Mannheim, 29. Dezember 2014. (red/ld) Die 30 ist nur eine Zahl. Trotzdem haben viele Menschen Angst vor ihrem 30. Geburtstag. Denn bezogen auf das Alter, trennt da nicht die 30 die Hippies von den Spießern? Die Jugend von dem Erwachsensein? Das „Alles-ist-möglich“ vom „So-bleibt-es-für-immer“? Vor kurzem bin auch ich ein Jahr älter geworden: 31 Jahre. Mit diesem Abstand kann ich sagen, dass die Angst übertrieben ist.
Von Lydia Dartsch
Die Panik begann vor gut zwei Jahren: Nacheinander wurden die Menschen in meinem Freundeskreis 30 Jahre alt. Einer nach dem anderen. Manche feierten ihren runden Geburtstag gar nicht. Und diejenigen, mit denen ich feiern durfte, sah ich auf ihrer Party meist mit einem etwas wehmütigen Gesichtsausdruck. Verstanden habe ich das damals nicht. Aber ein Jahr später war es auch bei mir soweit.
Viele Menschen fürchten sich davor, 30 Jahre alt zu werden. Der 30. Geburtstag ist die Demarkationslinie zwischen den wilden, unangepassten Zwanzigern und der Erwachsenenwelt. Zwischen spontanem Ideenfeuerwerk und Spießertum. Man muss vernünftig sein, Verantwortung tragen, heiraten, Kinder bekommen. Kurzum: Man muss berechenbar sein. Das wird erwartet.
Außerdem sind 30 Jahre fast ein Drittel eines Jahrhunderts. Als es vor einem guten Jahr bei mir soweit war, habe ich mir auch Gedanken gemacht: „Läuft bei mir alles normal?“ Meine Eltern waren in meinem Alter schon fünf Jahre verheiratet, hatten zwei Kinder, einen guten Job, ein Auto und haben auf das Häuschen hingearbeitet, in dem sie jetzt wohnen.
„Läuft mein Leben, wie ich es will?“
Viele der heutigen Dreißiger haben nichts davon: Sie sind weder verheiratet, noch haben sie Kinder oder einen sicheren Job. Viele arbeiten befristet. Von Projekt zu Projekt. Einige verzichten auf ein Auto oder darauf, auf ein Häuschen zu sparen. Ich selbst habe mir noch nicht einmal den ersten Weihnachtsbaum gekauft. Der passt eh nicht in meine kleine Wohnung. Und Weihnachten habe ich – wie immer – bei meinen Eltern verbracht.
„Läuft mein Leben, wie ich es will?“ Das fragen sich heute viele Menschen in den Dreißigern. Man nennt sie die „Generation Y“. Das Ypsilon ist im Englischen ein Homophon zu „Why“ – Warum? Der israelische Folk-Musiker Asaf Avidan hat dieser Bewegung mit seinem „Reckoning Song“ eine Hymne gegeben: „One Day Baby, we’ll be old. Think of all the stories that we could have told.“ Die Poetry-Slammerin Julia Engelmann hat daraus ein Manifest gemacht: „Eines Tages werden wir alt sein. Denk Dir nur welche Geschichten wir hätten erzählen können.“
Ich bin ein Teil dieser Generation Y – gerade 31 Jahre alt geworden. Eines Tages werde ich alt sein. Und ich will dann die Geschichten erzählen, die andere hätten erzählen können, wenn sie nicht stehen geblieben wären. Was will ich bis dahin erreichen? In neun Jahren bin ich 40, in 19 Jahren 50. Spätestens dann fangen die Wehwehchen an. Ich muss mich ranhalten, um es zu schaffen. Ich habe spät angefangen: Nach der Uni habe ich ein Volontariat absolviert und gerade beendet. Ein Ziel ist erreicht. Auf zum nächsten. Die Zeit fängt an zu rasen.
Sich Kindheitsträume zu erfüllen ist das größte Geschenk, das man sich selbst machen kann – auch wenn das bedeutet, dass man die kurzen Wochen nicht nur in Geldverdienen und Sozialleben aufteilt, sondern vielleicht doch noch ein Musikstudium unterbringt, Bandproben, Wettbewerbe, Auftritte. Und dann dieser Gedanke, der in eine ganz andere Richtung geht: „Und eigentlich wollte ich schon immer Astronautin werden.“
„Man kann immer noch die Spur wechseln“
Dafür bin ich sogar gerade im idealen Alter. Denn die Europäische Raumfahrtorganisation bevorzugt Bewerber zwischen 27 und 37. Ich habe noch sechs Jahre Zeit. Ein Jahr nach meinem 30. Geburtstag kann ich also sagen, dass man sich vor dem runden Geburtstag nicht fürchten braucht. Denn es ist noch alles möglich. Oder um es mit Led Zeppelin zu sagen: „Es gibt immer zwei Wege, die man gehen kann. Du kannst immer noch die Spur wechseln.“ Man muss sich eben ranhalten.
Und man darf sich nicht verheddern in dieser Vielfalt an Möglichkeiten, die sich einem auf dem eigenen Stairway to Heaven – der Treppe ins Paradies – bieten. Sonst denkt man in 30 Jahren wieder an die Geschichten, die man hätte erzählen können; anstatt sie erlebt zu haben.