
Chefredakteur Hardy Prothmann sagt: „Gib Salonrassisten keine Chance – egal, ob Buch-Millionären wie Thilo Sarrazin (SPD) oder Hinterwäldlern wie einem Schriesheimer Stadtrat Adrian Ahlers (CDU).“
Schriesheim/Rhein-Neckar, 30. Juli 2013. (red) Heute ist uns durch die Heidelberger Kanzlei Schlatter eine Unterlassungserklärung zugegangen. Die Anwälte fordern im Auftrag ihres Mandanten, des CDU-Stadtrats Adrian Ahlers, dass wir eine Formulierung in einem Artikel über die Debatte zur „Willkommenskultur“ in der vergangenen Gemeinderatssitzung unterlassen sollen. Das werden wir nicht tun.
Sehr geehrter Herr Stadtrat Ahlers,
ich werde von meiner Meinung, wie ich Ihre Aussagen im Gemeinderat der Stadt Schriesheim in der Sitzung vom 25. Juli 2013 verstanden habe, nicht abrücken und ich werde es nicht unterlassen, diese Meinung öffentlich zu äußern.
Ich erkläre Ihnen und der Öffentlichkeit sehr detailliert warum – weil es mit einer knackigen Stammtischpaole nicht getan ist.
Ihre Behauptung, ich würde „unwahre Tatsachenbehauptungen“ verbreiten, ist falsch.
Sie haben vorsätzlich Frau Tuncer angegriffen und behauptet, die Stadträtin würde die deutsche Staatsbürgerschaft als „Krankheit“ beschreiben und „herunterziehen“ – nach einer engangierten, emotionalen und persönlichen Argumentation von Frau Tuncer, die aus ihrem früheren Leben als Türkin in Deutschland erzählt hat und die aus Überzeugung und freiem Willen Deutsche geworden ist, zusammen mit ihrem Mann.
Frau Tuncer hat als Deutsche zwei deutsche Kinder auf die Welt gebracht und ist ein außerordentlich engagiertes Mitglied der Schriesheimer Gesellschaft und bringt sich als Kreisrätin zudem für viele Gemeinden durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit ein. Sie ist eine moderne, lebensfrohe Frau und ist durch ihre Kenntnis der türkischen Kultur und Sprache sowie ihrer Entscheidung, Deutsche sein zu wollen, eine ganz besonders wichtige Vermittlerin zwischen den Kulturen.
Jemandem, der bereit ist, seine durch Geburt erhaltene Staatsbürgerschaft aufzugeben und eine neue anzunehmen, gebührt außerordentlicher Respekt. Das ist eine Entscheidung von hoher Tragweite.
Vielleicht erinnern Sie sich an den FDP-Antrag, der eingebürgerte Deutsche durch Handschlag des Bürgermeisters besonders ehren will. Und was machen Sie? Sie behaupten in öffentlicher Gemeinderatssitzung, Frau Tuncer, eine frühere Türkin und seit 13 Jahren eingebürgerte Deutsche würde die deutsche Staatsbürgerschaft als „Krankheit“ bezeichnen und diese „herunterziehen“? Sie behaupten also tatsächlich, dass jemand, der eine solche Entscheidung trifft, diese als „krank“ bezeichnet?
Ihre diskriminierende Behauptung, Herr CDU-Stadtrat Ahlers, ist nicht nur dummes Geschwätz angesichts des Lebenswegs und konkret der Redebeiträge von Frau Tuncer, sondern respektlos, unwürdig und perfide.
Sie bringen Schande über den Gemeinderat als Ort bürgerschaftlicher Vertretung und Hauptorgan der Gemeinde, indem sie unverhohlen Frau Tuncer falscher Aussagen bezichtigen und sie damit zu beschädigen versuchen. Sie reißen diese wunderbare Stadt an der Bergstraße mit Ihrem hohlen Unsinn ins Mittelalter zurück.
