Rhein-Neckar, 29. Juni 2013. (red/aw) “Lobbyismus macht auch vor der Schultüre nicht halt!”: Zu dieser Erkenntnis kommt der gemeinnützige Verein “Lobbycontrol”. Die selbsternannten “Aufklärer” haben untersucht, mit welchen Methoden Lobbyisten Einfluss auf den Unterricht nehmen und welche Motive dahinter stecken. Die alarmierenden Ergebnisse haben sie in einem Diskussionspapier „Lobbyismus an Schulen“ veröffentlicht. Es zeigt: Die Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche wird professionell organisiert und ist längst Teil langfristiger und umfassender Lobbystrategien. Am 17. Juni übergab LobbyControl dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Stephan Dorgerloh, einen Protestbrief dem fast 9.500 Unterschriften angehängt sind. Er fordert die Bildungsminister der Länder dazu auf, Maßnahmen gegen Meinungsmache und Marketing an Schulen zu ergreifen.
Von Alexandra Weichbrodt
Immer mehr Lobbyisten erstellen Unterrichtsmaterialien, veranstalten Schulwettbewerbe und bilden Lehrer fort. Sie denken, das gibt’s doch gar nicht? Leider doch. Wie die Analyse von “LobbyControl” zeigt, verstecken sich hinter scheinbar wohlgemeintem Engagement oft konkrete Interessen, die dazu führen, dass die Inhalte einseitig werden. Und unsere Kinder und Jugendliche werden so als Wähler und Konsumenten von Morgen zum Ziel langfristiger und umfassender Lobbystrategien.
Als Beispiele nennt LobbyControl unter anderen den Automobilhersteller VW, der in seinem Unterrichtsmaterial zum Thema Mobilität und Klimaschutz natürlich nicht vorschlage, mehr mit dem Fahrrad zu fahren. Mit einer solchen indirekten Lobbyarbeit soll laut LobbyControl “die Stimmung in der Bevölkerung beeinflusst werden, um so Einfluss auf die Politik auszuüben”. Den Akteuren gehe es nicht um Bildung, sondern um Meinungsmache und Marketing. Und die Politik schweige dazu oder fördere sogar zweifelhafte Kooperationen.
Dass die Inhalte einseitig werden, sei also nicht verwunderlich, kritisiert LobbyControl. Denn der Einsatz an den Schulen solle ja letztlich den Verbands-, Unternehmens-, oder Vereinszielen dienen:
Inhaltlich ausgewogenes Engagement, das auch die kritische Gegenmeinung ausführlich darstellen würde, widerspräche diesem Ziel.
Wie und wo Einfluss genommen wird
Laut LobbyControl gibt es viele Möglichkeiten, die Unterrichtsinhalte an Schulen zu beeinflussen. Einseitige, meist kostenlos zur Verfügung gestellte Unterrichtsmaterialien sind nur ein Beispiel. Da Schulbücher an Schulen oft veraltet sind, eignen sich die Materialien gut, die politische Botschaft mit aktuellen Themen zu verknüpfen und so in die Schule zu tragen. Eine weitere Möglichkeit ist es, Vertreter von Unternehmen oder Verbänden als „Experten“ in den Unterricht zu schicken.
Auch Schulwettbewerbe und Spiele werden für Meinungsmache genutzt. Der unterhaltsame Ansatz soll die Inhalte für die Kinder und Jugendlichen attraktiv machen und ein positives Image erzeugen. Und sogar offizielle Schulbücher sind vor der Einflussnahme nicht sicher, wie es zahlreiche Beispiele im Diskussionspapier von LobbyControl zeigen.
Schultür öffen Dich…
Doch die Frage, wie es die Lobbyisten in die Schule schaffen, bleibt. Einer der wichtigsten Tricks sei, dass die einseitigen Inhalte so geschickt verpackt werden, dass auf den ersten Blick gar nicht auffalle, dass hier Lobbyismus betrieben wird. Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben viel Geld und Know-how, um Unterrichtsmaterial herzustellen, neutral zu verpacken und so in die Schulen zu bringen. Ein Grund dafür ist sicherlich auch die schlechte Finanzierung der Schulen. Der Druck, sich auf zweifelhafte Angebote einzulassen, nehme damit zu, so LobbyControl.
Um den Zugang zu Schulen zu erleichtern, rücken Lobbygruppen zudem durch Studien bestehende oder auch nur vermeintliche Mängel im Bildungssystem in den Fokus. Mehr Engagement von Unternehmen an Schulen wird dann als Lösung verkauft. Auch die Wahl vermeintlich unverfänglicher Themen wie etwa Verschuldung, Energiesparen oder die Berufswahl dienen als Türöffner für Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen.
Wie kann man sich dagegen wehren?
LobbyControl fordert:
Die Politik muss einen kritischen Umgang mit externen Materialien und Angeboten fördern.
Besonders bedenkliche Praktiken müssten in Zukunft unterbunden werden. Dazu gehöre Werbung, ebenso wie intransparente Finanzierung oder Kooperationen, die eine finanzielle Abhängigkeit schaffen.
Doch auch die Schulen müssen sich aktiv mit der Einflussnahme auf Inhalte des Unterrichts auseinandersetzen und diese thematisieren. LobbyControl empfiehlt Lehrerinnen und Lehrer sich genau anzuschauen, wer hinter einem speziellem Angebot steht:
Lobbyismus im Klassenzimmer wirksam einzudämmen, kann nur gelingen, wenn sich alle Betroffenen beteiligen.
Info:
LobbyControl ist ein gemeinnütziger Verein, der nach eigenen Angaben “über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will”. LobbyControl setze sich für Transparenz, eine demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit ein. LobbyControl besteht aus sieben MitarbeiterInnen und betreibt Büros in Berlin und Köln. Mehr Infos unter: www.lobbycontrol.de.