Mannheim/Rhein-Neckar, 20. Juni 2014. (red/hp) Zwei Stunden lang pure Lust an der blanken Bosheit. Der Satz reicht, um das ganz und gar grandiose Stück „Krieg der Geranien“ zu beschreiben. Die bitterböse Komödie von Markus Beisel hat das Zeug, der absolute Renner auf deutschen Bühnen zu werden. Man amüsiert sich selbst dann noch köstlich, wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt.
Von Hardy Prothmann
Der Meister des alltäglich Bösen oder bösen Alltags hat einen Namen: Markus Beisel. Der Tausendsassa des Rhein-Neckar-Theaters hat mit „Krieg der Geranien“ ein Stück auf die Bühne gebracht, wie man es selten erlebt. Durch und durch lebendig, obwohl der Schauplatz nur zwei Balkone sind. Rasend schnell, obwohl der Raum begrenzt ist. Brüllend komisch, obwohl alles eigentlich bitterböse ist. Und mitreißend, weil es mitten aus dem Leben ist.
Maggi und Mirco beziehen eine neue Wohnung. Maggi ist eine moderne, ehrgeizige und sehr gut aussehende junge Frau, verheiratet. Sie zieht mit ihrem neuen Freund Mirko ein, der sich als Texter durchschlägt. Die Antagonisten sind Erna und Willy, seit 30 Jahren verheiratet, Spießer vor dem Herrn und zu jeder Niedertracht bereit.
Der Konflikt beginnt mit dem ersten Nagel, den der ungeschickte Mirko in die Wand zu schlagen versucht. Der Sündenfall ist die vermeintliche Ruhestörung. Während Mirko versucht, die sich immer schneller eskalierenden Konfliktstufen zu entspannen, sinnt Maggi schon nach kurzer Zeit auf Rache gegen diese Allianz der kleingeistigen Blockwarte in der Nachbarwohnung. Beide ahnen bis zum Ende nicht, dass sie chancenlos bleiben werden gegen die verbündete Bosheit der Eheleute Zimmermann.
Selbst ein wasserdichter Vibrator vermag die vertrocknete Erna nur kurz zu beglücken. Natürlich im Geheimen – was sonst. Jede noch so widerliche Unterstellung, die die Zimmermanns den neuen Nachbarn vorwerfen, toppen sie selbst – der scheinbar so rechtschaffene Willi holte sich als früherer Ordnungsamtsmitarbeiter einen Tripper, vermutet aber, dass Maggi einen Puff in der Wohnung aufmachen will, nur weil sie mit Sexspielzeug und Dessous handelt. Mirko wird als verkappter Schwuler gebrandmarkt – selbstverständlich nicht ohne die Sorge vor „schlimmen Krankheiten“ zu thematisieren. Erna gibt die aufrechte zweifache Mutter, doch ihre Kinder haben längst das Weite gesucht, um der kaltherzigen Schranze zu entfliehen.
Maggi ist Vegetarierin – vollständig im Kontrast zur Innereien kochenden Erna. Hier die feine Spitze, dort der geschmacklose Woolworth-Badeanzug. Mirko in Boxershorts versus einen Hosenträger-Schmerbauch, der in seiner kleinen Denunziationsbibel alles notiert, womit er anderen Menschen via Anzeige das Leben zur Hölle machen kann.
Links das moderne Leben – rechts die humorfreie Ignoranz
Links das moderne Leben, rechts die humorfreie Ignoranz. Constanze K. Langhamer gibt die quirlige Maggi mit Hang zur hysterischen bindungslosen Selbstverwirklichung, Danilo Fioriti den devot-tolpatschigen heutzutage typischweise nicht erwachsenen Endzwanziger Mirko, Petra Mott beherrscht als Erna das Lächeln des bösen Blicks als frigides Miststück perfekt und Michael Hanreich bringt den deutschen Willi so echt auf die Bühne, dass es einen schaudern lässt. Die Bühne ist minimalistisch ausgestattet und bietet doch jede Menge Details zur Interaktion. Handwerklich kann man kaum besser arbeiten.
Zehn Akte hat Markus Beisel gewählt, um die Geschichte in Szene zu setzen. Plus eine Nachszene. Klassischer kann man vordergründig den Dramenaufbau nicht verletzen – dabei ist es eigentlich ein Fünf-Akter, nur anders erzählt. Er verdichtet den Handlungsraum auf zwei kleine Balkone und öffnet ihn gleichzeitig um Wohnungen, Nachbarschaft und Straße. Im „engeren“ Sinn wird ein Nachbarschaftsstreit aufgeführt – Text und Handlung erweitern den Inhalt um zeitgenössische Gesellschaftsthemen wie sexuelle Selbstbestimmung, gesunde Ernährung, Beziehungsmodelle, Berufsleben, Zusammenleben der Kulturen und Privatspähre.
Die Dialoge sind quietschkomisch böse, natürlich hier und da anzüglich, sonst wäre es kein Stück von Markus Beisel. Ganz großartig ist die lebensnahe, zotenfreie Komposition, die mal so gar nichts mit deutschem schenkelklopfenden Volkstheater zu tun hat. Das ist große Kunst – anscheinend trivial, aber doch psychologisch fein gewoben, mit offenem Blick dem Leben entnommen und voller Liebe als Stück für die Bühne neu geboren.
Den Erfolg eines Stücks misst man am besten an den Reaktionen des Publikums. Als hätte der Autor und Regisseur über seine vier Schauspieler das Publikum verzaubert, lachte das ausverkaufte Haus an den besonders bösen Stellen besonders böse, an den besonders lustigen Stellen besonders belustigt und an den besonders unglaublichen Stellen ganz besonders ungläubig. Immer wieder Szenenapplaus und zum Schluss ein großer Applaus im Stehen ließen keinen Zweifel, dass der „Krieg der Geranien“ ein klasse Erfolg ist.
Das Ende wird nicht erzählt – niemand kann es erraten. Nur soviel: Manchmal spielt einem das Leben böse mit. Man nennt das dann Schicksal, umweht vom Duft der Balkonblumen.
„Krieg der Geranien“ ist ein Muss für alle Theaterfreunde, die Sinn für schwarzen Humor haben, die modernes, lebendiges Theater erleben wollen und vor allem Lust haben – auf einen großartigen humorigen Abend voller Überraschungen.
Weitere Aufführungen: 20., 21., 22. Juni, 11., 12. Juli und dann wieder ab Oktober. Tickets können hier bestellt werden. Mehr Infos zum Rhein-Neckar-Theater.
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