Mannheim/Rhein-Neckar, 21. Februar 2019. (red/pro) Was sich am vergangenen Freitagabend bei einem Schrotthändler im Rheinauer Hafengebiet genau abgespielt hat, ist noch nicht sehr klar. Zumindest geben die Behörden kaum relevante Auskünfte auf naheliegende Fragen. Klar ist nach RNB-Recherchen: Mindestens zwei Polizeibeamte wurden verletzt. Es gab (erheblichen) Sachschaden während des Einsatzes, mindestens ein Tatverdächtiger konnte durch eine rasante und (vermutlich) lebensgefährdende Fahrweise bislang entkommen – doch Antworten auf viele drängende Fragen bleiben offen.
Von Hardy Prothmann
Nach RNB-Recherchen wurde der mittlerweile 77 Jahre alte Schrotthändler seit 2003 mindestens ein Dutzend Mal überfallen. 2011 wurde er bei einem Überfall lebensgefährlich verletzt.
Der aktuelle Überfall am vergangenen Freitagabend auf ihn als Firmeninhaber und seinen Betrieb ist absolut außergewöhnlich und unterscheidet sich von den früheren Taten, bei denen es um Einbruch, Diebstahl und Raubüberfälle wegen einiger tausend Euro ging.
Beim Schrott geht es um viel Kohle
Raubüberfälle auf „Schrotthändler“ sind seit vielen Jahren ein massives Problem und es geht überhaupt nicht um „Schrott“, also vermeintlich wertlosen „Abfall“ – es geht um Rohstoffe. Und die sind überwiegend sehr hochpreisig, weil zunehmend Mangelware, insbesondere Buntmetalle, wozu man landläufig alle NE-Metalle zählt, „Nicht-Eisen“.
Der Überfall am vergangenen Freitagnachmittag auf einen „Schrotthändler“ im Mannheimer Rheinau-Hafen ist aus dem Ausland heraus geplant worden. Konkret aus den Niederlanden. Darauf deuten alle bekannten Umgebungsdaten hin. Zwei 40-Tonner mit niederländischen Kennzeichen fuhren vor, vier zunächst tatverdächtige Personen sind Niederländer, mindestens eine Person konnte in einem in den Niederlanden gestohlenen und hochmotorisiertem Fahrzeug entkommen.
Mindestens fünf Personen waren „mittelbar“ beteiligt. Ein 20-Jähriger ist in Haft. Er fuhr – ohne Führerschein – einen Sprinter, durchbrach eine Polizeisperre, beschädigte dabei einen Streifenwagen derart, dass dieser nicht mehr einsatzfähig war, wurde verfolgt, verfuhr sich auf die Maulbeerinsel in Feudenheim und wurde von Beamten daran gehindert, seine Flucht schwimmend fortzusetzen.
Bevor der junge Mann mit seinem Sprinter eine Sperre der Polizei rammte, die gegen 19:15-19:30 Uhr eingerichtet werden sollte, raste ein BWW X6 hindurch. Einen „Stop-Stick“ hatte man noch nicht ausbringen können.
Wer sind die Täter?
Der Fahrer mochte es auch „querfeldein“ und „gerade-über-den-Kreisverkehr“. Eine Verfolgung wurde begonnen, aber abgebrochen, weil die Streifenwagen der Polizei dem PS-starken SUV nicht folgen konnten. Man war motortechnisch hoffnungslos unterlegen. Irgendwann war der Wagen weg. Ein Hubschrauber wurde eingesetzt – ohne Erfolg.
Drei andere Personen, ein 32-jähriger Mann und dessen 26-jährige Ehefrau sowie ein 34-Jähriger wurden zunächst als Fahrer von zwei 40-Tonnern festgenommen, aber dann wieder auf freien Fuß gesetzt. Eine unmittelbare Tatbeteiligung ist nach RNB-Recherchen bislang nicht nachweisbar. Hatten die drei Ahnung von dem Raubüberfall gewusst oder sollten sie nur als ganz normale „Trucker“ eine Materialfahrt machen? Die Lkw scheinen ordentlich zugelassen zu sein. Die Fahrer hatten entsprechende Führerscheine.
Was genau man rauben wollte, ist bis heute unklar. Nur ein Lkw wurde teilweise beladen. Dann kam der Abbruch und die Abfahrt. Warum? War die Aktion geplatzt? Und wer gab die Kommandos?
Vermutlich der oder die Personen im X6. Hatten sie von außen eine Gegenobservation vorgenommen? Den Polizeieinsatz bemerkt?
