Mannheim/Rhein-Neckar/Stuttgart, 30. Juli 2018. (red/pro) Am vergangenen Dienstag wurde im Gemeinderat der Kostenrahmen von 200 Millionen Euro (plus 40 Millionen Euro Zusatzkosten während der Bauphase) zur Sanierung des Nationaltheaters beschlossen – obwohl weitestgehend unklar ist, wie dies zu finanzieren ist. 80 Millionen Euro gibt der Bund als Förderung. Bleiben 160 Millionen Euro, also je 80 Millionen Euro für die Stadt und das Land. Was vernünftig klingt, ist unvernünftig eingefädelt worden. Ein Lehrstück über Provinztheater.
Von Hardy Prothmann
Nach einem erfolgreichen Auftakt erfährt das Projekt „Sanierung NTM“ eine dramatische Wende. Was wie ein unverhofftes Lustspiel begann, droht als Tragödie zu enden, denn Hochmut kommt vor dem Fall.
80 Millionen Euro vom Bund – eine beeindruckende Summe, vor allem, wenn man weiß, dass dies nicht nur eine außergewöhnliche, sondern bis dato ein unvorstellbare Fördersumme ist. Ausgehandelt wurde dieser Zuschuss hinter den Kulissen und nicht auf offener Bühne. Ein beeindruckendes Beispiel, dass „Hinterzimmerpolitik“ eben nicht immer gleich für Verschwörungstheorien geeignet ist (außer, es wird irgendwann eine Bedingung bekannt). Politiker von SPD und CDU oder CDU und SPD haben erfolgreich auf Kollegen eingewirkt und letztlich diese Förderung erreicht. Bekannt wurde dieser Beschluss, als er „in trockenen Tüchern“ war.
Wer nun fordert, auch das Land müsse 80 Millionen geben, macht angesichts des Erfolgs einen schweren Fehler. Von „müssen“ kann keine Rede sein. Weder der Bund noch das Land müssen auch nur einen Cent für ein kommunales Theater aufbringen. Egal, wie erfolgreich es ist, egal, wie alt es ist, egal, wie groß es ist, egal, wie bedeutend es ist. Das Nationaltheater Mannheim ist und bleibt ein kommunales Theater.
Irritierter Ministerpräsident
Bescheidenheit ist eine Zier, ist eine alte Weisheit. Doch davon findet man in Mannheim bei vielen Kommunalpolitikern keine Spur. Für viele steht fest, dass das Land mit dem Bund gleichziehen muss. Dass es dazu keinerlei Verpflichtung gibt, scheint Nebensache. Doch es ist des Pudels Kern: Es gibt keine Verpflichtung des Landes gegenüber den Finanzsorgen der Stadt. Außer vielleicht einer „moralischen“. Doch was ist Moral in der Politik?
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Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich laut Medienberichten „irritiert, was ich da aus Mannheim höre“. Man dürfe sich keine großen Hoffnungen machen, aber auch nicht alle Hoffnung fahren lassen, orakelt Herr Kretschmann laut dpa.
Wie rechnen?
Die aktuelle Gretchenfrage ist, wie man rechnet. Das Drittelmodell klingt einfach – nur gibt es dafür keinerlei Grundlage. Rechnet man nur die Sanierungskosten, bleiben abzüglich des Bundeszuschusses 120 Millionen Euro übrig, geteilt durch Land und Stadt also je 60 Millionen Euro, wenn man sich an der hälftigen Bezuschussung der Staatstheater in Stuttgart und Karlsruhe orientiert. Das hälftige Rechnen geht aber auch anders: 240 Millionen Euro sind als Kosten angenommen. Rechnet man die hälftig, also 50 Prozent, die die Kommune zu tragen hat, sind das 120 Millionen Euro. Verbleiben 120 Millionen Euro, von denen der Bund bereits 80 Millionen Euro übernommen hat, ergo gibt das Land 40 Millionen Euro und der hälftige Zuschuss ist erbracht.
Die letzte Rechnung ist nach RNB-Informationen die der Grünen in Stuttgart – entsprechend wurden diese 40 Millionen bereits kolportiert und medial durch eine Lokalzeitung breitgetreten. Aus den Reihen der CDU heißt es, man wolle sich noch nicht auf einen Betrag festlegen.
