Rhein-Neckar/Stuttgart, 03. November 2014. (red/pro) Da muss man tief Luft holen, vor allem der Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Sckerl (Bündnis90/Die Grünen). Wenn der Bericht der Stuttgarter Nachrichten zutrifft, dann ist die Zukunft von Hans-Ulrich Sckerl als Obmann des NSU-Untersuchungsausschusses geklärt – es gibt keine. Die Zeitung lehnt sich weit aus dem Fenster, aber anscheinend liegen Belege vor, die ein zukünftiges Mitwirken des Weinheimer Abgeordneten in Sachen Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds definitiv ausschließen.
V0n Hardy Prothmann
Die Stuttgarter Nachrichten (hier der Artikel “Ein Quantum Wahrheit”, hier der Kommentar “Durchgeknallt”) berichten am heutigen Dienstag in der Printausgabe äußerst unliebsame Nachrichten:
“Mauscheleien”, “zurückgehaltende Gutachten”, “unrechtmäßige Akteneinsicht”, “Ausreden”, “Lügen”.
Die Vorwürfe richten sich in der Hauptsache gegen den Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, der auch innenpolitischer Sprecher der Grünen ist. Der Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Weinheim ist zudem Gemeinderat und auch im Kreisrat Mandatsträger. Herr Sckerl hatte in der Vergangenheit immer wieder Aufklärung der Verbrechen des NSU gefordert. Nur bei der Forderung eines Untersuchungsausschusses war er merkwürdig zurückhaltend mit Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD, der “nicht mitziehe“.
Untersuchungsausschuss kommt unter Turbulenzen
Nachdem der Enquete-Vorsitzende Willi Halder vor kurzem wegen der Weitergabe von Gutachten an die Grünen und der Vorenthaltung an die anderen Fraktionen zurückgetreten war, hat die SPD aktuell die Chance genutzt und nun einem Untersuchungsausschuss zugestimmt. Eine sehr überraschende Volte, die bislang in der Berichterstattung kaum gewürdigt worden ist.
Hintergrund für den Rücktritt und die “überraschende Wende” sind zumindest “Unregelmäßigkeiten” beim Umgang mit Rechtsgutachten im Auftrag des Vorsitzenden der Enquete-Kommission zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und dessen Treiben in Baden-Württemberg. Die Zeitung wirft dem Abgeordneten den illegalen Besitz des Gutachtens vor, Einflussnahme auf den Inhalt, ferner eine unbillige Einflussnahme auf seine Parteikollegen, Maulkörbe und Anstiftung zur Lüge. Der Vorsitzende Halder hatte sich juristisch beraten lassen, weil unklar ist, welche Personen der Enquete, also beispielsweise Ermittlungsbeamte, auskunftspflichtig sind. Während Sckerl Einfluss auf das Gutachten ausgeübt haben soll, hatten die Enquete-Mitglieder anderer Parteien keinen Einblick. Bis heute gibt es Zweifel an den durch die Bundesanwaltschaft untersuchten Umständen des Mordes an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter.
Fatal für Sckerl könnte sein, dass er als “Aufklärer” zumindest nach Darstellung der Zeitung vollkommen unglaubwürdig werden würde. Zumal als Obmann – also als privilegierter Vorsitzender der Fraktion im Ausschuss.
Sckerl weist Vorwürfe zurück
Hans-Ulrich Sckerl, der nach eigener Aussage den Bericht der Zeitung am Abend noch nicht kannte, sagte dem Rheinneckarblog.de auf Anfrage:
Die Vorwürfe der Einflussnahme sind völlig absurd. Es gab von Seiten von Willi Walder Aufklärungsbedarf, der hatte Rechtsfragen, weil er kein Jurist ist. Er hat das Gutachten von sich aus weitergeleitet. Ich habe das unter Verschluss genommen und damit nicht gearbeitet. Ich wusste nicht, dass die anderen Fraktionen das Gutachten nicht hatten.
Ganz im Gegenteil sei der Vorwurf ungeheuerlich. Die Stuttgarter Nachrichten schreiben nach dem uns vorliegenden Text:
Zumal der Parlamentarischen Geschäftsführer keinen Hinweis gab, dass Halder das Gutachten unrechtmäßig weitergab. Stattdessen arbeitete Sckerl sogar mit dem Dokument weiter.
