Mannheim, 31. Juli 2015. (red/sl) Am Sonntag gastiert der israelische Musiker Idan Raichel in Mannheim – der Auftritt wird eine Session sein. Mit seinem “Idan Raichel Project” führt der Künstler viele Musikstile zusammen – was von Traditionalisten als Provokation verstanden worden ist. Auch für Mannheim sucht Idan Gäste – beispielsweise türkische oder afrikanische Musiker aus der Region. Das wird vermutlich eines der kuriosesten Konzerte, seit es den Seebühnenzauber gibt. Wir verlosen 3×2 Karten.
Wer gewinnen will, schickt uns bis Samstag. 1. August 2015, 14 Uhr die Lösung auf die Frage: Wie heißt das Lied im Artikel?
Die richtige Lösung an redaktion@rheinneckarblog.de, Betreff Idan on Seebühne. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Idan Raichel ist ein wenig im Stress. Liebevoll und geduldig erklärt er seiner 1,5-jährigen Tochter auf Englisch, dass jemand aus Deutschland extra für ein Interview anruft. „Ich kümmere mich heute um die Kinder“, erklärt er. „Wie Frauen das immer hinbekommen – echt bewundernswert!“ Außerdem entschuldigt er sich: „Leider kann ich kein Deutsch, obwohl meine Frau aus Österreich kommt. Das einzige, was ich mir gemerkt habe, ist „Um Gottes Willen!“
Interview: Sandra Ludwig
Also gut. Idan. Du spielst am kommenden Sonntag in Mannheim auf der Seebühne. Was erwartet uns “Um Gottes Willen”?
Idan Raichel: (lacht) Wir sind selbst schon sehr aufgeregt wegen des Konzerts. Gerade die erste Stadt einer Tour nehme ich immer sehr intensiv wahr. Es wird eine Band mit zwei Sängerinnen, einer äthiopischen und einer ägyptischen, auftreten. Außerdem haben wir natürlich Schlagzeug, Percussions und Violine dabei. Und wir spielen wieder eine Mischung verschiedener Einflüsse: von hebräischer, arabischer bis zu äthiopischer und spanischer Musik wird alles dabei sein. Das Ganze wollen wir offen gestalten: Wir wissen, wie die Stücke anfangen, aber das Ende ist offen. Für das Publikum wird es ganz so sein, als beobachteten sie uns bei unseren Sessions im Studio. Zuschauer, die mit unserer Musik vertraut sind, können dann nachvollziehen, wie die Stücke entstanden sind.
Kommt auf die Bühne – wir jammen!
Es wird dann also viel Raum für Improvisation geben?
Idan Raichel: Genau! Und dazu möchten wir auch andere Musiker einladen. Bestimmt gibt es in Mannheim einige türkische Musiker oder afrikanische Sänger. Es wäre prima, gemeinsam zu jammen. Da entsteht oft eine ganz eigene Energie. Wer das Interview liest und möchte, kann sich einfach über meine Facebookseite melden und eine mp3-Datei von seiner Musik senden. Wir würden uns wirklich freuen, wenn so etwas zustande käme.
Du hast schon mit internationalen Größen wie Alicia Keys zusammengearbeitet. Andererseits hast Du Projekte mit Musikern, die eher auf nationaler Ebene bekannt sind. Wie gelingt Dir dieser Balanceakt zwischen der internationalen Starwelt und der eher kleineren Worldmusic Szene?
Idan Raichel: Ja, stimmt, ich habe mit sehr verschiedenen Leuten zusammengearbeitet. Im Idan Raichel Project gibt es Musiker aller Altersgruppen: Der jüngste ist 16 und es geht hoch bis zu Neunzigjährigen. Außerdem arbeiten sehr bekannte Leute mit, wie der deutsche Countertenor Andreas Scholl oder Alicia Keys, die sehr viel dazu beigetragen hat, dass wir öffentlich wahrgenommen werden. Ich glaube, wenn man gemeinsam auf der Bühne oder im Studio steht, muss man sich einfach daran erinnern, dass jeder nur ein Mensch ist. Es ist wie mit zwei Köchen, die zusammen etwas zubereiten. Der eine mag ein gefeierter Sternekoch sein, der andere ein unbekannter Koch, der schon jahrelang traditionelle Gerichte kocht: Letztlich ist die Harmonie und Energie zwischen den beiden das wichtigste – dann kann etwas Wunderbares entstehen. Wenn man für das gemeinsame Projekt das Ego hinten anstellt, kann jeder seine positive Energie entfalten.
