Weinheim/Rhein-Neckar, 30. Januar 2014. (red/ld) Ende 2015 soll eine zentrale Unterkunft für 200 Asylbewerber in der Heppenheimer Straße entstehen. Das verkündeten Oberbürgermeister Heiner Bernhard und Landrat Stefan Dallinger im vergangenen Dezember. Der Widerstand dagegen ist enorm. Es gibt viele Einwände. Die Asylbewerber werden sicher Thema in den Kommunalwahlkampf sein. Sie könnte fremdenfeindlichen Gruppierungen genug Material liefern, um in den kommenden fünf Jahren die Stadtpolitik zu bestimmen. Mehr Bürgerbeteiligung könnte das Dilemma lösen.
Von Lydia Dartsch
Der Plan, bis Ende 2015 Platz für 200 Asylbewerber in einer neu gebauten Unterkunft in der Heppenheimer Straße zu schaffen, wie ihn Landrat Stefan Dallinger und Oberbürgermeister Heiner Bernhard am 03. Dezember 2013 vorstellten, klang unvermeidlich: Der Rhein-Neckar-Kreis wird das Gelände pachten und in den kommenden Jahren vier Häuser darauf bauen, die den Asylbewerbern als Unterkunft dienen.
Unvermeidlich ist, dass der Rhein-Neckar-Kreis 5,11 Prozent der in Baden-Württemberg ankommenden Asylbewerber in Erstunterkünften unterbringen muss, bis über deren Antrag entschieden ist. Angesichts der weltpolitischen Lage ist derzeit nicht abzusehen, dass sich die Zahl der Asylsuchenden verringert. Allein in Syrien sind neun Millionen Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Zum Vergleich: Das sind fast so viele Menschen, wie in Baden-Württemberg leben(10,6 Millionen Einwohner laut Statistisches Bundesamt).
Haken dran ist zu wenig
Das Angebot der Städte und Kommunen, die Menschen aufzunehmen, ist freiwillig. Das Angebot der Stadt Weinheim ist hilfreich. Die Art und Weise der Umsetzung gleicht einem Verwaltungsakt: Strikt nach Vorschrift. Haken dran.
Alles beschlossen? Von wegen! Das Gelände an der Heppenheimer Straße liegt zwischen einem Gewerbe- und einem Wohngebiet. Der dort gültige Bebauungsplan sieht eine Sondernutzung für Lebensmittelhandel vor. Für eine Wohnbebauung müsste dieser zuerst geändert werden: Mit Aufstellungsbeschluss, Planverfahren, Offenlage. Dazu brauchen Herr Bernhard und Herr Dallinger die Zustimmung des Gemeinderats – den Vertretern der Weinheimer Bürger/innen. Die Mitglieder dieses Gremiums werden am 25. Mai neu gewählt.
Das Bebauungsplanänderungsverfahren wird bis dahin nicht durchzuziehen sein. Das Vorhaben könnte sich kommunalpolitisch auswirken. Welche Brisanz das Thema hat, haben die Reaktionen auf die Ankündigung und die Berichterstattung gezeigt, sowie die Resonanz in der Bürgerversammlung am 16. Dezember 2013. Ein Bürgerbeteiligungsverfahren könnte bereits jetzt die Weichen in dem Verfahren für den nächsten Gemeinderat stellen und fremdenfeindlichen Gruppierungen den Wind aus den Wahlkampfsegeln nehmen. (Siehe auch “Wagnis Demokratie – geht das gut?”)
Warum nicht den Planungsleitfaden der Grün-roten Regierung nutzen?
Eine Bürgerbeteiligung könnte nach dem Planungsleitfaden der Landesregierung funktionieren, der am 01. März in Kraft tritt, aber schon jetzt angewendet werden kann. Dieser sieht vor, dass Vorhabenträger von Großprojekten die Bürgerschaft und die betroffenen Organisationen in die Planung einbeziehen, um eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen und deren Einwände darin aufzugreifen. Das Land ist in seinen Vorhaben an diesen Leitfaden gebunden. Die Kommunen nicht.
Den richtigen Einstieg in ein solches Verfahren haben Oberbürgermeister Heiner Bernhard und Landrat Stefan Dallinger mit ihrer Pressekonferenz und der Verkündung von Fakten ohne Beschluss schon mal verpasst. Der Planungsleitfaden sieht als ersten Schritt einer Bürgerbeteiligung das sogenannte “Beteiligungscoping” vor. Also einen Fahrplan, wie die Bürgerschaft an den Entscheidungen beteiligt werden kann.
