Mannheim, 31. Januar 2016. (red/pro/ms) Dr. Boris Weirauch (38) ist Rechtsanwalt und SPD-Stadtrat. Der sicherheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion tritt im Wahlkreis Mannheim-Süd als Nachfolger von Helen Heberer an. Im Interview geht es um die aktuelle Sicherheitslage, die Situation der Polizei, Videoüberwachung, die Rolle der Justiz, die Herausforderungen der Integration. Er fordert eine Verschärfung des Sexualstrafrechts, um Frauen besser zu schützen.
Interview: Hardy Prothmann, Minh Schredle
Die Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt, seit es seit einigen Wochen gehäufte Meldungen über Straftaten in Mannheim gibt. Was empfinden Sie dabei?
Dr. Boris Weirauch: Ich habe aktuell die Gelegenheit auf Neujahrsempfängen und Hausbesuchen mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Ich merke, dass sich insbesondere seit einigen Wochen die Stimmung in der Stadtgesellschaft merklich verschlechtert hat. Die Menschen fühlen sich zunehmend unsicher.
Muss das Folgen haben?
Weirauch: Ganz klar. Wenn sich Bürger in ihrer Stadt nicht mehr sicher fühlen, ist es definitiv ein Problem und die Politik ist aufgefordert zu handeln. Das gilt für objektive Sicherheit, aber auch für das subjektive Sicherheitsgefühl. Ich habe viele Gespräche mit der Polizei geführt und es gibt immer Verbesserungspotenzial. Aber ich warne vor unüberlegten und aktionistischen Schnellschüssen.
Was meinen Sie damit?
Weirauch: Aktuell wird von vielen gefordert, dass die Videoüberwachung im öffentlichen Raum wieder aktiviert wird. Das geht aber gar nicht mal so einfach, nebenbei und wie man will – damit die Überwachung überhaupt rechtlich zulässig ist, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Kameraüberwachung im öffentlichen Raum ist in Baden-Württembergs nur dann erlaubt, wenn ein Kriminalitätsschwerpunkt vorliegt, der sich statistisch nachweisen lässt.
Die CDU fordert, was nicht machbar sein wird.
Und den gibt es nicht in der Innenstadt?
Weirauch: Wenn eine Überprüfung ergibt, dass eine Überwachung an Brennpunkten rechtlich zulässig ist und sinnvoll erscheint, wird eine Umsetzung sicher nicht an den Stimmen der SPD scheitern. Aber wir wollen erst einmal abwarten, bis diese Ergebnisse vorliegen und prüfen, was überhaupt machbar ist, bevor wir Forderungen nachkommen. Die CDU will alle Hauptachsen der Innenstadt durchgängig überwachen. Dabei ist eigentlich jetzt schon klar, dass so eine großräumige Videoüberwachung nach der Rechtslage gar nicht zulässig ist.
Grundsätzlich sind Sie aber ein Befürworter von Videoüberwachung?
Weirauch: Das hängt immer vom konkreten Einzelfall ab. Videoüberwachung ist immer ein Einschnitt in das grundgesetzlich verbriefte Recht der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung. Trotzdem kann im Einzelfall das Schutzinteresse überwiegen. Deswegen akzeptiere ich auch die Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten. Aber ich warne auch davor, dass die Überwachung durch Videokameras oft eine trügerische Sicherheit vorspiegelt, die so gar nicht existiert.
Das heißt?
Weirauch: Kameras verhindern keine Schwerverbrechen. Sie helfen – wenn überhaupt – eher bei der Aufklärung. Das zeigen Erfahrungen aus anderen Orten und Ländern. Die Vorfälle in den vergangenen Wochen wären durch eine Kameraüberwachung wahrscheinlich nicht verhindert worden. Vielleicht wäre es dadurch leichter, Täter ausfindig zu machen, das mag sein. Es ist aber ein Irrglaube, dass eine Kamera die Menschen automatisch vor Übergriffen und Verbrechen schützt.
Polizeipräsenz stärken
Was könnte denn dann sinnvoll und wirksam getan werden, um die Sicherheitslage zu verbessern?
Weirauch: Wir müssen lageorientiert die Polizeipräsenz im öffentlichen Raum verstärken. Vor allem durch Interventionskräfte rund um die Flüchtlingsunterkünfte oder auch in der Neckarstadt-West. Jetzt kommt zudem richtigerweise eine Polizeiwache auf Benjamin-Franklin. Man sollte auch darüber nachdenken, einen Polizeiposten auf Spinelli einzurichten und hier verstärkt Präsenz zu zeigen. Ganz entscheidend ist hierbei, dass das Polizeipräsidium Mannheim personell deutlich verstärkt wird. Die von Seiten der Landesregierung in der vergangenen Woche zugesagten zusätzlichen 60 Beamten sind ein gutes Signal und ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber ist die Polizei in Baden-Württemberg nicht generell personell unterbesetzt? Und liegt das nicht in der Verantwortung der Landesregierung?
