Mannheim/Ilvesheim/Rhein-Neckar, 15. Januar 2016. (red/ms) Die Aufarbeitung dauert an: Lange nicht alle Verbrechen gegen Juden während der NS-Zeit wurden aufgeklärt. Kaum jemand will etwas gewusst haben – fast alle haben sich schuldig gemacht. Durch umfangreiche Aktenvernichtungen nach Kriegsende gestaltet sich die Rekonstruktion schwierig. Der Historiker Markus Enzenauer arbeitet akribisch an der Aufklärung der Arisierung in Ilvesheim. Eine Fleißarbeit, die er am vergangenen Montag vor rund 70 Zuschauern vorgestellt hat.

Rund 70 Besucher sind beim Vortrag anwesend – dem Aussehen nach zu urteilen sind davon höchstens vier jünger als 30 Jahre alt.
Von Minh Schredle
Viele Deutsche wollen vergessen. Oder sich nicht mehr damit konfrontieren:
Irgendwann muss auch mal Schluss sein.
Das hört man in eigentlich jeder Diskussion, wenn es um die Aufarbeitung von Verbrechen aus der NS-Zeit geht. Dabei sind etliche Gräueltaten nie aufgeklärt worden. Der Deportation und dem Genozid gehen Jahrzehnte der Ausgrenzung und Diskriminierung voran: Verdrängung, Ächtung, Boykott-Aufrufe und Enteignungen, um nur Beispiele zu nennen.
Mangelhaftes Interesse
Auch nach Kriegsende war das Interesse, Entschädigungen und Wiedergutmachung für Überlebende oder deren Nachfahren zu leisten, sehr überschaubar. Vieles wird nie aufgeklärt werden können, da entscheidende Akten nach Kriegsende vernichtet worden sind. Und selbst wenn es noch Material gibt, ist das oft unvollständig. Eine umfassende Rekonstruktion ist für jeden einzelnen Fall eine Fleißarbeit.

Viele Erkenntnisse von Herrn Enzenauers Forschungen sind mindestens “unbequem” für die Geschichte Ilvesheims.
Der Historiker Markus Enzenauer macht sich diese Mühe. Er untersucht im Rahmen eines Forschungsprojekts, das noch bis Mai andauern wird, “Aspekte der Arisierung in Ilvesheim” unter den Leitfragen: Was geschah nach der Verdrängung der Juden mit ihrem Vermögen? Wer hat daraus Profit gezogen? Und welche Versuche für Wiedergutmachung wurden bis heute unternommen?
Dafür erforscht Herr Enzenauer die Geschichte der Juden in Ilvesheim zurück bis ins 18. Jahrhundert. Er hat Tausende Aktenseiten durchwälzt, das ganze Land bereist, um Informationen zu erhalten. Sein Ziel ist: Jedes Einzelschicksal der jüdischen Gemeinde Ilvesheims so weit wie möglich aufzuklären.
Wie wird Ilvesheim reagieren?
Die bisherigen Ergebnisse sind nicht unbedingt “schmeichelhaft” für die Geschichte Ilvesheims. Am Mittwoch stellte Herr Enzenauer im Collinicenter einen Zwischenbericht zu seinen Forschungserbebnis vor. Ein Urteil:
Nicht nur die Gemeindeverwaltung hat sich schuldig gemacht. Mindestens die Hälfte der Ilvesheimer Bevölkerung sollte nachweislich ein sehr schlechtes Gewissen haben.
Eine große Mehrheit habe aus der Diskriminierung von Juden persönlichen Profit geschlagen. Und auch nach Kriegsende war der Umgang mit ehemalig jüdischem Eigentum alles andere als erbaulich. So habe man beispielsweise den alten jüdischen Friedhof so stark verkommen lassen, dass er zu den verwahrlosesten in ganz Süddeutschland gehört haben soll, berichtet Herr Eisenauer.
Im Mai kommt das Forschungsprojekt nach rund zwei Jahren Laufzeit zu einem Ende. Es wird spannend sein, zu sehen, wie mit den Erkenntnissen von Herrn Eisenhauer umgegangen wird – denn viele davon sind mindestens unbequem und werfen kein gutes Licht auf die ehemalige Gemeindeverwaltung und Bevölkerung.
Welche Versuche der Wiedergutmachung wird Ilvesheim unternehmen?