Mannheim, 29. Januar 2015. (red/ld) Sie sehen aus wie lebende Tote: Bilder von Crystal-Meth-Abhängigen mit fahler, kranker Haut, fauligen Zähnen und eingefallenen Gesichtern. So waren sie beispielsweise auch im Kieler Tatort vergangenen Sonntag zu sehen. Die amerikanische Serie “Breaking Bad” handelt von einem Chemielehrer, der die Droge herstellt. Auch die Mannheimer Polizei beschäftigte das Thema am vergangenen Wochenende: Bei der Kontrolle einer Party stellten die Beamten neben anderen illegalen Substanzen auch Methylamphetamin – Crystal Meth – sicher. Schwappt jetzt eine Meth-Welle über die Region?
Von Lydia Dartsch
Crystal Meth ist eine praktische Droge,
sagt Bernd Bung, fachlicher Leiter beim Drogenverein Mannheim e.V. Praktisch sei der kristalline Stoff deshalb, weil man ihn auf verschiedene Weisen konsumieren kann: Schlucken, spritzen, rauchen. Man ist stark euphorisiert, wach und konzentriert. Die Droge schaltet Bedürfnisse wie Schlaf, Hunger und Durst aus, sagt Herr Bung.
Die Wirkung tritt sofort ein,
sagt Kathrin Heinrich, die kommunale Suchtbeauftragte der Stadt Mannheim und Abteilungsleiterin Gesundheitsförderung im Fachbereich Gesundheit.
“Panzerschokolade”
Bereits im Jahr 1893 wurde die Substanz als Flüssigkeit unter dem Namen “Methyl-Amphetamin” entwickelt und in der 1920er Jahren in den als “Crystal Meth” bekannten Feststoff kristallisiert.
Im Zweiten Weltkrieg sollte sie in der “Panzerschokolade” dafür sorgen, dass die Soldaten leistungsfähig bleiben und weniger Schmerz spüren. Medizinisch wurde Methylamphetamin zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) verwendet sowie zur Behandlung krankhaften Übergewichts.
Partydroge, Leistungsdroge, Suchtmittel
Vor allem wegen seiner schnellen Wirkung mache die Droge besonders schnell abhängig, sagt Frau Heinrich: “Wenn die Wirkung abgeklungen ist, fällt man erst einmal in ein tiefes Loch.” Der Körper will Schlafen und Nahrung. Man fühlt sich sehr schlapp. Um diesen Zustand zu kompensieren hilft entweder Schlaf oder der nächste Meth-Kick.
Manche Menschen benutzten die Droge zur Leistungssteigerung, sagt Frau Heinrich: “Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten hinweg und kommt vor allem in Bereichen vor, in denen Menschen leistungsfähig sein müssen”, sagt sie. Viele seien sich dessen bewusst und nähmen die Substanz nur punktuell ein, beispielsweise Studenten, wenn in einer Woche mehrere Prüfungen anstehen. Andere nehmen sie ein, um möglichst lange Party zu feiern, sagt Herr Bung.
Bei länger andauernden Konsum stellen sich körperliche und psychische Schäden ein, sagt Frau Heinrich. Es können sich Wahnvorstellungen einstellen. Die Wahrscheinlichkeit eine Psychose zu entwickeln, steigt. Man bekommt Magenprobleme, die Schleimhäute werden angegriffen und dadurch werden auch die Zähne geschädigt, sagt sie. Allerdings lägen Magen- und Zahnprobleme oft auch daran, dass Meth-Abhängige nicht auf gesunde Ernährung und Hygiene achten, sagt Herr Bung. Diese Auswirkungen der Sucht seien bei den meisten Drogenabhängigen sehr ähnlich.
Seiner Ansicht nach unterscheidet sich Crystal Meth in Suchtverlauf und in den Auswirkungen auf das Sozial- und Berufsleben nicht von anderen Drogen. Seit 25 Jahren arbeitet Herr Bung im Drogenverein Mannheim. Er und die 15 Mitarbeiter bieten im Kontaktladen “Kompass” in K3, 11 eine niedrigschwellige Anlaufstelle für abhängige Menschen. Die Drogenberatung bietet auch Angehörigen Informationen sowie Menschen, die Gesprächsbedarf zum Thema Drogen und Sucht haben.
