Mannheim, 10. Juni 2014. (red/ld) Wie schreibt man über ein Konzert, das eigentlich ein Naturereignis war? Die 32-jährige Irin Wallis Bird erfasste beim Seebühnenzauber im Luisenpark ihr Publikum wie eine Welle und ließ es nicht mehr los: Vom ersten Song bis nach der letzten Zeile. Der Auftritt in Mannheim im Rahmen ihrer Architect-Tour ist für sie so etwas wie ein Heimspiel.
Von Lydia Dartsch
Ich sehe aus wie dieser verdammte Typ aus Star Wars,
sagt die sympathische Sängerin und meint damit Luke Skywalker. Das Publikum im schönen Rund der ausverkauften Seebühne lacht. Wallis Bird trägt eine weiße Wickelbluse, die sie aber nicht gebunden hat, sondern mit einem braunen Gürtel zusammenhält. Die Schluppen, mit denen die Bluse normalerweise zusammengebunden wird, baumeln über ihrer mit Leopardenmuster bedruckten Leggings. Ihre roten Haare trägt sie ungestylt und mit einem Undercut streng gescheitelt. Hinter ihrem rechten Ohr kommt eine lange gefilzte Dreadlock-Strähne zum Vorschein, die ihrer Erscheinung eine Extravaganz und eine gehörige Portion Punk verleiht. Die lange Strähne liegt auf ihrer Brust, aber da liegt sie nicht lange.
Denn Wallis Bird geht von Anfang an in die Vollen. Sie schont weder ihr Publikum, noch ihre rauchige Stimme, die mal kräftig singt, mal schreit, mal kreischt. Die Stahlsaiten ihrer Gitarre halten ihr Spiel nicht mal den ersten Song aus, bevor sie reißen. Aber das Naturereignis Wallis Bird spielt weiter. Ihre Musik erfasst sie selbst und ihr Publikum wie eine Welle und reißt alle mit. Sie ist unermüdlich. Man ist fast schon dankbar für die kleinen Verschnaufpausen, die sich bieten, wenn sie ihre Gitarre wechselt.
Aber auch dann hört sie nicht auf, ihr Publikum zu begeistern: „Mannheim!“ ruft sie ihm zu und erzählt wie toll es sei endlich wieder hier zu sein. Drei Jahre lang habe sie hier gelebt. Sie hat an der Popakademie studiert und dort ihre Band und viele Leute getroffen, mit denen sie noch heute viel zusammenarbeitet. Den Organisatoren des Maifeld Derbys zum Beispiel, bei dem sie bereits als Hauptact aufgetreten ist. Gewohnt hatte sie in der Langen Rötterstraße in der Neckarstadt-Ost. „Der Saki vom Rhodos war mein Vermieter. Sehen wir uns nachher dort?“ lädt sie die Menschen zur Aftershowparty in den Jungbusch ein.
Und die sehen so aus, als wäre das die nächste Station des Abends: Die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Manche auch ein paar Jahre älter. Die wenigsten sind über 40. Es sind Gesichter, die man aus dem Jungbusch und der Neckarstadt kennt. Sie alle haben Spaß, sind mitgerissen, stehen nach und nach auf, fangen an zu tanzen. Als nach dem vierten Song noch nicht alle stehen, fragt sie:
Wollt Ihr das ganze Konzert sitzen bleiben? Macht ruhig, wenn Ihr Euch so wohl fühlt.
Dann stehen auf einmal alle und lassen sich mitreißen von diesem Naturereignis, das Wallis Bird heißt. Sie tanzen auf ihren Plätzen. Manche gehen nach vorne, wo mehr Platz ist. Die Musikerin kann machen, was sie will. Das Publikum jubelt ihr ohnehin zu. Sie spricht fließend Monnemerisch, sagt Dinge wie „Hajo!“ und „Isch weeeß es net.“ Das Publikum jubelt. Nach einem Schluck Bier rülpst sie kurz in ihr Mikrophon. Alle sind begeistert.
Musikalisch zeigt sie alles, was sie drauf hat: Die typischen gitarrenlastigen Songs ihrer Anfangszeit wie bei „Blossoms“ zum Beispiel. Als sie die Stücke ihres aktuellen Albums „Architect“ spielt, lässt sich deutlich die Entwicklung erkennen, die sie in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Sie ist elektronischer geworden und unbändiger: Als sie „I Can Be Your Man“ anstimmt, singt sie zunächst einen Klangteppich mit ihrem Loop-Gerät ein, das die Rhythmen in Dauerschleife spielt, bis ihre Band einsteigt. Nach „Holding a Light“ bricht der Samba aus. Wallis trommelt auf ihren Gitarrensaiten und springt dann zum Schlagzeug und trommelt dort weiter.
Knapp zwei Stunden begeistert sie so ihr Publikum und wirbelt über die Bühne. Zwei obligatorische Zugaben spielt sie noch: „The Circle“ und „River of Paper“, das sie der Mannheimer Rockröhre Joy Fleming widmet: „I love her. Oh Joy“, seufzt sie. Dann fallen ihr die Frösche im See auf, die schon zuvor bei einer Ballade mitgequakt hatten. „Habt Ihr sie gehört?“ fragt sie und fängt an mit ihnen zu musizieren: Sie singt vor. Die Frösche quaken. Call and Response. Wallis freut sich, lacht und ringt um Fassung, um das Lied zu singen. Ein Niesen reißt sie aus dem Anfangston: „Gesundheit, Schatz“, sagt sie einer jungen Frau in der ersten Reihe und fügt hinzu: „Du hast grüne Haare. Da bist Du nicht so anonym.“ Das Publikum lacht. Dann geht es weiter.
Aber damit geben sich ihre Fans nicht zufrieden. Selbst als die Hintergrundmusik schon spielt und alle nach Hause gehen sollen, bleiben alle da. Sie klatschen, jubeln und rufen nach einer weiteren Zugabe. Und Wallis Bird gewährt sie ihnen. Ganz leise fängt sie an zu singen. Ohne Mikrofon. Ohne Verstärkung. Man hört sie singen und die Frösche quaken. Sie wird lauter. Ihre Fans singen mit und nach und nach kommt ihre Band dazu. Danach sind alle zufrieden und gehen in Richtung Ausgang. Lassen sich aber noch auf der Wallis-Welle treiben: Auf ihrem Nachhauseweg unterhalten sie sich über das, was sie gerade erlebt haben. Das Ereignis Wallis Bird.