„Im Arsch“ – feat. Udo Lindenberg.
Ladenburg/Rhein-Neckar, 02. Juli 2012. (red/pro) Jan Delay ist aus unserer Sicht der Top-Star der deutschen Musikszene. Trotzdem veröffentlichen wir keine Konzertkritik. Der Grund ist eine unerfreuliche Auseinandersetzung mit dem Veranstalter Demi Promotion und der pressefeindliche Umgang mit unabhängigen Journalisten.
Von Hardy Prothmann
Nach dem Jan-Delay-Konzert stehe ich noch auf dem Platz. Plötzlich kommt ein Mann, will mich sprechen. Wie ich dazu käme, mich „nicht an die Regeln zu halten“. Ich hätte mir „unrechtmäßig“ Zugang verschafft. Mein Verhalten sei „asozial“ gegenüber anderen Journalisten. Ich solle sofort alle Bilder auf meiner Kamera löschen. Es gebe „klare Regeln“ und an die habe sich jeder zu halten. Der Mann hat sich nicht vorgestellt, ich frage deshalb, wer er eigentlich ist: „Gissel, ich bin der Veranstalter.“ Der Wutausbruch von Dennis Gissel dauert gute zehn Minuten, er heißt mich dies und jenes, zum Ende läuft er weiter und macht eine wegwerfende Handbewegung.
Indiskutable Einschränkung der Pressefreiheit
Der Grund für die Aufregung: Ich habe während des Konzerts ein paar Fotos gemacht – so wie die meisten anderen Gäste auch. Weil ich aber „professionell“ bin, ist mir das nur während der ersten drei Lieder erlaubt. Wer das vorschreibt, ob der Künstler, dessen Management oder der Veranstalter, ist relativ egal. Es handelt sich dabei um eine leider mittlerweile fast „normale“ Einschränkung der Pressefreiheit. Eigentlich vollkommen indiskutabel – weil viele Medien sich diesen unzumutbaren Diktaten aber beugen, kommen viele Management-Firmen und Veranstalter damit durch.
Der Hintergrund für das Verfahren: Das Interesse für den Künstler „dürfen“ Medien schon haben und über Presseveröffentlichungen gezielt und gesteuert Werbung durch Aufmerksamkeit für den Künstler machen. Aber die Vermarktung oder Imagesteuerung soll voll im Griff des Managements und der Veranstalter bleiben – ebenso die eigene künstlerische der Journalisten. Wer kritisch berichtet, wird auch schon mal nicht mehr „zugelassen“. Wer sich auf Unabhängigkeit beruft, wird in Kenntnis gesetzt, dass eine Veranstaltung privat ist und damit der „Hausherr“ bestimmt, was er zulässt und was nicht. Eine paradoxe Situation: Ohne Öffentlichkeit ist alle Kunst nichts – aber die öffentliche Meinung soll sich nur so bilden, wie es den Künstlern und deren Vermarktungsfirmen passt. Wer eine solche Haltung vertritt, hat das hohe Gut der Pressefreiheit nicht verstanden. Unabhängige Journalisten „nehmen anderen Künstlern“ nichts weg, sondern erarbeiten hart eigene Inhalte und bereichern damit die öffentliche Meinung und durch positive Berichte auch das Ansehen der Künstler. Negative Berichte können Künstler als „Warnzeichen“ sehen, dass etwas schief läuft, und wenn sie klug sind dazu nutzen, um sich und ihre Kunst zu verbessern.
Urheber beschneiden Urheber
In der Konsequenz beschneiden damit Urheber andere Urheber: Musikgruppen sind Künstler, Pressefotografen ebenfalls. Die erhalten für ein Foto, das in der Tagespresse veröffentlicht wird ein Honorar, das sich nach der Auflage richtet. Bei einer Zeitung wie dem Mannheimer Morgen rund 40 bis 50 Euro. Die von der Hirschberger Agentur Demi Promotion an die Fotografen übermittelten „Regeln“ besagen, dass der Fotograf nur in dem Medium veröffentlichen darf, für das er „akkreditiert“ also angemeldet und „zugelassen“ ist. Mithin hat der Fotograf keine Chance mehr, das mickrige Honorar durch weitere Verkäufe zu einem einigermaßen anständigen Honorar zu machen.
