Rhein-Neckar/Stuttgart, 05. Oktober 2014. (red) Sympathisiert die SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Wölfle mit antisemitischen Verschwörungstheoretikern? Nein, sagt sie. Sie habe das Video “Die Rothschild-Matrix” unbedacht am Frühstückstisch auf Facebook geteilt – ohne wirklich dessen Inhalt zu kennen. Reicht das als Erklärung für die Verbreitung von Hetzfilmen? Frau Wölfle verteidigte zunächst das Posting, um sich dann zu entschuldigen und ihre Facebook-Seite zu löschen. Das wirft Fragen auf – vor allem, da die offensichtlich medienkompetenzlose Abgeordnete auch Mitglied der NSU-Enquete ist, die kontrollieren soll, ob der Nationalsozialistische Untergrund auch in Baden-Württemberg aktiv war und welche Entwicklung der Rechtsextremismus im Land nimmt.
Von Hardy Prothmann
Das Teilen eines Videos der Facebook Seite „ Hinter den Kulissen“ hat für große Irritationen gesorgt. Das Video wurde am 30.September morgens beim Lesen von Nachrichten und Postings auf meinem Facebookaccount von mir angeklickt, ohne dass ich die Überschrift gesehen habe. Ich habe lediglich das Bild eines Gebäudes gesehen und war neugierig was sich dahinter verbirgt. Nach kurzer Zeit habe ich das Video beendet ohne mir es bis zum Ende anzuschauen.
Ich hatte den Eindruck, es gehe dort um die Kapitalverbreitung großer Banken etc., ich habe mich in der Tat weder mit dem Inhalt beschäftigt noch tatsächlich die Überschrift gelesen, es lief morgens während des Frühstücks nebenher, ich habe dem nicht wirklich Aufmerksamkeit geschenkt – ein großer Fehler.
Für mich blieb nur der Eindruck „Geld regiert die Welt“ und dann habe ich das Video genau mit diesem Kommentar geteilt. Zu keinem Zeitpunkt war mir bewusst, dass es hier um die sogenannte „Rothschild Matrix“ ging, da ich auf dem Handy die Überschrift gar nicht bemerkt habe.
Erklärung wirft jede Menge Fragen auf
So viel geballte mediale und politische Inkompetenz innerhalb weniger Zeilen zu formulieren, verschlägt einem dem Atem und wirft viele Fragen auf:
- Wieso liest Frau Wölfle eigentlich die Facebook-Seite “Hinter den Kulissen”? Die ist klar dubios, “verschwörungstheoretisch” und antisemitisch. Es gibt kein Impressum, es ist vollkommen unklar, wer sich dahinter verbirgt.
- Frau Wölfle klickt am Frühstückstisch zwischen anderen Nachrichten das Video an, angeblich ohne die Überschrift gesehen zu haben. “Die Macht der Rothilds” und die “Rothschild-Matrix” werden im Bild gezeigt und im Text gesprochen – innerhalb der ersten Sekunden des Videos. Frau Wölfle schaut das Video angeblich nicht bis zum Ende – aber sie “liked” es nicht nur, sie teilt es sogar mit Kommentar: “Geld regiert die Welt und alle schauen zu”.
- Wie viele “große Fehler” hat Frau Wölfle beim Teilen von Informationen, deren Inhalt sie nicht kennt, bereits in der Vergangenheit gemacht? Könnte es sein, dass sie ihre Facebook-Seite gelöscht hat, damit nicht noch andere “große Fehler” entdeckt werden?
- Handelt Frau Wölfle bei der Weiterverbreitung von “Inhalten” immer affektbezogen, weil sie “einen Eindruck” hatte?
- Frau Wölfle wiederholt, sie habe die Überschrift auf dem Handy nicht bemerkt. Im Film und durch den Sprecher wird dies aber gleich zu Beginn des Verschwörungsvideos benannt. Hat sie nicht hingeguckt? War der Lautsprecher aus?
In dem Video geht es um die typisch antisemitische “Weltverschwörung des jüdischen Kapitals”, das die Politik und die Medien steuern soll, Verschwörungs-Blabla eben. Zunächst hatte sich Frau Wölfle (Wahlkreis Emmendingen) überhaupt nicht entschuldigen wollen. In einer ersten Reaktion schrieb sie laut Screenshots der Seite Friedensdemowatch:
Als Erklärung, nicht als Entschuldigung, ist aber die Tatsache zu sehen, dass der eigentliche Urheber des Facebookeintrages wohl aus einem eher antisemitischen Umfeld kommt, das allerdings war mir nicht bewusst. Es wäre auch schwierig, bei jedem geteilten Beitrag erst den Hintergrund des Erstverfassers zu klären. Mir wurde mitgeteilt dass es hier wohl durchaus antisemitische Bezüge gibt.