Verteilte Spielstätten
Das politische Theaterstück spielt aber nicht nur auf Bühnen in Mannheim und Stuttgart, sondern auch in Heidelberg. Die für Kunst zuständige Ministerin Theresia Bauer (Grüne), die oft und gerne Gast im NTM sein soll, steckt in einem Dilemma und jeder weiß, was das heißt: Einen Tod muss man sterben. Setzt sie sich für die 80 Millionen ein, gleicht das nicht einem politischen Selbstmord, wird jedoch vermutlich nicht schadlos an ihr vorübergehen: Denn das Heidelberger Theater erhielt keine Zuschüsse für die Sanierung. Setzt sie sich also für die Maximalforderung ein, wird dies als Klatsche gegen Heidelberg verstanden werden – oder über eine dortige Lokalzeitung derart interpretiert werden.
Auf dem begehrten Goldschatz sitzt die Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne), die wie weiland Merkel für Kohl so eine Art „Kretschmann’sches Mädsche“ ist. Die Freiburgerin hat mit Mannheim nicht viel am Hut, warum sollte sie also so viel Geld locker machen, wenn sie keinerlei Vorteil erkennen will?
Hier kommt wiederum der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) ins Spiel, dessen Ruf als äußerst kompetenter kommunaler Spitzenpolitiker von erheblicher Tragweite im In- wie Ausland ist und der seit kurzem baden-württembergischer Städtetagspräsident ist, was ihm nochmals mehr Bedeutung verschafft, die aber auch ein Nachteil sein kann: Er vertritt als Präsident die Interessen aller Städte im Südwesten und nicht nur die Mannheims. Darauf wird sehr genau geachtet werden. Und als Vertreter der Städte verhandelt er aktuell mit dem Land um mehr Zuschüsse für die Kommunen, insbesondere die Inklusion behinderter Menschen, die Unterbringung von Flüchtlingen und die Kinderbetreuung erfordern aus Sicht der Kommunen deutlich mehr Zuschüsse durch das Land.
Wer Dr. Kurz kennt, weiß, dass der Mann seine Ziele immer mit Bedacht und sehr gut vorbereitet verfolgt. Der promovierte Jurist und frühere Verwaltungsrichter kennt zudem vermutlich alle wichtigen Winkelzüge der kommunalen Politik – im Land wird aber teils nach anderen Regeln gespielt und diese sind auch nicht immer verbindlich. Nordbaden hat zudem politisch zu wenig lobbyistischen Einfluss in Stuttgart – ein Mangel, der nicht nur in Mannheim seid langem beklagt wird, aber hausgemacht ist. Und schaut man historisch zurück, so ist die Uraufführung von Schillers Räubern untrennbar mit dem Nationaltheater Mannheim verknüpft – der Militärarzt Friedrich Schiller war damals aus Stuttgart vor Strafverfolgung ins Mannheimer Exil geflohen, im drohten Festungshaft und Schreibverbot.
Kommunales Trauerspiel
Es gibt also viele Verwicklungen in der Causa Nationaltheater, die jederzeit für eine dramatische Wende sorgen können.
Wenn ein Stadtrat Thorsten Riehle (SPD) zum Lobgesang auf den Oberbürgermeister anstimmt und dabei eine Strophe zur Rolle der CDU vergisst und von Seiten der CDU Mannheim Maximalforderungen gestellt werden und ein Stadtrat Nikolaus Löbel (CDU) sich über Gebühr selbst lobt und andere dies zu recht kritisieren und ein Stadtrat Eberhard Will (Bürgerfraktion, davor Alfa, davor AfD) das Nationaltheater als „Bollwerk gegen eine Parallelgesellschaft“ (Anm. d. Red.: Beachten Sie bitte unten den Kommentar von Herrn Will.) definiert und ein Stadtrat Gerhard Fontagnier (Grüne) mehr oder weniger die Hoffnung auf 80 Millionen nimmt und auf weniger einstimmen will, dann entsteht eine Kakophonie, deren Signal man in Stuttgart eindeutig verstehen wird: In Mannheim ist man uneins und damit ist man dort schwach. Dabei eignet sich das Thema überhaupt nicht für lokale Profilierungsneurosen und auch nicht für eine mediale Skandalisierung.
Im Ergebnis orakeln wir, dass die grüne Zählung Realität wird. 120 Millionen durch Bund und Land (80+40) – die Hälfte trägt die Stadt.
Das ist ein tragisches Lehrstück, wie man in Zeiten des kommunalen Vorwahlkampfes eben mal so 40 Millionen Euro verbrennt. Der erste Akt dieses Schauspiels war die unselige Debatte über einen „Vaterschaftstest“. Der zweite Akt wird die unselige Debatte darüber sein, ob 40 Millionen nun ein Erfolg oder ein Misserfolg sind und wer für was die Verantwortung trägt. Der dritte Akt wird sein, wie man den Kraftakt wird bestehen können – denn sehr viel kann auch zu wenig sein. Mit 120 Millionen Euro ist die Hälfte des Projekts finanziert – 120 Millionen Euro sind für die Stadt Mannheim aber eine gigantische Herausforderung. Selbst 80 Millionen Euro wären schon eine erhebliche Herausforderung.