Manche Künstler zeigen dann gewisse Kostüme oder Show-Einlagen erst, wenn die Runde für die Pressefotografen vorbei ist. Jetzt übernehmen Fotografen, die vom Management oder Veranstalter gebucht sind. Deren Bilder sind „exklusiv“ und werden für sehr viel mehr Geld als Pressefotografen für ihre Arbeit erhalten, an Medien verkauft. Die machen das Spiel mit, weil sie keinen Fotografen vor Ort haben oder eben das „exklusive“ Bild bringen wollen.
In der Vergangenheit ist dieses Vermarktungssystem teils vollends pervertiert. Künstler oder deren Management gingen sogar so weit, jedes zu veröffentlichende Bild erst genehmen zu wollen und alle Bilder für sich selbst honorarfrei (!) verwenden zu wollen.
Knebelverträge
Ob Robbie Williams, Coldplay, Bon Jovi, Destiny’s Child, Fleetwood Mac, Bob Dylan und Böhse Onkelz oder Silbermond – nach Informationen der Journalistengewerkschaft DJV legen diese und andere „Knebelverträge“ vor nach dem Motto: Friß oder stirb. Das heißt, Du hälst die an die Regeln oder bist draußen.
Für wirklich journalistische Pressefotografen, also nicht die Eventknipser, die unkritisch alles mitmachen, kommt diese „Regelung“ einer beruflichen Kastration gleich. Denn seine „Sprache“ ist das Bild – will er also das Konzert „beschreiben“, muss er die Möglichkeit haben, von Anfang bis Ende zu fotografieren. Wenn er das nicht kann, wäre das so, als würde man auch schreibenden Journalisten „Regeln diktieren“, sie dürfen nur über die ersten drei Lieder schreiben oder die ersten drei Kapitel eines Buches oder das erste Drittel eines Kunstwerks. Das wäre absurd – aber es ist in der Veranstaltungsbranche die „Normalität“.
Dagegen gab es schon früher Proteste: Beispielsweise blieben Agenturfotografen Konzerten fern. Der Druck wirkte – sie wurden wieder für die volle Länge zugelassen. Aber nur sie – andere Fotografen nicht. „Solidarität“ ist unter Journalisten oft ein Fremdwort.
Schädliche Vermarktungsgier
Aus Sicht der Künstler oder auch Sportler (gerade beim Fußball geht es noch heftiger zu) mag die Vermarktungsgier zunächst in Ordnung sein – doch langfristig schadet man sich selbst, fehlt doch eine unabhängige und kritische Berichterstattung in Wort, Ton, Bild und Video. Gerade beim Sport entwickeln sich daraus mafiöse Systeme (aktuell in Italien, Tour de France, Boxsport usw.) und ausgerechnet die Künstler, die freie Systeme nutzen, um durch Gesten, Kleidung, Verhalten und ihre Musik auch provozieren, wollen die Freiheit anderer Künstler einschränken. Das ist pervers. Und dumm. In Ländern, wo es keine freie Presse gibt, hätten diese Künstler keine Chance, die meisten von ihnen würden unterdrückt und bis zum Tode bedroht (Salman Rushdie, Shahin Najafi). Die aufgestellten „Regeln“ bedrohen gerade kleine Medien oder freie Journalisten ebenfalls existenziell.
Wir haben das Management von Jan Delay angeschrieben und uns erkundigt, ob es wirklich der Wille des Künstlers ist, dass diese „Regeln“ durchgesetzt werden – vielleicht behauptet das ja nur der Veranstalter Demi Promotion um ein wenig „großer Veranstalter“ zu spielen. Wenn nicht, bin ich absolut enttäuscht von Jan Delay, dessen Musik und Performance ich als „Fan“ sehr schätze. Er ist ein ganz großartiger Künstler. Aber ich wäre sehr enttäuscht von ihm, wenn er tatsächlich die Pressefreiheit so gering achtet.
