Rhein-Neckar/Südwesten, 31. März 2016. (red/pro) Bundesweit guckt man auf Baden-Württemberg. Hier wird Geschichte geschrieben. Bundesweit zum ersten Mal wird es vermutlich eine Regierungskoalition von CDU und Grünen geben, bei der die CDU nur “Junior-Partner” ist. Das ist schwer zu verdauen im Kernland der CDU, die von 1957-2011 als stärkste Fraktion durchgehend an der Macht war. Dorthin strebt man zurück, steht sich aber selbst im Weg.
Von Hardy Prothmann
Die Landtagswahl 2016 war ein Desaster – für die CDU. Wer bis dahin glaubte, “Fukushima” sei ein “Einmaleffekt” gewesen, wurde eines besseren belehrt. Wer das weiter glaubt, ist ein Depp.
Baden-Württemberg ist ein Einfinderland. Hier hat sich die CDU erfunden, hier hat sich die FDP erfunden, hier haben sich auch die Grünen erfunden. Erfinder kommen und gehen.
Machtwillen vs. Verantwortungsbewusstsein
Nach dem Wahldesaster – es gibt kein freundlicheres Wort dafür – hätten zwei Männer abdanken müssen: Der Landesvorsitzende Thomas Strobl und der Spitzenkandidat Guido Wolf. Beide haben dafür nicht die Größe, weil beide uneinsichtig sind. Beide halten daran fest, irgendwie “an die Macht” zu kommen. Beide verwechseln Machtwillen mit Verantwortungsbewusstsein.
Bundesweit haben sich Medien der Situation in Baden-Württemberg gewidmet und überwiegend voneinander abgeschrieben – natürlich nur oberflächlich. Ich habe nur wenige der Schreiber persönlich mal vor Ort gesehen und die Analysen sind dürftig.
Fortwährender Abstieg der CDU
Die CDU Baden-Württemberg erlebt seit 40 Jahren einen fortwährenden Wahlerfolgsverlust. Seit 1976 (56,7 Prozent) geht es mit der Partei im Land kontinuierlich bergab, inklusive einer kurzen Erholungsphase zwischen 1996 und 2006, die aber nicht nachhaltig war. Aktuell ist man bei weniger als der Hälfte von damals, also 27 Prozent gelandet.
Betrachtet man sich umgekehrt Bündnis90/Die Grünen, erreichte die (frühere) “Öko-Partei” 1980 nur 5,3 Prozent der Sitze und arbeitete sich mit einem Ausrutscher 2001 (7,7 Prozent) kontinuierlich hoch – bis auf aktuell 30,3 Prozent.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Grünen sind fleißiger und erfolgreicher als die CDU. Ganz sicher haben die Grünen dazu noch den Kretschmann-Bonus obendrauf, weil der grün-konservative Oberlehrer genau das hat, was seine CDU-Konkurrenz vermissen lässt: Selbstbewusstsein und Führungskraft.
Enorme Gräben
Die CDU hat sich im Vorwahlkampf zwischen Strobl und Wolf zerrieben – und es gibt genug Leute in der CDU, die sich nun die Hände reiben, dass in der aktuellen Berichterstattung Herr Strobl auf Fotos immer vorteilhafter scheint und vor allem beim designierten Ministerpräsidenten steht, während Herr Wolf irgendwie wie ein gewuscheltes Kuscheltier im Hintergrund wirkt. Motto: Der ist ganz lieb und nett, aber keiner muss ihn ernst nehmen.
Tatsache ist, dass die Gräben in der CDU enorm sind. Während die Grünen Geschlossenheit zeigen – woran sie früher immer gescheitert sind – ist die CDU kopflos und heillos in Grabenkämpfe verwickelt.
Führungsanspruch? Echt jetzt?
Guido Wolf wurde vorschnell als Fraktionschef gewählt – um seinen “Führungsanspruch” zu sichern. Dagegen opponiert Thomas Strobl, der dem Kontrahenten die Desasterwahl vorhalten kann. Er muss das nicht mal sagen – jeder weiß es.
Gemeinsam sehen die beiden neben Winfried Kretschmann auf Fotos wie Handlanger aus. Und keiner in der CDU bemerkt, dass beide zusammen den Untergang der CDU weiter betreiben.
Den Zeitpunkt für einen “geschmeidigen” Abgang haben beide Kontrahenten verpasst. Was bleibt? Da reicht die Fantasie nicht aus, was man sich noch leisten möchte.
Wenn es “gut” geht, sichert sich der Bundespolitiker Strobl einen Ministerposten. Finanzen oder Wirtschaft würde sich anbieten und natürlich die Rolle des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Thomas Blenke dürfte sich Chancen für den Innenminister ausrechnen. Und wenn die CDU hart pokert, wird sie auch das Bildungsministerium für sich verbuchen wollen und hat hier einen akzeptablen Personalvorschlag mit Georg Wacker, der glaubwürdig CDU-Bildungspolitik vertritt, aber auch grün-kompromissbereit sein kann.
Sonderliche Gespräche
Ob das so kommt? Das werden die Sondierungsgespräche zeigen. In den nächsten Wochen wird es um Inhalte, Positionen, Personen und Posten gehen. Worüber sich keiner Gedanken macht, nach unseren Informationen, ist das “Integrationsministerium” – Ministerin Bilkay Öney (SPD) soll aktuell viele Termine in Berlin haben, um sich neu zu orientieren. Und Ministerpräsident Kretschmann hat zwar viel über Integration geredet, aber als deutlichste Amtshandlung der Ministerin Kompetenzen weggenommen.
Zurück zur CDU: Hier wirken jede Menge “interessierte” Kräfte. Beispielsweise Nikolas Löbel, JU-Vorsitzender und Strobl-Mann. Auch ein Willi Stächele hat noch Rechnungen offen. Es gibt die Stadt-Land-Lager, die sich bekämpfen.
Und es gibt vor allem eines nicht: Einsicht. Zwar registriert man schon, dass man wie die SPD im Land neben den Grünen zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft werden könnte, aber es gibt keinerlei Ideen und Konzepte, wie man das verhindern könnte.
Die Sache mit dem Teflon
Der baden-württembergischen CDU kann man unterm Strich genau eins attestieren: Unbegründete Arroganz und tatsächliche Kopflosigkeit – was ein tödlicher Mix ist.
Was die Konservativen nicht kapiert haben – wenn Frau Merkel Teflon ist, ist Herr Kretschmann Teflon 3.0. Er führt seine Partei, hat Kritiker entsorgt, ärgert sich ab und an vielleicht ein wenig über einen Oberbürgermeister und zeigt sich damit menschlich. Ansonsten zieht der Realo seinen Stiefel durch, verabschiedet sich staatsmännisch von grünen Fundamentalismen und zeigt sich geschmeidig. Und der Erfolg macht ihn sogar sexy – was man weder von Strobl noch von Wolf behaupten kann.
CDU als Gehstock für Kretsche
Fatal für die CDU ist, dass sie jüngere Talente nicht hochkommen lässt, dass sie zu bräsig und altbacken ist – dass es schier niemanden gibt, der der Partei eine Image-Kur verpassen kann.
Und egal wie die “Sondierungen” ausgehen und ein möglicher Koalitionsvertrag aussehen wird – man muss befürchten, dass Thomas Strobl immer nur wie ein Handlager von Kretschmann auf Fotos aussehen wird und ein Fraktionsvorsitzender Guido Wolf ohne gescheite Abstimmung der Sehnsucht nach Anerkennung erliegt.
Mit einem Wort: Die CDU ist auf dem Weg zurück zur “Macht”, als Gehstock für Kretschmann.