Was denken wohl nicht-eingebürgerte Ausländer, wenn diese erfahren müssen, wie Sie mit eingebürgerten Deutschen verfahren? Haben Sie sich diese Frage mal gestellt?
Und das im Umfeld einer Debatte zur „Willkommenskultur“ in Schriesheim. Habe die Ehre. Ist Ihnen eigentlich klar, wie absurd Ihr Verhalten war und ist? Sind Sie noch bei Verstand?
Und jetzt behaupten Sie, ich hätte Sie „unwahr“ zitiert? Geht’s noch? Das Umfeld und der Wechsel der Ansprache von „Sie“ auf „Du“ machen eindeutig klar, dass Ihre „Aussage“ gemeint ist, also nicht das Gesagte, sondern das Gemeinte. Das fiktive Zitat ist eine Übersetzung dessen, was Sie gesagt haben und wie ich und andere es verstanden haben.
Und ich kann mich sehr gut erinnern, wie Sie sich verhalten haben. Sie haben dieses blöde Zeugs von der „Krankheit“ und „herunterziehen“ abgesondert, haben sich, offenbar „erregt“ zurück in den Stuhl geworfen, um sich dann vorzubeugen, um einen Blick auf Frau Tuncer zu werfen. Sie wollten gerne erleben, wie die Frau auf Ihre Zumutung reagiert.
Mit Verlaub, Herr Ahlers, Ihre Rede und Ihr Verhalten sind widerwärtig. Sie können nicht stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein, so wie Sie sich verhalten. Ich persönlich schäme mich als guter Deutscher für jeden wie Sie, der vorgibt ein ehrbarer Deutscher zu sein und doch nur ein Scharfmacher ist, darauf aus, die dumpfen Stammtische zu erreichen.
So jemanden wie Sie braucht Deutschland nicht. Am allerwenigsten die eingebürgerten Deutschen.
Ganz im Gegenteil – Deutschland braucht dringend sehr viele Ausländer, um nicht in allergrößte Schwierigkeiten zu geraten. Und zwar ganz egal, ob sie Ausländer bleiben oder sich einbürgern lassen. Das Stichwort heißt demografische Entwicklung. Das haben Sie vermutlich noch nicht im Ansatz verstanden. Und der notwendige Zuzug von Ausländern ist vollkommen unabhängig davon zu betrachten, ob sich diese Menschen für eine Einbürgerung entscheiden oder nicht.
Ihre Anwälte teilen mir mit, ich hätte Sie durch das fiktive Zitat, in dem ich das wiedergebe, was ich verstanden habe, in Ihrer Ehre verletzt und die Darstellung sei geeignet Ihr berufliches Fortkommen zu behindern.
Andersrum wird ein Schuh draus: Nicht meine Darstellung ist geeignet Ihre Ehre zu verletzen, das haben Sie mit Ihrem Angriff selbst besorgt. Und was das berufliche Fortkommen angeht – es gibt in Deutschland (leider) durchaus jede Menge Karrieremöglichkeiten für Menschen mit fremdenfeindlichen Einstellungen. Man kann sogar wie Herr Thilo Sarrazin (SPD) ein äußerst erfolgreicher Buchautor, gefragter Redner und Millionär werden.
Der Unterschied zwischen Ihnen, Herr Ahlers, und Herrn Sarrazin ist – der Salonrassist Sarrazin steht zu seinen Äußerungen. Man kann ihm Vieles vorwerfen – nur keine quengelige Feigheit.
Oh, Herr Ahlers, wenn Sie nun verstanden haben sollten, ich hätte behauptet, Sie wären ein quengeliger Feigling, dann haben Sie das so interpretiert. Denn geschrieben habe ich das nicht.
Wenn Sie einen Restfunken Ehre im Leib haben, entschuldigen Sie sich umgehend bei Frau Tuncer und erklären öffentlich, dass Ihnen Ihr Ausfall leid tut. Die Begründung wird nicht einfach sein, aber Sie haben ja mit der Kanzlei Schlatter einen professionellen Ratgeber, der Ihnen sicher weiterhilft.
