Guten Tag!
02. Februar 2011. Die Ereignisse in Kairo sind nicht unser „Berichtsgebiet“ – wir schauen aber wie viele Menschen hier vor Ort auf das, was dort vor Ort passiert. Werden wir gut informiert? Daran gibt es erhebliche Zweifel, wie wir im Interview mit Christoph Maria Fröhder erfahren. Und immer, wenn die Ereignisse sich überschlagen, gilt die alte „Reporterweisheit“: „Traue keinem.“
Vorbemerkung: Der freie Journalist Christoph Maria Fröhder ist einer der renommiertesten deutschen Krisenreporter und investigen Journalisten. Er berichtet seit fast 40 Jahren von den „Brennpunkten“ der Welt – ob Kambodscha, Vietnam, Afghanistan, Angola, Kosovo oder Irak. Seine exklusiven Berichte haben sich nie am „Mainstream“ orientiert. Als Reporter in Bagdad stieß er 1990/91 zusammen mit dem Tagesthemen-Moderator „Hajo“ Friedrichs die Debatte an, welchen „Bildern“ man trauen kann. Zensur und Manipulation sind allgegenwärtig, vor allem in Krisengebieten – so die Mahnung. Fröhder ist ein vielfach preisgekrönter Journalist und lebt in Frankfurt/Main.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Fröhder, wie beurteilen Sie die aktuelle Berichterstattung in Deutschland über die Unruhen in Ägypten?
Christoph Maria Fröhder: „Mich stört vor allem der Mangel an Hintergrundgeschichten und vernünftigen Einordnungen, was da gerade vor sich geht. Bislang beschränken sich die großen Medien auf eine chronologische Berichterstattung. Dann ist das und dann ist das passiert.“
Hier passiert gerade Geschichte.
Warum ist eine intensivere Berichterstattung ihrer Meinung nach nötig?

Mittendrin und nie dabei: Christoph Maria Fröhder im Irak 2003. Bild: privat
Fröhder: „Ägypten ist ein Nachbarland – für alle Mittelmeerstaaten. Ägypten ist das wichtigste arabische Land in der Region mit der größten Armee und ein direkter Nachbar zu Israel. Und Ägypten ist ein Kulturland von herausragender Bedeutung. Und hier passiert gerade Geschichte.“
Was würden Sie versuchen, wenn Sie vor Ort wären?
Fröhder: „Das liegt doch auf der Hand. Das Militär hält sich bislang auffallend zurück und betont, dass Militär und Volk eins sind. Wie geht das? Hat Mubarak keinen Zugriff mehr auf das Militär? Wer entscheidet dann? Da muss man losziehen, Fragen stellen und sich das vom Militär erklären lassen.“
Das geht im Ausnahmezustand?
Fröhder: „Die Führungspersonen des Militärs sind überraschend gebildete Leute, die auch über ein entsprechendes Selbstbewusstsein verfügen – zumindest ist das meine Erfahrung. Ich war bei den Kontakten meist angenehm enttäuscht, dass meine Vorurteile widerlegt worden sind. Die sind überraschend offen, wenn man weiß, wie man sie zu nehmen hat. Außerdem nimmt man sie in die Pflicht.“
Wie meinen Sie das?
Fröhder: „Die Militärs wissen sehr wohl, was Medien bedeuten. Wenn man sie zu Aussagen vor der Kamera bekommt, nimmt man sie in die Pflicht, nämlich beim Wort. Und wenn es heißt, die Armee und das Volk sind eins, dann will ich das von einem hochrangigen Offizier hören und dokumentieren. Sehr spannend ist, wie das Militär sich verhält. Die Leute dürfen auf die Panzer und diese sogar mit Anti-Mubarak-Parolen besprühen. Man muss doch herausfinden wollen, warum das möglich ist. Oder auch die Gemeinsamkeit von Christen und Moslems. Das ist doch hochspannend und ein wichtiges Signal für die Zukunft.“
Recherche statt Märchen!