Vielleicht, aber nur vielleicht erfährt die Causa Nationaltheater noch eine dramatische Wende und es gelingt tatsächlich, die 80 Millionen zu erhalten. Tatsache ist, auch 40 Millionen Euro wären besser als nichts. Reizt man den Landesfürsten noch mehr, rechnet der vielleicht neu und beschränkt sich auf die reinen Sanierungskosten von 200 Millionen Euro und hälftige Förderung, sprich 80 Millionen Euro vom Bund und 20 Millionen Euro vom Land ergeben 100 Millionen Euro.
Lust machen, statt Lust zu verderben
Das Stück ist noch nicht zu Ende geschrieben. Zur Lektüre empfehle ich Luigi Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“, uraufgeführt 1921. Der Nobelpreisträger sagte über sein Werk:
Ohne es zu wollen, drückt jeder von ihnen in höchster Erregung, um sich gegen die Anschuldigungen des anderen zu verteidigen, als sein tiefstes Leid und seinen Kummer das aus, was so viele Jahre die Not meines Geistes gewesen ist: die Unmöglichkeit, sich gegenseitig zu verstehen.
Die Kunst wird sein, Herrn Kretschmann Lust zu machen, statt ihm die Lust zu verderben. Ein „Bollwerk gegen die Parallelgesellschaft“ zu fördern, ist so ziemlich das Unlustigste, was man sich aus dessen Sicht vorstellen kann. Dieser unsäglichen Sicht könnte ein Burkhard C. Kosminski entgegentreten – immerhin hat er mit anderen Erhebliches geleistet, um den Zusammenhalt der Kulturen zu fördern und Verständnis und Interesse zu wecken. Als neuer Intendant des Schauspiels Stuttgart könnte er sich für seine alte Heimat gewichtig einsetzen und vermitteln, was Dr. Kurz als wesentlich analysiert hat:
Wir leben in einer sich fragmentierenden Gesellschaft. Der „Whataboutism“ hat deutlich zugenommen. Die gesellschaftliche Kraft der Kultur wird nicht mehr so wie früher wahrgenommen, dabei ist sie dringlicher denn je.
Es gibt sehr gute Gründe für das Land, dem vom Kurfürsten Carl Theodor als „stehende Bühne“ gegründeten und 1977 als erste „deutsche Nationalschaubühne“ in Betrieb genommen Nationaltheaters einmalig unter die Arme zu greifen. Es wäre eine historische Investition in ein belegt erfolgreiches Vier-Sparten-Haus von immenser Bedeutung nicht nur für Mannheim, sondern für die gesamte Metropolregion.
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Das Theater muss befreit werden
Das Nationaltheater Mannheim muss aus der provinziellen Umklammerung der kommunalen Politik befreit und als Einrichtung der Metropolregion Rhein-Neckar begriffen werden. Mit Standort in Mannheim und Wirkung in die gesamte Region mit mehreren Millionen Menschen. Wer das NTM nur aus Mannheimer Perspektive sieht, hat nichts verstanden.
Was wäre eigentlich verkehrt daran, wenn einen regionalen Wettbewerb daraus zu machen? 40 Millionen Euro Zuschuss werden gewährt, damit ist die „hälftige Rechnung“ erfüllt. Sollten die Gemeinden der Region weitere 20 Millionen Euro auftreiben, wird das Land nochmals gleichziehen und weitere 20 Millionen Euro geben, womit die 80 Millionen Euro beisammen wären.
Und sollte die Solidarität der Mannheimer Nachbarkommunen, deren Bürger sehr gerne das Nationaltheater nutzen, mit dieser erheblichen Kultureinrichtung noch größer ausfallen, würde das Land die Stadt weiter in gleicher Höhe entlasten – das könnte auch für jegliche private Spenden gelten. So gerechnet, würde aus jedem Euro zwei Euro werden. Die Botschaft: Man schafft Großes nur gemeinsam.
Eine Utopie? Vielleicht. Aber man darf ja noch träumen und manchmal werden Träume wahr. Eins ist sicher: Mit Hochmut wird das nicht gelingen. Mit Demut, demonstrativer Geschlossenheit und einem klaren Ziel ganz sicher. Wenn alle Freude haben, werden auch ein Herr Kretschmann und eine Frau Sitzmann nicht die Rolle der Spielverderber geben wollen.
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