Je schneller und je glaubwürdiger Sie das tun, umso eher helfen Sie sich selbst aus der Klemme, in die allein Sie sich gebracht haben.
Bis zum Beweis des Gegenteil halte ich Sie für latent rassistisch und fremdenfeindlich und werde das weiter so behaupten. Selbstverständlich würde ich Ihre Entschuldigung gegenüber Frau Tuncer auf dem Schriesheimblog.de und auf dem Rheinneckarblog.de kostenfrei veröffentlichen.
Sie, Herr Ahlers, entscheiden, ob Sie Ihren Ausfall möglichst schnell und möglichst geräuschlos als „bedauerlichen Fehler“ zurückziehen oder weiterhin behaupten wollen, was Ihre Anwälte schreiben:
Unser Mandant hat lediglich im Rahmen einer Diskussion gegenüber Frau Tuncer geäußert, dass eine ihrer Formulierungen den Eindruck erwecke, als wäre die deutsche Staatsbürgerschaft eine Krankheit. Keinesfalls lässt diese Aussage unseres Mandanten den Schluss zu, er akzeptiere und respektiere Frau Tuncer nicht.
Sehr geehrter Herr Stadtrat Ahlers! Sie behaupten in einer ehrenwerten, öffentlichen Sitzung des Gemeinderats „eine Äußerung“ von Frau Tuncer habe „den Eindruck erweckt, die deutsche Staatsbürgerschaft sei eine Krankheit“ und lassen diese Diffamierung nochmals durch Ihre Anwälte schriftlich wiederholen. Und Sie wollen von mir eine Unterlassungserklärung, dass ich nicht den Eindruck haben darf, wie ich Ihren Angriff deute? Gucken Sie mal in den Spiegel und fragen sich, wie widerlich der Typ ist, der Sie da anschaut.
Haben Sie das „Sehr geehrter“ gelesen? Was meinen Sie? Meine ich das ernst oder ist es eine Floskel wie Ihre einleitenden Worte an Frau Tuncer „Ihre Erfahrungen in allen Ehren akzeptiere ich gerne,“ bevor Sie die Keule rausgeholt haben?
Wenn wir in einen Rechtsstreit gehen, wird sicherlich die Aussage von Frau Tuncer und anderer Stadträt/innen sowie des Bürgermeisters eine Rolle spielen, ebenso wie der Wortlaut der Diskussion, die ich mitgeschrieben habe und entsprechend dokumentieren werde. Dabei wird sicherlich ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, welche Äußerungen von Frau Tuncer Anlass gegeben haben könnten, Ihren „Krankheit“-Vorwurf und das „Herunterziehen“ zu begründen oder ob dafür jeder verständige Anlass fehlte.
Sie allein, Herr Ahlers, haben ohne Sinn und Verstand und ohne Not, einen Eklat provoziert und treiben die Sache mit der Androhung eines Rechtsstreits und dem Fehlen einer Entschuldigung weiter voran, weswegen ich fest davon ausgehe, dass Sie bis auf Weiteres unbelehrbar sind.
Diesen Eindruck können Sie revidieren – durch eine Entschuldigung und eine Einstellung Ihrer anwaltlichen Forderung gegenüber mir. Ich bin gespannt, ob Sie die Größe dazu haben.
Verschiedene Stadträt/innen haben Sie bereits zu einer Entschuldigung aufgefordert. Ich rate Ihnen dringend, darüber sehr genau nachzudenken. Dass Ihnen das nicht gefällt, verstehe ich. Sie wollten gerne den „urban rumor“ – eine Mund-zu-Mund-Verbreitung. Keiner hat’s wirklich gesagt, „aber alle wissen Bescheid“.
