Rhein-Neckar/Hamburg/Ankara, 29. März 2016. (red/pro) Wer hätte das gedacht? Satire ist ein hochernstes Geschäft – so ernst, dass das Lied der Satire-Sendung Extra3 „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ zu „Spannungen“ zwischen der Türkei und Deutschland geführt hat. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war so überhaupt nicht amüsiert, das türkische Außenministerium bestellte den deutschen Botschafter ein. Wie lustig ist das noch, wenn es überraschend ganz ernst wird? Die Türkei soll sogar den Verbreitungsstopp des Videos gefordert haben. Genau das Gegenteil passiert.
Interview: Hardy Prothmann
Fast 900.000 Aufrufe für das kleine Liedchen von Extra3. Auch dank ErdoWahn.
Hier gibt es den Song mit türkischen Untertiteln.
Herr Lange, hat Herr Außenminister Steinmeier bereits gratuliert oder geschimpft?
Andreas Lange: Naja, von politischer Seite haben wir noch nichts gehört, weder aus Deutschland nach aus der Türkei. Das Lied ist ja schon seit dem 17. März draußen – dass das jetzt so einen Rumms macht und die diplomatische Eskalationsskala hochläuft, hätte ich nicht gedacht. Das Schweigen der deutschen Politik werte ich mal als stille Zustimmung.
Mir ist glatt ein Osterei aus der Hand gefallen.
Wie haben Sie denn davon erfahren, dass Herr Erdogan nicht amüsiert ist?
Lange: Beim Ostereier-Suchen. Mir ist glatt eins aus der Hand gefallen. Mit einer so großen Ehre hatten wir dann doch nicht gerechnet.
Ehre? Sie haben internationale Verwicklungen ausgelöst. Wird bereits die Auflösung der Redaktion gefordert oder beißt man da auf Marmor*?
Lange: Der Herr Marmor ist unser Fels in der Brandung – seit Jahren prallt da alles an Kritik an extra 3 ab. Wir haben alle Freiheiten und dafür sind wir sehr dankbar.
Ihr dürft machen, was ihr wollt?
Lange: Ja. Jetzt mal ganz untypisch ein ernster Hintergrund. Die allermeisten Mitarbeiter bei Extra 3 sind volontierte Journalisten, die irgendwann auf die „schiefe Bahn“ gerieten und bei uns gelandet sind…. Kein Quatsch: Wir arbeiten journalistisch, das heißt, wir schauen, was ist die Themenlage, wir wählen die Themen aus, wir recherchieren und spitzen dann halt zu – bis es Satire ist. Und ganz ehrlich…
…also nicht satirisch…
Lange: …auch Satire ist ehrlich. Das ist jetzt aber keine: Ich bin sehr froh in diesem Land Journalismus machen zu dürfen. Wie es mit der Meinungsfreiheit in der Türkei und anderen Ländern bestellt ist, sehe ich eher als vollständig unlustig an. Unsere satirische Bearbeitungen nehmen sich mit Humor Leute zur Brust, aber der Hintergrund ist meist ein ernster. Gerade weil wir diesen ernsthaften journalistischen Hintergrund haben, dürfen wir im Rahmen dessen alles machen, was Hand und Fuß hat. In unserem Lied kommt nichts vor, was erfunden ist. Und über die journalistische Form der Satire erreichen wir Leute, die sich für „trockene“ Politikthemen nicht interessieren – wir führen also die „bodenständige“ Arbeit vieler Kollegen weiter.
Urlaub in der Türkei? Dieses Jahr eher nicht.
Dann frage ich mal ganz im Ernst: Plant jemand aus der Redaktion noch seinen Urlaub in der Türkei oder wird für dieses Jahr vorsichtshalber umgebucht?
Lange: Das weiß ich nicht für jeden Kollegen – aber ich käme jetzt eher nicht auf die Idee, dort Urlaub zu machen. Nicht nur wegen dieses Vorfalls, sondern wegen der allgemeinen Sicherheitslage.
Herr Erdogan wurde von Extra3 prompt zum Mitarbeiter des Monats gekürt – hat er seinen Vertrag schon unterschrieben?
Lange: Braucht er nicht. Wir lassen ihn einfach so mitmachen, wie bereits in der Vergangenheit. Das ist ja schließlich schon das zweite Lied für ihn gewesen. Wir werden ihn auch in Zukunft professionell begleiten. Wir sind hier ja in Deutschland und nicht in der Türkei – dort hätten wir und das Publikum jetzt vermutlich nichts mehr zu lachen.
Aus Satire wurde Ernst – ist das noch lustig?
Lange: Wir amüsieren uns einerseits sehr und eigentlich hat Herr Erdogan den Extra3-Orden verdient, weil er unserem kleinen Lied nochmals so viel Aufmerksamkeit verschafft.
Und andererseits?
Lange: Freuen wir uns, dass die Themen hinter der Satire nun sehr viel Aufmerksamkeit erfahren – also, wie es um Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei bestellt ist. Wenn unser Beitrag dieses Thema über den Humor zu einer ernsten Debatte führt, dann haben wir einen guten Job als Journalisten gemacht.
Wie gehts weiter?
Lange: Na, so wie immer. Wir recherchieren so vor uns hin, machen unsere Filmchen und unsere Liedchen und gucken dann mal, wer sich aber mal so richtig darüber aufregt.
Zur Person:
Andreas Lange (45) hat beim NDR volontiert, als Freier Mitarbeiter gearbeitet, war Redakteur beim Polit-Magazin Panorama und ist seit 2007 Redaktionsleiter der NDR-Satiresendung Extra3, die im kommenden September den 40. Geburtstag feiert. Zielgruppe sind nach eigenen Angaben alle Zuschauer ab 3 Jahren im Norden beziehungsweise im Bundesgebiet. Bei Extra3 arbeiten 5 feste Redakteure und insgesamt rund 30 freie Autoren – in wechselnden Besetzungen. Extra3 im NDR: 30 Minuten, Extra3 im Ersten: 45 Minuten.
* Lutz Marmor ist Intendant des NDR.