Edingen-Neckarhausen/Rhein-Neckar, 25. September 2012. (red/la) Seit 2003 haben sie den berühmten Politikwissenschaftler und Wegbereiter des Elyséevertrags Alfred Grosser ins Schloss Neckarhausen eingeladen. Am Samstag hatte Erwin Hund, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Partnerschaft Edingen-Neckarhausen-Plouguerneau (IGP), es geschafft. Neben der deutsch-französischen Freundschaft, die der 87-Jährige lieber “Aufklärungsarbeit” nennt, und einem Ländervergleich streifte der Publizist beinahe jede Facette der Europapolitik.
Von Reinhard Lask
Zunächst gratulierte der Gast dem IGP für die seit 1967 bestehende Städtepartnerschaft mit Plouguerneau in der Bretagne. “Ein kleines Mosaikstück” im deutsch-französischen Netzwerk sei es, dass in diesem Jahr auch einen runden Geburtstag feiert.
Vor 50 Jahren unterschrieben der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Präsident Charles de Gaulle auch den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, der nach dem Ort der Unterschrift, dem französischen Präsidentenpalast, “Elyséevertrag” bekannt wurde. Doch der offizielle Freundschaftsvertrag stellte laut Grosser nur den zweiten Schritt der deutsch-französischen Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg dar.
Unten hat alles zuerst begonnen, bevor die Politik kam. Ich würde es auch nicht deutsch-französische Freundschaft nennen, sondern eine lange, schwierige Aufklärungsarbeit nennen.
Anfang der 1950er Jahre waren sich die Städte noch nicht sicher, ob eine Partnerschaft mit dem Kriegsgegner von der Bevölkerung gewollt war. Bayreuth zum Beispiel ging Grosser zufolge pragmatisch vor:
Man wollte es nur machen, wenn die Mütter und Witwen gefallener Soldaten dem zustimmten.
Also fuhren diese nach Frankreich, um die dortigen Mütter und Witwen zu treffen. Man begegnete sich mit offenen Armen und weinte gemeinsam um die Toten. Die Partnerschaft konnte beginnen. So wuchsen die einstigen Gegner schnell zusammen. Auch politisch war schon vor dem Elyséevertrag schon einiges passiert.
Bis 1945 hatte Frankreich keinen Feind außer Deutschland. Am Ende der Vierten Republik hatte es keinen Freund außer Deutschland.
fasste Grosser zusammen. Bereits Ende der 1950er-Jahre gab es keinen ernsthaften Konflikt mehr mit Deutschland. “Unterschiedliche Ansichten schon”, präzisiert Grosser. Als der Suezkonflikt 1956 ausbrach und Frankreich sich international diskreditiert, unterstütze nur Deutschland Frankreich. Der damalige deutsche Atomminister Franz Josef Strauß diskutierte damals mit dem Nachbarn sogar über eine atomare Zusammenarbeit.
Ganz uneigennützig sei die politische Annäherung nicht gewesen, da Präsident Charles de Gaulle geopolitische Interessen verfolgte:
Frankreich wollte Deutschland von den USA trennen.
Das funktioniert zwar nicht, aber der Elyséevertrag ließ die Länder politisch zusammenrücken. Der Vertrag sah vor, sich mindestens zwei Mal pro Jahr zu treffen und auszutauschen. Es wurde aus Sicht von Grosser eine gute Zusammenarbeit.
Bei der Freundschaft wird gespart
Heute jedoch könnte der Zustand der Städtepartnerschaften besser sein, sagte Grosser. Oft bestehe die Partnerschaft nur aus Pflichtbesuchen. Ganz gut hingegen laufe noch der Schüleraustausch. Das größte Problem sei hier aber, dass die Schüler die andere Sprache nicht gut können. Schuld daran seien vor allem Sparmaßnahmen. In Frankreich werde der Deutschunterricht zusammengestrichen, klagte Grosser. Man spare Stellen:
In Hamburg ist der Generalkonsul zum Beispiel zugleich Direktor des Deutsch-Französischen Instituts.
Es gebe jedoch auch Beispiele die Hoffnung machen: Die Stadt Bordeaux habe seine deutsche Bibliothek durch eine gemeinsame Anstrengung von Stadt, Departement und Spendern erhalten können. Es sei leider das einzige Beispiel dieser Art, das er kenne. Wichtig sei so etwas allemal, denn:
Je mehr man über den anderen weiß, desto weniger Vorurteile hat man.