Zurück auf Anfang
Der erste Schritt hätte die Pressekonferenz am 03. Dezember sein können. Oberbürgermeister Bernhard hätte darin erklärt, dass die Stadtverwaltung angeboten habe, Ende 2015 rund 200 Asylbewerber aufzunehmen. Es sei denkbar, für deren Unterbringung das Gelände in der Heppenheimer Straße zu entwickeln, hätte er gesagt und angekündigt, dass eine Bürgerversammlung stattfinden werde, um die Möglichkeiten einer humanitären und integrativen Unterbringung dieser Menschen unter Beteiligung der Weinheimer Bürgerschaft zu ermöglichen.
Dies hätte der Hintergund der Bürgerversammlung am 16. Dezember sein können. Die Stadt hätte darin die Lage erklären und wichtige Fragen stellen können. Man hätte die verschiedenen Möglichkeiten der Unterbringung und Integration in die Stadtgesellschaft vorgestellt: Zentrale oder dezentrale Unterbringung? Welche Möglichkeiten sind in der Stadt vorstellbar? Welche Voraussetzungen müssen vorhanden sein? Mit welchen Akteuren muss man ins Gespräch kommen? Welche Vereine könnten hilfreich sein, den Asylbewerbern bei deren Ankunft zu helfen?
Angelehnt an den Planungsleitfaden könnte der Beteiligungsfahrplan folgendermaßen aussehen: In der Bürgerversammlung werden kleine Gruppen gebildet, die sich den verschiedenen Themenfeldern annehmen: Unterbringungsarten, Beschulung der Kinder, Ämterbegleitung, Kulturveranstaltungen, Integration in Vereinen und Sprachförderung. Die Gruppen wären besetzt mit den entsprechenden Mitarbeiter/innen der Stadtverwaltung und des Landratsamts sowie mit Vertretern von Interessengemeinschaften wie den Kirchen, Pro Asyl Weinheim und der BI Dezentrale Unterbringung für Flüchtlinge. Auch eine festgelegte Anzahl von interessierten Bürger/innen wäre in diesen Gruppen vertreten. Wer sich beteiligen möchte, könnte sich bei der Bürgerversammlung um einen Platz bewerben.
In diesen Diskussionsgruppen würden Lösungen gefunden, wie man 200 Menschen in der Stadt aufnehmen kann und es könnten alle damit zusammenhängenden Fragen geklärt werden: Wie könnte die Sozialarbeit bei dezentraler Unterbringung mit einem angemessenen Aufwand gewährleistet sein? Wo und wie werden die Kinder beschult? Welche Möglichkeiten des Spracherwerbs können mit bürgerschaftlicher Hilfe angeboten werden? Wie kommen die Menschen – Asylbewerber und Weinheimer – in Kontakt miteinander? Sicherlich nicht in einer zentralen Unterkunft am Rande des Gewerbegebiets. Welche weiteren Anziehungspunkte könnte man in dem entstehenden Gebäudekomplex realisieren?
Integration muss früh und kontinuierlich sein
Je früher diese Integration ansetzt, desto besser können sich die Menschen als anerkannte Flüchtlinge später in die Weinheimer Gesellschaft einbringen, sich zu Hause fühlen, einen Arbeitsplatz finden – denn arbeiten dürften sie dann, auch eine Wohnung unterhalten. Welche Stellen helfen bei der Vermittlung der Flüchtlinge an die Firmen? Auch das muss bedacht werden.
Auf Basis dieser Diskussionen hätte die Stadtverwaltung einen Aufstellungsbeschluss für eine Bebauungsplanänderung erarbeiten können, die alle anstehenden Fragen vorab hätte klären können. Man hätte überlegen können, ob es nicht sinnvoller wäre kommunale Wohnungen sanieren zu lassen und an das Landratsamt zu vermieten. Auch in das weitere Verfahren würden die Diskussionsgruppen einbezogen. Die Entscheidungen im Gemeinderat fielen mit den Bürgern. Nicht an ihnen vorbei.
Den Asylbewerbern, die nach Weinheim kommen, würde die so entstandene Infrastruktur sehr helfen, sich tatsächlich willkommen zu fühlen, wie Oberbürgermeister Bernhard das öffentlich gewünscht hatte, als er sagte, die Asylbewerber sollen eine “Willkommenssituation” vorfinden. Nur: Die muss man auch schaffen. Worte allein reichen nicht. Und schon gar nicht von oben verordnet.
Doch wie geht es in der Realität weiter? Man kann die Aufgabe streng nach Vorschrift lösen und zwei Offenlagen des Bebauungsplans als “genug Bürgerbeteiligung” ansehen. Ob dies aber sinnvoll ist, wenn es um Menschen geht, ist äußerst fraglich. Könnte man nicht mehr erreichen mit ein wenig mehr Aufwand, als wenn man nur Häckchen hinter Checklisten setzt? Eine Willkommenssituation, die nicht auf einem Verwaltungsakt beruht, sondern auf menschlicher Anteilnahme? Wäre das nicht das “bunte Weinheim”, das seitens der Stadtverwaltung immer wieder gelobt und gepriesen wird?