Heidelberg/Rhein-Neckar, 30. Juli 2014. (red/pm) Über 5.600 jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden wurden am 22. Oktober 1940 mit Zügen nach Frankreich deportiert und im Lager Gurs interniert. „Um das Geschehen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, erinnert jetzt ein Mahnmal in der Nähe des damaligen Gleises 1 an dieses dunkle Kapitel der Heidelberger Geschichte“, sagte Heidelbergs Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner bei der Enthüllung des Gedenksteins am 30. Juli.
Information der Stadt Heidelberg:
„Wir sind aufgefordert, alles dafür zu tun, dass sich solche Unmenschlichkeit niemals mehr wiederholen kann. Herkunft, Abstammung, Sprache, Hautfarbe oder Glaube dürfen nicht zu Ausgrenzung oder Verfolgung führen. Sorgen wir dafür, dass die Menschen in all ihrer Vielfalt bei uns willkommen sind. Sie bereichern unsere Stadt.“
An dem feierlichen Akt nahmen zahlreiche Gäste teil, darunter der Zeitzeuge Hans Flor, der damals seine Verwandten am Bahnhof ins Ungewisse verabschieden musste, sowie Manfred Lautenschläger, der die Aufstellung des Mahnmals mit einer großzügigen Spende ermöglichte.
Schülerwettbewerb
Das Mahnmal ist im Rahmen eines Schülerwettbewerbs entwickelt worden, den die evangelische Kirche zusammen mit der jüdischen Gemeinde und der Stadt Heidelberg initiiert hatte. Im Oktober 2010 hatten sich 60 Heidelberger Zehntklässlerinnen und Zehntklässler des St. Raphael-Gymnasiums und der Elisabeth-von-Thadden-Schule bei einem Studientag unter dem Motto „Damit Erinnerung Gestalt gewinnt“ mit dem Thema beschäftigt.
Sie diskutierten unter anderem mit dem Lager-Zeitzeugen Kurt Meier. Die Kunstlehrer der beiden Schulen leiteten das rund fünf Monate dauernde Schulprojekt. Insgesamt 50 Entwürfe wurden der Jury vorgelegt.
Aus der Heimat verschleppt
Ausgewählt wurde ein von Anna-Sophia Weßling, ehemalige Schülerin der Elisabeth-von-Thadden-Schule, entworfener Gedenkstein. Sie entwarf einen Kubus, auf dessen Oberfläche Gleise zu sehen sind. Sie symbolisieren den Weg, über den die Heidelberger Juden aus ihrer Heimat verschleppt wurden. Ein weiterer Entwurf, der aus diesem Schülerwettbewerb hervorging, von Katharina Jungwirt und Elisa Huyn, wurde bereits an der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern realisiert.
Der Entwurf von Weßling wurde von Bildhauer Grégory Boiteux als massiver Block aus Odenwälder Granit mit den Kantenmaßen 1,45 mal 1,45 mal 1,60 Meter umgesetzt. Der tonnenschwere Stein steht etwa dort, wo am ehemaligen Hauptbahnhof die jüdische Bevölkerung den Zug besteigen musste. Vor dem Stein befinden sich Schienen und Gleisschotter.
Die Idee zur Gestaltung des Umfeldes stammt von Landschaftsarchitekt Wolfgang Roth, die Schienen spendete der Mannheimer Stahlbauer Volkmar Kürschner, das Mahnmal-Umfeld wurde von der Dossenheimer Firma Böttinger angelegt. Nach Abschluss der Umgestaltung der Schwanenteichanlage soll noch eine Informationstafel aufgestellt werden.
Deportation nach Gurs
Im Sommer des Jahres 1940 beschlossen die nationalsozialistischen Gauleiter Badens, ihre Verwaltungsbereiche als erste im Deutschen Reich als „judenfrei“ zu proklamieren. Über 5.600 jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden wurden am 22. Oktober 1940 nach Frankreich deportiert und in Gurs interniert. Auch von Heidelberg aus fuhren Züge nach Gurs. Die in allen Stadtteilen festgenommenen Juden wurden zum Gleis 1a des alten Hauptbahnhofes gebracht, wo bereits der Deportationszug wartete.
In Gurs war man auf die große Anzahl der Neuinternierten nicht eingestellt. Ernährung und medizinische Versorgung waren völlig unzureichend. Eine Ruhrepidemie kostete bereits im ersten Jahr zahlreiche Menschen das Leben.
Die Gefangenen mussten zunächst teilweise auf dem Erdboden schlafen, später durften sie sich einen Sack mit Stroh als Unterlage füllen. In den Baracken wurde ihnen ein 70 Zentimeter breiter Raum zugestanden. Die Trennung von den Familien, Hunger, katastrophale hygienische Bedingungen und Krankheit prägten die Situation; pro Tag starben etwa sieben Menschen.
Insgesamt verstarben in Gurs mehr als tausend der aus Baden internierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Für viele der Deportierten bedeutete Gurs den Beginn eines Leidensweges in die Konzentrationslager des Ostens. Ab März 1942 veranlasste der Leiter des Judenreferates der Gestapo, Theodor Dannecker, Transporte nach Auschwitz, Lublin-Majdanek, Sobibor und in andere Vernichtungslager, wo die meisten kurz nach ihrer Ankunft ermordet wurden.
Der erste Transport verließ Gurs am 06. August 1942 und fuhr über Drancy bei Paris „mit unbekanntem Ziel“ Richtung Osten. Ab 1941 gab es auch gelegentliche Verlegungen von Gurs in andere französische Lager. So kamen im Frühjahr desselben Jahres kinderreiche Familien in die Lager Rivesaltes oder Récébédou, was der jüdischen Hilfsorganisation O.S.E. (Oeuvre de Secours aux Enfants) ermöglichte, aus diesen Lagern mehrere hundert Kinder zu retten.“