Da ich aber annehme, dass Sie diesen Hintergrund kennen und aus diesem Grund meinen Beitrag als antisemitisch betrachten, habe ich für Ihre Empörung durchaus Verständnis. Da ich diesen Hintergrund aber eben nicht wusste und ich in meinem Posting auch keinerlei Anmerkung zur Religion dieser Familie hergestellt habe, sehe ich dies als unbegründet an, da meine Intention lediglich auf die finanzielle Verstrickungen gerichtet war.
Mit anderen Worten: Frau Wölfle war also nicht bewusst, dass die Seite “Hinter den Kulissen” antisemitische Inhalte hat? Und Frau Wölfle hält es für ein Argument, es sei “schwierig, bei jedem geteilten Beitrag erst den Hintergrund des Erstverfassers zu klären? Und nur, weil sie vollkommen ahnungslos durch Facebook stolpert, meint sie zunächst, das sei eine ausreichende Erklärung und eine Entschuldigung sei nicht nötig? Mein Frau Wölfle im Ernst, dass dieses Verschwörungsvideo auch nur im Ansatz geeignet ist, “finanzielle Verstrickungen” zu klären? Was meint Frau Wölfle eigentlich, wer hier “finanziell verstrickt” ist? Sicher nicht die Juden und die Rothschilds, denn das weist die anti-antisemitische Frau Wölfle ja von sich. Wer aber dann? Barack Obama oder Kanzlerin Merkel? Zu beiden Personen werden die unmöglichsten und beleidigende Inhalte auf der Seite gepostet.
Medienkompetenz? Bankrotterklärung!
Diese Bankrotterklärung in Sachen Medienkompetenz und Politik steht gegenüber, dass Frau Wölfle beispielsweise im Kuratorium der Landeszentrale für Politische Bildung ist. Dort kann man ganz aktuell die Schrift “Antisemitismus heute” herunterladen. Darin wird auch der soziale Antisemitismus beschrieben, den Frau Wölfle aus Versehen verbreitet hat.
Viel brisanter ist allerdings, dass die in Sachen Antisemitismus eher unbedarfte Abgeordnete Wölfle Mitglied der Enquete-Kommission “Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) / Entwicklungen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg – Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft” ist. Wenn Frau Wölfle schon nicht im Stande ist, eindeutig antisemitische Hetze zu erkennen, wie soll sie dann fremdenfeindliche und rassistische Muster erkennen, wie der NSU sie benutzt hat? Wie soll sie fachlich vernünftig urteilen können, wie sich der Rechtsextremismus in Baden-Württemberg entwickelt?
Facebook-Account gelöscht – wenn verlässt Frau Wölfle die Enquete?
Konsequenzen hat die gelernte Reisekauffrau Sabine Wölfle bereits bezogen. Sie hat ihren Facebook-Account gelöscht – ob aus Sorge, dass man noch was entdecken könnte oder weil sie zu der Überzeugung gelangt ist, dass sie keine Kompetenz hat, damit umzugehen, sei dahingestellt. Sie selbst schreibt:
Grundsätzlich stellt sich für mich die Frage nach dem Umgang mit Sozialen Netzwerken.
Für mich habe ich bereits die Konsequenz gezogen und werde selber nicht mehr aktiv bei Facebook sein, dieses Profil wurde daher gelöscht. Zu schnell teilt man etwas oder kommentiert ohne wirklich hinzuschauen, von mir als Mandatsträgerin darf man zu Recht mehr Sorgfalt erwarten. Die habe ich tatsächlich an diesem Morgen nicht walten lassen.
Für die Bürger/innen im Land stellt sich grundsätzlich die Frage der Besetzung der Enquete-Kommission. Frau Wölfle und die SPD wären sehr gut beraten, wenn sie das Gremium angesichts des Mangels an Sachverstand umgehend verlassen würde. Denn schon am 13. Oktober sollen vier “Sachverständige” von der Enquete gehört werden. Ansonsten bleibt die Frage, ob Frau Wölfle ebenso leichtfertig die eigenen Akten und Sitzungsvorlagen überfliegt und inwieweit sie anderen Verschwörungstheorien anhängt – antisemitisch wollte sie nicht sein, zu “Geld regiert die Welt” und “Kapitalverbreitung großer Banken etc.” (was auch immer das sein soll), steht sie weiterhin.
Die Seite Publikative.org kritisiert übrigens, dass der “Aufschrei” bei einem AfD-Politiker sicher hoch gewesen wäre. Außer dieser Seite hat bislang nur Ruhrbarone den Fall berichtet.