 Uhr. Absender – ein festangestellter Redakteur eines lokalen Mediums. Versendet an einen Verteiler von über einem Dutzend Empfängern. Wie oft weitergeleitet, wissen wir nicht.
Kommentar: Hardy Prothmann
Geht es pietätsloser? Noch ist vollkommen unbekannt, was genau passiert ist. Dafür befragen gewisse Medien eifrig Nachbarn und Ladenbesitzer in der Nachbarschaft des Tatorts. Was sollen die sagen? Dass es öfter mal Streit gegeben haben soll? Dass jemand der betreffenden Familie Pizza gekauft hat? Was davon ist für die Öffentlichkeit relevant?
Aasgeier-Journalismus
Es ist beschämend, wie viele Journalisten ihr Handwerk nicht betreiben, sondern die ganze Branche durch ihre Sensationslust beschädigen. Das ist Aasgeier-Journalismus.
Wieso sollte ein Journalist „traurig“ sein über den Tod dieses Mädchens, das er nicht kannte? Man kann Mitgefühl haben, wenn man an das tragische Schicksal des Mädchens denkt und was das für Familie und Bekannte bedeutet.
Was hier vollständig miss-, ja sogar verachtet wird, ist die Privatsphäre des schutzlosen Opfers und dem Rest der Familie. Es kann nur ein begrenztes Interesse der Öffentlichkeit geben, weil dieses mutmaßliche Verbrechen nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden hat und durch den Hinweis „familiäres Umfeld“ vermutlich auch keine weitere öffentliche Relevanz hat. Es handelt sich um ein familiäres Drama.
Private Details spielen überhaupt keine Rolle für die Öffentlichkeit
Es spielt überhaupt keine Rolle, ob das Mädchen hübsch war oder nicht, ob sie lustig war oder nicht, was es gerne angezogen hat und was nicht, ob es Tiere mochte oder nicht. Das alles geht die Öffentlichkeit nichts an. Und vor allem sind Nachbarn keine validen Informationsquellen.
Würde man eine öffentliche Relevanz vermuten können, könnte man selbstverständlich Recherchen anstellen. Aber nicht alles, was man hört, ist es wert, veröffentlicht zu werden. Nicht alles, was man sonst wie erfährt, geht die Öffentlichkeit unbedingt etwas an. Ob die Mutter einer Nachbarin „seltsam“ vorkam oder nicht? Was soll das aussagen? Alle diese nichtssagenden Schnipsel sind keine Information, sondern hochgradig geeignet, die Würde des toten Mädchens und anderer zu verletzen.
Reine Sensationsgier
Dieser Aasgeier-Journalismus „greift also irgendwelche besonderen Traueraktionen GERNE auf“. „Die den Menschen helfen, DAS zu verarbeiten“. Gehts noch? Hier ist die Triebfeder nicht Information der Öffentlichkeit, sondern die herzlose Sensationsgier ohne Rücksicht auf irgendetwas. Das ist nicht nur beschämend, das ist eine Schande für den Berufsstand.
Mich macht das nicht traurig, sondern fassungslos. Journalismus ist wichtig für die Gesellschaft, kritischer allemal. Aber die Formal „TTT – Tiere, Titten, Tote und Kinder gehen immer“, ist das übelste, was die Branche zu bieten hat.
Wir werden unsere Leserschaft über alles Notwendige informieren, was man wissen muss. Aktuell ist das: Ein zehn Jahre altes Kind ist tot und wurde vermutlich Opfer eines Tötungsdelikt. Das ist tragisch genug und muss nicht mit irgendwelchem Zeugs „ausgeschmückt“ werden.