Sie haben die Büchse zur Hetze aufgemacht. Sie sind im Begriff, ein Brandstifter zu werden. Wie üblich, haben die nie was damit zu tun, was dann passiert. Das waren dann immer andere. Glauben Sie im ernst, dass Sie damit durchkommen? Mit Begriffen wie „Krankheit“ in Zusammenhang mit „Staatsbürger“? Wie kurz ist die Assoziationkette Ihrer Meinung nach von „Krankheit“ zu Ungeziefer und Ratten und Abschaum? Sagt Ihnen die „Dolchstoßlegende vaterlandsloser Gesellen“ etwas?
Ihre Anwälte haben mir eine Frist bis zum 6. August gesetzt, die strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Bei Zuwiderhandlung soll ich eine „angemessene Vertragsstrafe“ bezahlen, die Sie „nach billigem Ermessen“ bestimmen und die man im Streitfall vor Gericht überprüfen lassen kann.
Herr Ahlers, die Frist läuft. Für Sie. Sie stellen die Unterlassungserklärung gegen mich bis spätestens 6. August 2013 schriftlich ein.
Sollten Sie dem nicht nachkommen, werde ich alle Sitzungsteilnehmer über meine Anwälte als Zeugen benennen und in der Folge von allen eine Aussage zur Sache einfordern und im Anschluss das handschriftliche Protokoll der Debatte im Wortlaut in voller Länge veröffentlichen.
Die Öffentlichkeit wird sich anhand der Aussagen und des Protokolls selbst ein Bild machen (über alle Sitzungsteilnehmer) und vor allem eine Meinung bilden (über alle Sitzungsteilnehmer).
Mit freundlichen Grüßen
Ich habe Frau Tuncer gebeten, Ihre Sicht des Vorgangs darzustellen. Die Antwort dokumentiere ich im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Prothmann,
danke für Ihre Anfrage. Gerne teile ich Ihnen mit, wie ich die Äußerungen von Herrn Ahlers empfunden habe.
Ich habe seine Aussage, ich würde so tun, als sei die deutsche Staatsbürgerschaft „eine Krankheit“ und würde diese herunterziehen sehr wohl als diskriminierenden Angriff auf mich und meine türkische Herkunft verstanden. Ebenso meine Fraktionskollegen, die mittlerweile von Herrn Ahlers auch eine notwendige Entschuldigung für seine Ausfälligkeit eingefordert haben.
Die Aussagen von Herrn Ahlers haben mich sehr getroffen und ich empfand sie als diskriminierend. Ich bin deutsche Staatsbürgerin und bin das nicht qua Geburt, sondern aus freier Entscheidung und freiem Willen geworden. Ganz sicher ziehe ich die deutsche Staatsbürgerschaft nicht herunter und ganz sicher bezeichne ich sie nicht als Krankheit. Ich lebe gerne in Deutschland, bin aus Überzeugung Deutsche geworden und setze mich für das Gemeinwesen ein.
Ich weiß nicht, was Herrn Ahlers bewogen hat, solche Äußerungen zu treffen. Ich fühle mich aber seit der letzten Gemeinderatssitzung herabgewürdigt und diskriminiert. Durch diese Äußerung fühle ich mich in meiner Person auch als Stadträtin beschädigt, da nun dieser Satz von Herrn Ahlers im Raum steht und ich davon ausgehen muss, dass viele Bürgerinnen und Bürger glauben, dass ich das so gemeint hätte, wie Herr Ahlers es formuliert hatte.
Ihre im Artikel formulierte fiktive Aussage ist im Kern das, wie ich den Angriff verstanden habe. Ich habe die Debatte auch als perfiden, gezielten Angriff auf mich wahrgenommen. Wenn Sie dies öffentlich machen wollen, können Sie dies gerne tun.
Herr Ahlers wäre besser beraten, wenn er sich aus Einsicht entschuldigt und nicht auch noch versucht, einen Journalisten über Rechtsstreitigkeiten mundtot zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Fadime Tuncer