Unauskünftige Polizei
„Wir können Ihnen leider aus ermittlungstaktischen Gründen viele Fragen nicht beantworten“, sagt Norbert Schätzle, Sprecher der Polizei. Gut zwei Tage musste RNB auf Antworten auf viele Fragen warten – die Antworten waren dürftig, wie sie nur dürftig sein können.
Allein die Tatsache, dass dieser Schrotthändler bereits gut ein Duzend Mal überfallen worden ist, scheint keine sonderlichen Fragen bei der Polizei auszulösen. Auch nicht, dass aus dem Ausland zwei Schwertransporter vorfahren, um Material zu laden. Dass irgendjemand in einem vor Monaten gestohlenen BMW flüchtet, dabei absolut rücksichtslos, aggressiv und lebensgefährdend fährt, scheint bei den Sicherheitsbehörden nur ein Achselzucken wert.
Buntmetall-Schrott ist viel Geld wert. Das fängt bei einigen hundert Euro pro Tonne an und reicht weit über 20.000 Euro pro Tonne. Der aktuelle Raub hat also ein Volumen von mindestens 20.000 Euro bis zu knapp einer Million Euro. Man könnte das als „große Nummer“ bezeichnen, die Behörden tun das nicht.
Kein Wunder – stehen Sie doch reichlich belämmert da. Der mutmaßliche Kopf der Bande ist entkommen, möglicherweise waren auch mehr als eine Person in dem X6. Drei zunächst Tatverdächtige musste man wieder auf freien Fuß lassen. In Untersuchungshaft sitzt ein 20-Jähriger ohne Führerschein, der vor der Polizei geflohen ist. Ob er an dem Überfall beteiligt war, weiß aktuell niemand. Weder die benutzte Tatwaffe noch Vermummungsmaterialen konnten bislang sichergestellt werden. Klar ist nur, dass es drei Personen gewesen sein sollten, alle vermummt, einer drohte mit einer Waffe.
Top-Story oder nur „Schrottplatz“?
Bei sonstigen Raubüberfällen gibt man sich mehr Mühe: Bank, Supermarkt, Getränkehandel – das scheint behördenintern wichtiger zu sein als ein Schrotthändler. Dass es sich hier um einen erheblichen Kriminalfall handelt, in einem boomenden Kriminalitätsmarkt, scheint in den Amtsstuben noch nicht bemerkt worden zu sein.
Dabei wurden nach unseren Informationen mindestens zwei Polizeibeamte verletzt, es entstand Sachschaden an Einsatzfahrzeugen in Höhe von rund 50.000 Euro.
Man muss erwarten können, dass ein derartiges Ereignis Chefsache ist. Das ist dem Noch-Chef offensichtlich vollständig egal.
Irgendwie blöd, dass nach RNB-Infos der X6-Fluchtwagen ausgerechnet in Dossenheim gefunden worden sein könnte. Das hat zwar gar nichts miteinander zu tun, aber ist halt auffällig.
Das RNB hat sehr umfangreich die Polizei Mannheim angefragt und bislang keine vernünftigen Antworten erhalten.
Noch einmal für alle: Ein Schrotthändler wird seit 2003 mindestens zwölf Mal überfallen. Aktuell im großen Stil. Zur mehr oder weniger gleichen Zeit werden Metalldiebe im Mühlauhafen festgenommen und auch in Ladenburg werden Metalldiebe auffällig.
Metalldiebstahl ist seit Jahren ein Thema, weil es gutes Geld für „bunte Metalle“ gibt. Möglicherweise müssen sich Schrotthändler demnächst warm anziehen, weil täglich ein Überfall drohen kann. Das gilt aber auch für alle behördliche Betriebe, bei denen viel Metall verarbeitet wird, also Versorger und ÖPNV.
Der Rheinau-Krimi ist eine heiße Story – die Rolle der Behörden ist dabei bislang mittelmäßig. Man wird den Eindruck nicht los, dass hier bewusst und vorsätzlich verschwiegen wird, um zu verdecken, dass man die Brisanz des Themas noch nicht verstanden hat.
Anm. d.. Red.: Der Fall ist derart komplex und hochspannend, dass wir fest davon ausgegangen sind, dass dies „Chefsache“ ist. Doch Polizeisprecher David Faulhaber hat den Fall nicht übernommen. Er ist bekanntermaßen ab 1. April 2019 neuer Bürgermeister von Dossenheim. Bis dahin ist aber im Amt und es ist für RNB nicht nachvollziehbar, wieso er diesen Fall nicht prominent begleitet.