Weirauch: Es stimmt, dass landesweit immer noch Kräfte fehlen. Aber die SPD muss sich deswegen nicht verstecken! Es wurden in Baden-Württemberg noch nie so viele Polizisten eingestellt wie unter der grün-roten Landesregierung. Als die CDU noch regierte, wurden aber über 1.000 Stellen abgebaut. Das war meiner Meinung nach ein großer Fehler, die Prioritäten wurden falsch gesetzt. Das große Problem ist jetzt: Es gibt keinen Arbeitsmarkt für arbeitslose Polizisten, die man mal eben einstellen könnte. Und eine Ausbildung dauert Jahre.
Das Sexualstrafrecht muss nachgebessert werden
Aber auch schon heute braucht es mehr Kräfte. Was halten Sie von einem freiwilligen Polizeidienst, wie es teils schon in anderen Städten Deutschlands praktiziert wird?
Weirauch: Ich sehe das eher kritisch. Professionelle Polizisten sind gut ausgebildet und werden geschult, wie man sich in Extremsituationen verhält, um sich selbst und andere Menschen zu schützen. Der normale Bürger hat diese Ausbildung nicht – und kann sich und andere somit schnell in Gefahr bringen. Das halte ich nicht für den richtigen Weg. Wir brauchen gut ausgebildete Polizisten. Auch wenn ein hartes Durchgreifen oder Waffengebrauch notwendig ist, muss sichergestellt sein, dass das professionell erfolgt.
Wir kommen als Redaktion zu der Einschätzung, dass die Polizei im Großraum Mannheim eine sehr gute Leistung zeigt. Trotzdem hat man zur Zeit eine extrem angespannte Lage, besonders bei Frauen. Ist es da nicht problematisch, dass viele Straftäter erstmal wieder auf freien Fuß gesetzt werden? Müsste da nicht etwas an der Gesetzgebung nachgebessert werden?
Weirauch: Ich habe vollstes Vertrauen in unsere Polizei und deren Führung. Meiner Meinung nach haben wir Deutschland ausreichende Strafgesetze, insbesondere die Strafrahmen sind hoch genug. Bei der Ahndung von Sexualdelikten sehe ich allerdings Nachbesserungsbedarf. Es kann nicht sein, dass eine Vergewaltigung nur dann als Vergewaltigung gilt, wenn das Opfer versucht hat, sich dem unfreiwilligen Übergriff zur Wehr zu setzen. Ein weiteres großes Problem mit der deutschen Justiz ist: Bis es überhaupt erst zu einem Strafprozess kommt, kann gerne mal ein dreiviertel Jahr vergehen. Diese langen Wartezeiten sind wenig abschreckend. Die Strafe muss schneller auf die Tat folgen. Wir müssen diese Prozesse erheblich beschleunigen.
Wir brauchen in Mannheim mehr Unterstützung durch das Land
Insbesondere seit den Ereignissen von Köln ist die Angst vor Ausländerkriminalität angestiegen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Flüchtlingskrise aus. Welche Auswirkungen hat das auf die Mannheimer Willkommenskultur? Ist die beschädigt? Und wenn, kann sie repariert werden?
Weirauch: Ich sehe bei sehr vielen Menschen nach wie vor die Bereitschaft zu helfen. Zudem ist es ist wichtig, zu differenzieren. Der übergroße Anteil der Menschen, die wegen Krieg, Terror und auch aus wirtschaftlicher Not bei uns Schutz suchen, sind keine Straftäter. Dennoch hat sich die Meldungslage in den vergangenen Wochen auffällig gehäuft. Und da fragt man sich: Warum kommt das so plötzlich und so drastisch? Auch das Vertrauen in den Staat ist beschädigt. Eine Bevölkerung muss erwarten können, dass sie richtig informiert wird. Und das ist schwierig, wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, dass sie nicht alles erfährt. Es muss über alles offen diskutiert werden dürfen. Es bringt nichts, wenn man so tut, als gäbe es keine Probleme. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich auch nicht existenziell bedroht, aber zunehmend unwohl. Damit müssen wir als Politik umgehen und versuchen, die Stimmung aufzufangen.
Wie beurteilen Sie denn die Lage in Mannheim konkret?