Neben der Freundschaft hat der Publizist auch mit dem Begriff “Erbfeind” ein Problem. Er sei schlicht Unsinn. Deutschland war nie der Feind Frankreichs, denn die hießen Großbritannien, das von den den Habsburgern regierte Österreich-Ungarn und allen voran Preußen. Der Zweite Weltkrieg werde in Frankreich zudem nicht als Völkerkrieg gegen “die Deutschen”, sondern als Krieg gegen das Hitlerregime gesehen.
Zudem wünscht sich Grosser, dass sich das gemeinsame Gedenken ändert. Bei den Feierlichkeiten stünde immer der Erste Weltkrieg im Vordergrund. Man gedenke zwar der Toten von Verdun oder in Reims, aber der 87-Jährige träumt vom gemeinsamen Gedenken in Dachau.
Dort wo Deutsche und Franzosen umgebracht wurden, weil sie gegen Hitler kämpften.
Unterschiede zwischen den Nachbarn
Auch wenn sich die beiden Länder sehr nahe stehen, gäbe es einige interessante Unterschiede in Politik und Gesellschaft. Beispiel Atompolitik: Frankreich hat die Atomenergie und Atomwaffen immer anders gesehen als sein Nachbar. In Frankreich wurde ein Kommunist der erste Chef der französischen Atombehörde und man diskutiert über französische U-Boote, deren Atomwaffen Nahoststaaten abschrecken.
Atom ist in Deutschland nur Hiroshima und Fukushima.
Auch die politische Linke habe sich völlig unterschiedlich entwickelt:
In Deutschland entstand die Linke als Splitterpartei einer Splitterpartei.
Erst spaltete die sich die USPD von der SPD ab und aus der USPD die Kommunisten. Anders in Frankreich, wo die Sozialisten zu Kommunisten wurden und viele französische Minister Kommunisten waren. Unvorstellbar in Deutschland. In Frankreich sei man da viel entspannter und schaue weniger auf die Gesinnung als das Können.
Schlecht hingegen sei in beiden Ländern, dass immer mehr Menschen arm sind.
Das kann mal Explosionen geben, wenn Menschen nicht mehr mitmachen können. Besonders wenn sie sehen, dass wer 100 Euro klaut, bestraft wird, aber wenn man eine Million Euro unterschlägt, dann nicht.
In dem Zusammenhang geißelte Grosser auch den Fall Sarrazin (SPD). Sarrazins Buch lege ein erschreckendes Ausmaß an sozialer Verachtung an den Tag.
Den hätte man am ersten Tag nach Erscheinen des Buches aus der Partei schmeißen müssen.
Europa wird schlechtgeredet
Ganz besonders ärgert ihn jedoch, dass man in Deutschland Europa schlecht rede. Wenn Schäuble sage, dass Deutschland verliert, wenn der Euro weg ist, berichten Medien doch immer nur das Schlechte. Selbst der Chefredakteur der Zeit habe gesagt, dass Europa keine Zukunft habe.
Alles, was schlecht ist, kommt bei Journalisten immer aus Europa, Gutes immer aus Berlin und Paris.
Von den Bürokraten in Brüssel sei da immer die Rede.
Dabei gibt es in Brüssel weniger Bürokraten als in Hamburg.
Wenn es keinen Euro mehr gibt, gibt es keinen deutschen Export mehr und Frankreich wäre pleite. Goldman Sachs hat Griechenland dabei beraten, sich in den Euro zu mogeln. Jetzt wettet die Zocker gegen diesen Staat, so Grosser.
Die Zukunft Europa sieht Grosser nicht rosig. Es verliere weltweit an Bedeutung. Schon heute würden sich Inder fragen „Wer ist Europa?“ Dabei sollte Europa so stark sein, dass es China Paroli bieten kann. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich sähe da besser aus. Auch wenn der Austausch schon bessere Zeiten gesehen habe, ist Deutschland in Frankreich ein Vorbild. Es gebe nur weniger Intellektuelle, die eine antideutsche Haltung hätten.
Man hat Hochachtung vor Angela Merkel. Sie ist die beliebteste Deutsche nach Steffi Graf.
Allerdings könne er politisch die Deutschen mitunter nicht verstehen. Einerseits wollten sie den Parlamentarismus retten, aber auch Volksentscheide haben. Auch bei den Banken habe Deutschland einen großen Vorteil:
Wenn man von Banken spricht, sollte man nicht von der Deutschen Bank sprechen, sondern Volksbanken und Sparkassen hervorheben. Die sind das Blut des deutschen Mittelstandes. So was haben wir in Frankreich leider nicht.
Weitere Fotos von der Veranstaltungen finden sie im Edingenneckarhausenblog.