“Crystal Meth ist eine Randerscheinung”
Von Crystal Meth seien die wenigsten seiner Klienten abhängig, sagt er. Im Jahr 2013 habe es nur einen Fall gegeben, sagt er. Insgesamt betreut der Drogenverein im Jahr 1.500 Menschen. Kathrin Heinrich bezeichnet den Konsum der Droge in Mannheim als “Randerscheinung” und auch Norbert Schätzle, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mannheim sagt, dass ihm kaum Fälle von Crystal Meth bekannt seien. Ein Problem sei die Substanz hauptsächlich in den Grenzregionen zu Tschechien und Polen, sagen alle drei.
Soweit dem Gesundheitsamt und dem Drogenverein bekannt, ist Droge Nummer eins in Mannheim – vor Cannabis – Heroin sagen Frau Heinrich und Herr Bung. Wie hoch die Dunkelziffer bei Cannabis ist, darüber woll Frau Heinrich nicht spekulieren, sagt sie. Rund 60 Prozent der Klienten von Herrn Bung konsumieren Heroin. Diese Menschen haben bereits eine längere “Drogenkarriere” hinter sich sagt er: “Sie suchen vor allem die aufputschende Wirkung, die die Droge verspricht”, sagt er. Doch diese Wirkung stelle sich erst nach mehrfachem Konsum ein: “Wenn sich jemand den ersten Schuss setzt, wird es ihm wahrscheinlich erst einmal sehr elend gehen, wie man es nie wieder erleben will”, sagt er. Und trotzdem werden sie abhängig. Herr Bung erklärt das folgendermaßen:
Die Droge verspricht, eine bestimmte Wirkung hervorzurufen, einen Rausch oder eine Leistungssteigerung. Auch, wenn diese Wirkung nicht beim ersten Konsum einsetzt, greifen diese Menschen wieder dazu, weil dieses Versprechen erst beim späteren Konsum gehalten wird.
Den Einstieg in die Drogenszene bieten seiner Ansicht nach nicht illegale Drogen wie Heroin, Cannabis oder Crystal Meth. Sondern der Umgang mit legalen Mitteln wie Alkohol, Nikotin und Medikamenten legten den Grundstein für eine Drogenkarriere – und das meist früh, beispielsweise wenn der Kopfschmerz des Kindes mit einer halben Aspirin behandelt wird. Oder wenn das Kind gegen ADHS Ritalin verabreicht bekommt – ein Derivat des Amphetamins. Solche Verhaltensweisen seien ein “Lernmodell”, das man schon als Kind verinnerlicht: “Wenn etwas nicht stimmt, nimmt man eine Pille und dann stimmt alles wieder”, sagt er. Ähnlich laufe es mit Alkohol: Man trinkt ihn, um sich zu berauschen. Wer den Umgang mit den Mitteln nicht lernt, läuft Gefahr, in eine Abhängigkeit zu geraten: “Das kann jeden erwischen”, sagt er.
Allerdings sei das Problembewusstsein bei Stoffen wie Alkohol und Nikotin meist größer, sagt Kathrin Heinrich. Für diese Stoffe gebe es gesellschaftliche Regeln, wie das Glas Prosecco bei einer Vernissage oder einer Feier. Die Wirkungen darauf seien entweder sozial erwünscht oder nicht. Diese Grenze sei das erste Anzeichen für einen Betroffenen, dass etwas nicht stimmt. Weil illegale Drogen meist im Verborgenen konsumiert werden, gibt es diese Grenze dort aber nicht. Der Kontrollverlust – ein Zeichen von Abhängigkeit – wird erst spät erkannt, beispielsweise, wenn es Probleme in der Arbeit oder der Familie gibt.
“Die wenigsten Abhängigen kommen von selbst auf die Idee, dass sie ein Problem mit Drogen haben”, sagt Bernd Bung. Die Klienten, die in die Drogenberatung kommen, kämen meist weil sie von außen Druck bekommen: Weil es aufgrund des Drogenkonsums Probleme mit der Familie gibt beispielsweise oder mit dem Beruf oder weil der Besuch der Drogenberatung eine rechtliche Auflage ist. Es sei eine höherschwellige Anlaufstelle.
Anders als der Kontaktladen “Kompass”, der im selben Haus, direkt um die Ecke liegt. Das Ziel dieser Einrichtung ist die Begleitung der Abhängigen. Damit sollen zumindest die gesundheitlichen Risiken minimiert werden. Beispielsweise bietet der Verein an, das gebrauchtes Spritzbesteck gegen frisches getauscht werden kann. So sollen die Abhängigen davon abgebracht werden, sich Spritzen zu teilen und sich vor einer Infektion mit HIV und Hepatitis schützen. Wenn der Kontaktladen geschlossen ist, können die Abhängigen am Spritzen-Automaten vor dem Haus frisches Besteck ziehen. “Wir sind in der Anlaufstelle nicht missionarisch”, sagt Bung.