Zudem werfe man in den Raum, so Sckerl, dass Beamte bestochen worden seien, ebenso der Gutachter. Hans-Ulrich Sckerl sieht parteipolitische Agitation der CDU am Werk:
Eine Einflussnahme auf den Gutachter hat es nicht gegeben. Auch, wenn das andere nun behaupteten.
Ob die Details je geklärt werden, liegt vor allem im Interesse von Hans-Ulrich Sckerl. Er ist in Baden-Württemberg die treibende Kraft, die die NPD verbieten lassen will. Er hat sich immer unzweifelhaft für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen, aber sich doch merkwürdig zurückhaltend und im Kern zweifelhaft mit einer Enquete-Kommission “zufrieden” gegeben. Das weiß jeder, der den wortstarken Abgeordneten kennt. Schuld war aus seiner Sicht die SPD, die, aus welchem Grund auch immer, keinen Untersuchungsausschuss haben wollte.
Keine Mauschelei, eine Mauschelei…
Eine erste “Mauschelei” von Sckerl allerdings war dabei das Verschweigen der Tatsache, dass die Grünen auch ohne die SPD einen Untersuchungsausschuss hätten haben können. Die Rücksichtnahme auf die SPD und die Einigung auf eine “Enquete” kann man im Sinne des “Koalitionsfriedens” noch verstehen, wenn auch Zweifel an der eindeutigen Positionierung des “Aufklärers” Sckerl klar werden mussten. “Überzeugungstäter” machen in solch wichtigen Angelegenheiten klare Ansagen und keine Kompromisse.
Wenn die Vorwürfe der Stuttgarter Nachrichten aber zutreffen, dann ist die Personalie Sckerl im Untersuchungsausschuss nicht mehr haltbar. Dann würden Vorteils- und Einflussnahme im Raum stehen und das Vertrauensverhältnis im Untersuchungsausschuss, über den am Mittwoch im Landtag beschlossen werden soll, wäre von Anfang an massiv gestört.
Enormer Druck auf die Enquete-Sitzung
Aus Sicht von Hans-Ulrich Sckerl kann es kaum verwundern, dass die Vorwürfe der Stuttgarter Nachrichten am Tag vor einer nicht-öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission gestreut werden. Das erzeugt einen immensen Druck und lässt kaum Zeit zur Aufklärung. Und selbst wenn sich Herr Sckerl insgesamt, so wie er sagt, absolut korrekt verhalten haben sollte, vermisst man seinen Widerspruch im Vorfeld gegen andere, die sich nicht korrekt verhalten könnten.
Ganz besonders wichtig ist die Aufklärung für Hans-Ulrich Sckerl vor allem, weil er sich bislang als absoluter Saubermann dargestellt hat. Vor allem in Kontradiktion zur CDU und dem früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Wer moralische Hürden hoch und sogar sehr hoch legt, muss jederzeit in der Lage sein, diese Höhe mühelos zu überwinden. Wer – auch im Sinne der “Aufklärung” – außerhalb des Protokolls tätig werden sollte, verletzt die Spielregeln massiv und kann nicht auf deren Einhaltung pochen, sondern wird unglaubwürdig.
Moral muss man einhalten
Wer die moralische Höhe reißt, wird disqualifiziert. Hans-Ulrich Sckerl hat nun zwei Möglichkeiten: Er kann politisch oder juristisch nachweisen, dass die Vorwürfe gegen ihn haltlos sind oder konsequent kein Mitglied des Untersuchungsausschusses werden, statt später als Obmann zurücktreten zu müssen. Vom Aufklärer Sckerl ist nun ein klares und konsequentes Verhalten nicht nur erwartbar, sondern dringend geboten, wenn es ihm wirklich um Aufklärung und nicht nur um Macht geht.
Wenn er versuchen sollte, die Situation auszusitzen, dann würde er das Erbe der CDU antreten – das wäre noch fataler als eine Verfehlung.
Und noch fataler wäre es, wenn die ordentliche Aufklärung der NSU-Verbrechen und Verbindungen nach Baden-Württemberg ein Opfer parteipolitischer Strippenzieherei würde.
Anm. d. Red.: Bericht und Kommentar der Stuttgarter Nachrichten erscheinen am Dienstag, 04. November in der Printausgabe der Zeitung. Sofern es eine Verlinkungsmöglichkeit gibt, reichen wir das nach. Wir bemühen uns um eine genehmigte Textübernahme im Sinne der Transparenz für die Leser/innen, die nicht in Kaufreichweite der Zeitung sind.