Die Musik Deines Projekts ist eine Mischung aus Stilen verschiedenster Herkunft. Ebenso arbeitest Du mit Leuten aus unterschiedlichen Ländern zusammen. Wie knüpfst Du an Kulturen an, die Dir nicht vertraut sind?
Idan Raichel: Ich bin halt ein neugieriger Mensch und halte immer Augen und Ohren offen. Ich reise viel und höre Musik aus allen Teilen der Welt. An anderen Kulturen interessieren mich die Menschen am meisten – die sind mir viel wichtiger als das Land. Über die Menschen kann ich eine Beziehung aufbauen. Und dann ist da natürlich immer der musikalische Zugang: Dauernd bin ich auf der Suche nach neuen Instrumenten und Künstlern. Wer etwas weiß, kann mir gerne eine Nachricht schicken – ich freue mich immer über spannenden Input.
Manche boykottieren mich – das ist schräg.
In einem Zeitungsinterview hast Du zu dem Palästina-Israel-Konflikt gesagt: „wir dürfen dem Hass gegenüber Terror nicht erlauben, dass er uns lenkt. Stattdessen sollten wir nach produktiven Lösungen suchen, ohne unsere Identität und unseren Patriotismus zu verlieren.“ Was bedeuten Identität und Patriotismus für Dich?
Idan Raichel: Ich bin in Israel geboren und ich liebe mein Heimatland – egal, ob eine rechte oder eine linke Regierung an der Macht ist! Wenn man in einem Land lebt, das so viel Konflikten ausgesetzt ist, muss man zu sich selbst und seiner Identität stehen. Das heißt, wir müssen auch gegen Ungerechtigkeiten und Missstände vorgehen. Andererseits dürfen wir natürlich nicht gegen demokratische Grundsätze handeln. Ich selbst werde von verschiedenen Gruppen boykottiert, da ich für die Existenz und Identität Israels eintrete. Das ist wirklich schräg. Viele amerikanische Musiker spielen für die US-Truppen. Es käme niemand auf die Idee, deshalb einen Boykott von Mariah Carey oder Jennifer Lopez zu fordern! Ich wünsche mir eben auch, meine Identität als Israeli und die Liebe zu meinem Land auszudrücken.
Seit dem Anfang deiner Musikerkarriere beschäftigst Du Dich mit der traditionellen äthiopischen Musik. Vergangenen Mai wurden israelische Polizisten dabei gefilmt, wie sie einen äthiopisch-israelischen Soldaten angriffen. Es kam daraufhin zu Protesten in Israel. Was denkst Du darüber?
Idan Raichel: Meine Band war die erste, die sich mit äthiopisch-israelischer Musik beschäftigt hat. Wir haben die Stimme der äthiopisch-israelischen Migranten in den israelischen Mainstream gebracht. Zuvor waren amharische Musiker in der Popmusik quasi unbekannt. Mit unserer Arbeit konnten wir Vorbilder für die Gesellschaft geben. Das ist ein gutes Mittel gegen Rassismus. Wenn etwas gegen Vorurteile getan werden soll, beispielsweise gegenüber türkischen Migranten, dann ist es wichtig, dass es auch Vorbilder aus dieser Gruppe gibt, die öffentlich wahrgenommen werden. Etwa Fußballspieler, großartige Schauspieler oder Musiker. Das ist im Grunde das, was wir mit dem Idan Raichel Project leisten wollen: Einen Teil, zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken beitragen.
Zur Person: Idan Raichel (37) ist ein israelischer Musiker, Texter und Komponist. Seine Musik ist geprägt von der vielfältigen Musik israelischer Einwanderer und Einflüssen aus aller Welt. In Israel verschaffte er sich mit dem Titel „Boi“ (‘Komm’) große Beachtung im Mainstream. Er arbeitete bereits mit Alicia Keys, Patrick Bruel und dem deutschen Countertenor Andreas Scholl zusammen und spielte unter anderem für Barack Obama. |