Weirauch: Als Stadtrat habe ich den Eindruck, dass wir als Kommune am Ende der Nahrungskette stehen. Das kann so nicht sein. Ich will einen Dialog auf Augenhöhe, um die besten Lösungen zu finden. Wir brauchen hier definitiv mehr Unterstützung. Ein einfaches Beispiel: Wir haben mehr als 10.000 Flüchtlinge im Stadtgebiet und sind damit deutlich überproportional belastet. Das ist wie eine eigene Kleinstadt. Aber die Infrastruktur wurde noch nicht ausreichend aufgestockt. Im Vergleich zur Bevölkerungszahl fehlen uns zum Beispiel weitere Polizeikräfte.
Sie wollen deutlich mehr Polizei und deutlich mehr Justiz – an welchen Stellen kann Baden-Württemberg denn sinnvoll einsparen, um den Staat zu stärken? Mit steigenden Flüchtlingszahlen muss auch mehr in Bildung investiert werden, wenn diese Menschen langfristig eine Perspektive haben sollen. Außerdem wird viel mehr Geld in sozialen Wohnungsbau investiert werden müssen, um würdige Unterbringungen zu schaffen. Ist das überhaupt zu bewältigen?
Weirauch: Als eins der wohlhabendsten Länder der Welt müssen wir das hinbekommen. Wer soll es denn sonst schaffen, wenn nicht wir? Natürlich geht das nicht ohne Einschränkungen, das muss ebenfalls jedem klar sein. Es ist wichtig, dass wir eine europäische Lösung finden und den Flüchtlingsstrom mittel- und langfristig begrenzen. Was wir uns aber ganz sicher nicht leisten können, ist, die Menschen, die heute schon hier sind, einfach sich selbst zu überlassen. Wir müssen hier investieren, um sie in unserer Mitte zu integrieren, nicht zuletzt deswegen, damit sie der Gesellschaft etwas zurückgeben können.
Unsere Werte vermitteln sich nicht von selbst
Welche Schwierigkeiten sind dabei wegen kultureller Differenzen zu befürchten? Aus unserer Sicht könnten viele Probleme durch Aufklärung und Hinweise zu beheben sein. Wir finden, hier passiert aktuell auf beiden Seiten noch zu wenig…
Weirauch: Diese Einschätzung teile ich. Hier muss eindeutig noch mehr passieren. Man kann nicht einfach ein Grundgesetz auf den Tisch legen und denken, dass sich unsere Werte von selbst vermitteln. Es muss dabei auch klar gemacht werden, dass es in den unterschiedlichen Herkunftsländern auch Verhaltensweisen und Traditionen gibt, die hier nicht erwünscht sind und nicht toleriert werden können. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit und den Respekt gegenüber Frauen. Wir müssen versuchen, die Menschen schnellstmöglich zu integrieren. Nicht nur durch Sprachkurse, sondern auch durch Bildung und durch Teilhabe am gesellschaftlichem Leben.
Am 13. März treten Sie für die SPD im Mannheimer Süden als Landtagskandidat an. Wie hoch schätzen Sie ihre Chancen ein, auch vor dem Hintergrund, dass die SPD Baden-Württemberg nach Umfragen aktuell nicht gut dasteht?
Weirauch: Es ist richtig, dass die Umfragewerte aktuell katastrophal sind. Und ich finde, sie sind viel zu schlecht, für das, was die SPD in Baden-Württemberg die vergangenen Jahre geleistet und gestaltet hat. Ich bin trotzdem sehr zuversichtlich, dass ich im März in den Landtag einziehen werde. Im Mannheimer Süden hat die SPD schon immer Ergebnisse erzielen können, die deutlich über dem Landesschnitt liegen.
Was unterscheidet Sie denn von den anderen Kandidaten? Was spricht für Sie?
Weirauch: Ich verkörpere den Generationswechsel und wäre der erste Mannheimer Abgeordnete, der jünger als 40 Jahre ist. Außerdem möchte ich als Vater von drei kleinen Kindern stärker auch die Interessen junger Familien vertreten. Gerade bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf halte die Berücksichtigung dieser Perspektive bei politischen Entscheidungen für wichtig. Ich glaube auch, dass es gut ist, dass Politiker sich ein berufliches Standbein aufgebaut haben, bevor sie in ein Parlament einziehen. Ich möchte für die Politik leben, nicht von der Politik.
Zur Person
Dr. Boris Weirauch ist gebürtiger Pfälzer. Sein Abitur hat er in Mannheim gemacht, hier hat er Jura studiert und promoviert. Er ist seit 2001 politisch für die SPD aktiv und seit 2009 Stadtrat – ebenso wie seine Frau. Die beiden haben drei kleine Kinder. Im Mannheimer Stadtrat ist er sicherheits- und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.