Wie sind Sie inhaltlich mit den verbreiteten Informationen zufrieden?
Fröhder: „Ich kann mich nur wundern, was alles geschrieben wird. Beispielsweise über Omar Suleiman, den eingesetzten Vize von Mubarak. Die „graue Eminenz“ wird fast schon heroisch verklärt. Dabei gibt es genug Hinweise, dass Suleiman als Geheimdienstchef in Folterungen und andere Verbrechen direkt verwickelt war. Dem sollte man mal nachgehen, statt Märchen nachzuerzählen.“
Was würden Sie noch vor Ort berichten?
Fröhder: „Natürlich über die Opposition, die Hoffnungsträger. Das schützt diese Leute auch vor Übergriffen. CNN ist es beispielsweise problemlos gelungen, ein 40-minütiges Interview mit ElBaradei zu bekommen, obwohl der unter Hausarrest stand. Wie das? Die sind hingefahren und habens im Garten hinterm Haus gemacht. Was ich bei ARD und ZDF gesehen habe, waren dagegen Schnittbilder während einer Demo, mit begrenzter Aussage.“
Was meinen Sie?
Fröhder: „Fast nur so genannte Aufsager und kaum selbstrecherchierte, selbstgedrehte Geschichten. Da hat Antonia Rados bei RTL mit Bildern von improvisierten Lazaretten der Muslimbruderschaft mehr gezeigt. Solche Geschichten wären nach meiner Einschätzung in den vergangenen Tagen immer möglich gewesen.“
„Man muss kritisch einordnen.“ Christoph Maria Fröhder
Waren die RTL-Bilder über die Lazarette der Muslimbrüder nicht zu unkritisch?

Spezialgebiet: Kontinuierliche Beobachtung. Christoph Maria Fröhder. Bild: privat
Fröhder: „Doch. Natürlich versuchen die sich dadurch ans Volk ranzumachen. Das muss man kritisch einordnen. Man muss aber auch herausfinden, ob sie wirklich für einen totalitären Gottesstaat stehen oder nicht. Die Muslimbrüder waren lange verboten und die Frage ist, ob sie nicht eine gesellschaftliche Gruppe sind, die ihren Platz suchen und haben und darüber muss man zutreffend berichten. Vermutungen und Klischees sind immer das Gegenteil von Information.“
Welche Berichte würden Sie sich noch wünschen?
Fröhder: „Wo sind die Hintergrundstories über die jugendliche Elite? Die Studenten, die jungen Vordenker? Oder die vielen gut ausgebildeten Frauen? Auch hier gilt die Frage: Haben die Ideen, was aus Ägypten werden kann und soll? Sind sie organisiert? Stehen sie dem Land zur Verfügung? Man muss vernünftigen Leuten eine Stimme geben, die sonst bei den Bildern in der Masse untergehen. Und was passiert eigentlich draußen auf dem Land oder in anderen Städten? Ich sehe fast nur Bilder vom Tahrir-Platz.“
Folklore vs. Journalismus.
Vielleicht liegt es daran, dass man die nicht kennt?
Fröhder: „Ganz bestimmt sogar. Das ist etwas, was ich schon sehr lange kritisiere. Klar, es wird hier und da aus Nordafrika berichtet. Aber was? Folkloristisches Zeugs. Eine kontinuierliche journalistische Beobachtung über die kritische Entwicklung zur Gewaltherrschaft kann ich nicht erkennen. Man muss Kontakte halten und pflegen. Ohne die versteht man nichts und kommt auch nicht zu den interessanten Menschen.“
Wie informieren Sie sich zur Zeit?
Fröhder: „Über CNN, ABC, Al Jazeera, aber vor allem über die New York Times oder auch El Pais und Le Monde. Da gibt es großen journalistischen Ehrgeiz.“
Der Blogger Richard Gutjahr ist kurzentschlossen von Israel nach Kairo geflogen. Halten Sie das für journalistischen Ehrgeiz und eine gute Idee?
