Schriesheim, 31. Oktober 2012. (red/xmu) Im Pflegeheim Stammberg der Evangelischen Stadtmission befindet sich seit September eine höchst ungewöhnliche Kunstaustellung. Die Exponate stammen von Menschen, die erst in der Demenz den künstlerischen Ausdruck für sich entdeckten. Die Bilder sind meist sehr abstrakt und sollen nach Aussagen des Kurators Michael Ganß sogar den Vergleich mit zeitgenössiger Kunst standhalten. All das klingt nach einem vielversprechenden Konzept, aber die Ausstellung leidet an einem Mangel an Besuchern – ein Umstand, der wahrscheinlich nichts mit der Qualität der Exponate zu tun hat.
Von Xiaolei Mu
Es klang nach einem simplen Job: Kurz zu einer Kunstausstellung fahren, ein paar schnelle Fotos von Menschen schießen, die sich interessiert Kunstwerke anschauen, deren Bedeutung niemand außer der Künstler selbst zu wissen scheint. Vielleicht noch einen Betreuer der Ausstellung zur Seite nehmen und Voila, fertig ist die Sache. In meinem Kopfkino malte ich mir eine Szene aus wie im Museum; belebt und voll von gedämpften Gesprächen der Besucher. Was mich erwartete war Grabesstille und ein menschenleerer Raum, der zur Ausstellungszeit nicht einmal beleuchtet war.
Die Damen vom Pflegepersonal schienen verwundert, dass sich jemand extra wegen der Ausstellung ins abgelegene Pflegeheim Stammberg verirrte. Voller Hilfsbereitschaft führten sie mich in den benachbarten Raum, wo sich die Exponate befanden. Eine der Pflegerinnen probierte die Lichtschalter aus, bis sie endlich den Richtigen fand. Der Anblick war im ersten Moment ernüchternd. Es war ein hübsches Foyer mit Tischen, Stühlen, einer Glasvitrine und einem Flügel. Die Exponate entdeckte ich erst bei genauerem Hingucken, denn sie hingen unscheinbar an den Wänden, fügten sich so nahtlos in ihre Umgebung ein, als ob sie schon immer in diesen Raum gehört haben.
Abstrakte Kunst
Die meisten Exponate besaßen keinen Titel. Neben dem hohen Abstraktionsgrad gab es eine große Bandbreite an Techniken und Materialien, die zum Einsatz kommen. Um einige zu nennen: Acryl, Dispersion, Pastellkreide, Rohpigment auf Leinen, Materialdruck, Holzschnitzereien und weitere.
Ich bin kein Kunstkenner und mit einigen Werken konnte ich überhaupt nichts anfangen. Das „Pferdefuhrwerk“ sah nach einer krakeligen und bunten Kinderzeichnung aus, während ein anderes Bild ohne Titel aus verschiedenen Blautönen besteht, als habe der Maler versucht ein bestimmtes Blau zu treffen, nur um im Anschluss seine sämtlichen Mischversuche einfach als Werk abzugeben.
Dann gab es Bilder, die eine erstaunliche Anziehungskraft besaßen. Der „Familienwagen“ zeigt ein Auto, wahrscheinlich aus einem Magazin für Automobile ausgeschnitten, das mit semitransparenter Farbe übermalt wurde, so dass das Motiv unter der Farbtönung noch zu erkennen war.
Zweifel
Das Bild „Am Waldrand“ gab mir das Gefühl, dass sich das Motiv erst Stück für Stück in meinem Kopf zusammensetzte. Dann war da ein Werk, das nur aus grün, schwarz und orange zu bestehen schien. Der Titel, den ich mit viel Mühe entzifferte, lautete „die Oma ist gestorben“ und in dem Augenblick als ich die Worte las, entdeckte ich in dem Farbenchaos eine liegende Person mit einem ausgestreckten und steifen Arm. Meine Phantasie erledigte zu meinem Verblüffen die ganze Arbeit und zum ersten Mal bekam ich ernste Zweifel, ob wirklich Menschen mit Demenz diese Bilder geschaffen haben.
Hemmschwelle
Am nächsten Tag besuchte ich den anderen Teil der Ausstellung. Dieser befindet sich in der diakonischen Einrichtung der Evangelischen Stadtmission in Heidelberg. Die Werke in Schriesheim hatten mein Interesse geweckt, aber es waren keine Besucher da. Ich brauchte aber ein Foto mit Menschen und die Lage in Heidelberg würde doch hoffentlich mehr Besucher anziehen. Aber Fehlanzeige. Tatsächlich ist der Ausstellungsteil in Heidelberg größer. Die Exponate verteilen sich auf drei Stockwerken. Auch hier hängen die Werke wie selbstverständlich in den Gängen und wie in Schriesheim fehlt von Besuchern jegliche Spur. Michael Ganß, Kurator von DemenzArt, kennt das Problem:
„Für die meisten Menschen, die nicht direkt mit der Pflegeeinrichtung zu tun haben, ist das Betreten eines solchen Gebäudes mit einer enormen Hemmschwelle verbunden.“
Kunst als Therapie
Demenz Art gibt es schon seit 2006 und in den ersten drei Jahren hatte Kurator Michael Ganß die Werke ausschließlich bei Kunstausstellungen präsentiert.
Die Bilder in den Pflegeheimen ausstellen zu lassen ist eine jüngere Entwicklung. „Die Menschen mit denen ich künstlerisch arbeite, haben irgendwann gesagt: Warum sollen wir mit unseren Werken nicht andere Menschen in derselben Situation erreichen?“ Auf die Frage wie er überhaupt auf die Idee kam, antwortet Michael Ganß, der auch Kunsttherapeut ist:
„Ich wollte Kunst mit alten Menschen machen. Darüber wird ihnen eine Möglichkeit zum Ausdruck gegeben. Gerade bei Menschen, bei denen die Demenz schon so weit fortgeschritten ist, dass sie sich nicht mehr sprachlich ausdrücken können, trägt der künstlerische Ausdruck zum persönlichen Wohlbefinden bei.“
Sein Konzept schlägt Wellen. Neben guten Rückmeldungen von etablierten Künstlern übernehmen auch andere Kunsttherapeuten in Alten- und Pflegeheimen seine Methode.
„In Zukunft sollen Altenheime kulturelle Räume werden“,
so Michael Ganß. Er wünsche sich, dass die Bevölkerung Altenheime als Orte begreifen, in denen Kultur geschieht. Dazu sollen die Menschen in die Heime kommen, weil die Bewohner dort in ihrer Mobilität oft eingeschränkt sind. „Natürlich liegt das alles noch in der Ferne“, räumt er ein und nach meinen Rundgängen durch zwei besucherleere Ausstellungen kann ich das bestätigen.
Dennoch zeigt ein Projekt wie Demenz Art, dass ein Leben trotz Alzheimer-Diagnose lebenswert gestaltet werden kann und das einem Menschen trotz des „geistigen Verfalls“ sinnvolle Tätigkeiten offen stehen.
Die Ausstellung Demenz Art endet nicht wie in den Flyern und Plakaten steht am 22.10.2012. Die Exponate sind nach neuer Absprache bis zum Jahresende im Pflegeheim Stammberg und der Evangelischen Diakonie der Stadtmission Heidelberg zu bewundern.