Für Jan Delay müssen aber nur 2.500 Fans ebenfalls enttäuschend gewesen sein – der Mann bekommt mit seiner tollen Band woanders weit mehr Zuschauer zusammen – ob hier die „Vermarktung“ des Veranstalters Demi Promotion nicht funktioniert hat? Wer weiß.
Demi Promotion haben wir übrigens schon mehrfach angeboten, bei uns Werbung für ihre kommerziellen Veranstaltungen zu schalten. Es gab nie eine Reaktion, dafür aber immer eifrig die Zusendung von „Presseinformationen“, die die Veranstaltungen kostenlos bewerben sollen. Einerseits tut man also so, als sei man Veranstalter eines für die Öffentlichkeit interessanten Events, dann aber ist man wieder „privat-kommerziell“ – eine seltsame „Auffassung“. Es geht bei solchen Konzerten sicher nicht ums Gemeinwohl, sondern klar ums Geschäft.
Unabhängiger Journalismus vs. „Partnerunwesen“
Vielleicht war Herr Dennis Gissel auch deswegen so ungehalten – weil wir als einzige Redaktion nicht nach seiner Marketing-Pfeife tanzen. Ob verwandtschaftliche Beziehungen von anderen Lokaljournalisten in Ladenburg und Mitarbeitern bei Demi Promotion oder die Medienpartnerschaften von Demi Promotion mit dem Mannheimer Morgen, „Lokalmatador“ und der Rhein-Neckar-Zeitung, die wir häufig für miese journalistische Leistungen kritisiert haben, auch eine Rolle spielen, darüber kann sich jeder selbst seine Gedanken machen.
Wir werden sehen, ob wir nach dieser Kritik künftig noch von Demi Promotion zu Veranstaltungen eingeladen oder zugelassen werden – auch darüber halten wir unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden. Für die nächste Zeit ist uns aber erstmal die Lust vergangen und wenn die „Regeln“ so bleiben, werden wir vermutlich weiter verzichten – klar, dass ich schade für die Fans und für alle, die unsere unabhängige Berichterstattung schätzen. Würden alle Medien im Raum mitziehen, würden sich die „Regeln“ schnell ändern – nur leider ist es mit der eigenen Achtung der Pressefreiheit, mit der Solidarität gegenüber einem unabhängigen Journalismus und dem eigenen Selbstverständnis einer unabhängigen Berichterstattung bei vielen Medien nicht besonders weit her.
Die Geschichte nach dem Jan-Delay-Konzert ging übrigens noch weiter: Kurz vor dem Ausgang passten mich zwei muskelbepackte Ordner drohend ab und verlangten, dass ich sofort alle Bilder meiner Kamera löschen sollte. Ich habe das verweigert und die Polizei hinzugezogen. Die klärte die nicht sehr hellen Ordner auf, dass man mich des Platzes verweisen, sicher aber keine Löschung der Bilder verlangen könne. Wegen des Vorgangs wurden meine Personalien „förmlich“ aufgenommen (die Polizisten kannten mich zwar, aber das nimmt dann seinen behördlichen Lauf). Ich konnte das Gelände ohne Platzverweis dann nach weiteren 20 Minuten unseliger Diskussion verlassen.
Fotografen-Vereinigung Freelens zu „Silbermond“
Der Tagesspiegel: „Abgeblitzt“ – über unsägliche Arbeitsbedingungen für Pressefotografen
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) über Knebelverträge
Unsere „Fotostrecke“ finden Sie auf dem Ladenburgblog.de
Anm. d. Red.: Zu Dieter Thomas Kuhn, ebenfalls von Demi Promotion veranstaltet, haben wir letztmalig eine Fotostrecke gezeigt. Darauf müssen die Künstler, die Knebelbedingungen diktieren, zumindest bei uns künftig verzichten.