Fröhder: „Ich kenne Herrn Gutjahr nicht. Es könnte für ihn problematisch werden, wenn er niemanden kennt, kein Netzwerk hat. Für ihn sehe ich auch ein wirtschaftliches Problem. Für Zimmer, Fahrzeug, Dolmetscher müssen Sie mindestens 500 Dollar pro Tag rechnen. Dazu kommen Übertragungskosten. Das kann schnell ein finanzielles Abenteuer werden. Ansonsten ist es natürlich richtig, vor Ort zu sein, aber nur, wenn man weiß, was man will und wer die Abnehmer sind.“
„Man kann nicht aus dem Stand über komplexe Vorkommnisse berichten.“
Hätten Sie das gemacht?
Fröhder: „Ich bin nicht über die Verhältnisse von Herrn Gutjahr unterrichtet. Ich kann für mich nur sagen, dass ich es immer abgelehnt habe, im Schnellschußverfahren aus einem Land zu berichten, in dem ich zuvor nie gewesen bin, zu wenig Wissen habe und keine Kontakte. Ohne diese Voraussetzungen ist eine hintergründige und verlässliche Berichterstattung nicht möglich. Man kann nicht einfach aus dem Stand über sehr komplexe Vorkommnisse berichten.“
Wird man noch ernst genommen, wenn man solche Aufträge ablehnt?
Fröhder: „Wer nachdenkt, sollte ernst genommen werden. Der Mut, einen Auftrag abzulehnen, ist leider nicht sehr entwickelt. Viele denken, sie können alles. Das Ergebnis sehen wir gerade.“
Auch die Tageszeitungen haben offensichtlich niemanden vor Ort. Warum?
Fröhder: „Weil die nicht miteinander reden und kooperieren und keinen Sinn für spannende Berichterstattung haben. Wer hindert die großen Zeitungen daran, ein Team zu schicken, das Kontakte hat, sich auskennt und fundiert von vor Ort berichten kann? Die Kosten? Das ist lächerlich. Man begnügt sich mit Agenturmeldungen.“
Das Internet hat erkennbar an Bedeutung zugenommen.
Wie beurteilen Sie das Internet und seine Rolle für die Berichterstattung?
Fröhder: „Es hat erkennbar an Bedeutung zugenommen. Das gilt für Informationen von Akteuren vor Ort genauso, wie für die Online-Redaktionen und Blogs der großen Redaktionen. Allerdings ist gerade das Niveau sehr schwankend. Wenn ich zum Beispiel lese, dass der Chef eines großen Mediums einen Diktator wie Mubarak kumpelhaft als „der Bursche“ bezeichnet, sträuben sich mir die Haare. Man muss nicht versuchen, sich durch eine solche Sprache jungen Menschen anzudienen. Die fallen auf solche Plumpheiten nicht herein. Sorge habe ich vor den vielen Videoaufnahmen mit Handies. Sie sind – auch wegen ihrer schlechten Qualität – sehr leicht zu fälschen. Hier sollten Redaktionen sehr zurückhaltend sein und solche Bilder nur in Ausnahmefällen übernehmen.“
Links:
Christoph Maria Fröhder, wikipedia, tagesschau.de, Spiegel: „Lösegeld und süßer Tee“
Richard Gutjahr, Gutjahr’s blog
Al Jazeera – Live-Übertragung
Anmerkung der Redaktion:
Wir haben verschiedene Links auf wikipedia gesetzt, das wir selbst für die Recherche benutzen – aber niemals den dort angegebenen Informationen „trauen“, solange wir keine anderen Belege für diese Informationen recherchiert haben.
Die freien Journalisten Christoph Maria Fröhder und Hardy Prothmann sind Gründungsmitglieder von Netzwerk Recherche. Sie kennen sich seit 1996.