Konsumräume als Überlebensmittel für Abhängige
Am liebsten würde er auch Konsumräume anbieten, in denen sich Abhängige unter medizinischer Aufsicht versorgen können. Seit gut 20 Jahren sind solche Räume rechtlich erlaubt – allerdings nur in sechs Bundesländern. Nicht in Baden-Württemberg. Konsumräume gibt es beispielsweise in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Saarbrücken. In Frankfurt am Main gibt es vier dieser Räume. Die Deutsche AIDS-Hilfe bezeichnet auf ihrer Internetseite diese Einrichtungen als Erfolg:
Durch sie wurde millionenfach ein Konsum unter hygienischen Umständen ermöglicht, der eine Infektion mit HIV oder Hepatitis ausschließt. Das schnelle Eingreifen von MitarbeiterInnen bei Drogennotfällen sicherte das Überleben von vielen tausend Drogenkonsumenten. Viele dieser Überdosierungen wären außerhalb von Drogenkonsumräumen tödlich verlaufen.
Auch der Ausstieg aus der Drogenkarriere ist möglich. Aber er bedeutet den Schritt in ein neues Leben. Der erste Schritt sei der eigene Wille, von den Drogen herunter zu kommen, sagt Frau Heinrich. Ohne diesen funktioniere es nicht. Meist folge danach eine Entgiftung in einer Klinik oder eine Ersatztherapie. Aber auch danach stehe man noch am Anfang des Ausstiegs. Denn die Gefahr eines Rückfalls ist hoch: “Die Menschen haben meist keine Struktur mehr in ihrem Leben”, sagt Herr Bung. Meist hätten sie durch die Sucht keinen Job mehr, die sozialen Kontakte hätten meist mit Drogen zu tun. Auch Freizeitaktivitäten seien meist noch drogenbehaftet.
Nach der Entgiftung böten sich vor allem stationäre Therapien an, sagt Frau Heinrich. So kämen die Patienten aus ihrem Umfeld heraus, um “mit sich selbst ins Reine” zu kommen. In der Therapie lerne man auch neue Verhaltensweisen auf bestimmte Situationen im Alltag, in denen man sonst zu Suchtmitteln gegriffen hätte, sagt sie. Am besten sei es, nach der Therapie in einem neuen Umfeld zu starten, und so die Gefahr eines Rückfalls zu minimieren. Denn auf die Euphorie, clean zu sein, folge für die Therapierten meist Frustration: “Es gibt viele schwierige Lebenssituationen: Meist finden sie nicht sofort einen Job oder eine Wohnung, müssen mit den Ämtern klar kommen”, sagt er.
Suchtprävention bei Schülern: Neue Pflichtaufgabe der Polizei
Um Menschen vor solchen Lebensläufen zu schützen, bietet der Drogenverein auch Aufklärung und Prävention für Jugendliche, beispielsweise mit dem Programm “FreD” für erstauffällige Konsument/innen zwischen 14 und 21 Jahre. Weitere Programme sind Selbstkontrolltrainings sowie Prävention an Schulen und in Betrieben.
Seit diesem Jahr ist die Suchtprävention bei Schülern eine der Pflichtaufgabe der Polizei in Baden-Württemberg – in dem Programm “Polizeiliche Prävention auf dem Stundenplan”. Das Programm richtet sich an Schüler/innen der sechsten bis neunten Klassen in Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. Es soll neben Angeboten zur Gewaltprävention, Verkehrsunfallprävention und die Gefahren von digitalen Medien, Suchtverhalten vorbeugen. Jeweils drei Unterrichtseinheiten sowie Elternabende und Schulungen für die Lehrer sind je nach Thema dafür vorgesehen.
Bei der Suchtprävention werden nicht nur rechtliche Fragen geklärt – beispielsweise, welche Auswirkungen es für den Führerschein haben kann, wenn man von der Polizei mit Cannabis erwischt worden ist. “Wir üben auch Verhaltensweisen und Situationen ein, wenn Schülern Drogen angeboten werden”, sagt Kriminalhauptkommissarin Tanja Kramper vom Referat Prävention im Polizeipräsidium Mannheim.
Schließlich gehe es in dem Angebot der Polizei um den Umgang mit jeglichen Rauschmitteln – auch Alkohol, Zigaretten und sogenannten “Legal Highs”. Meist sei Abstinenz das Ziel. Die Polizei will vor allem die Schüler in den siebten Klassen zu erreichen, sagt sie. Oft seien die Schüler überrascht, wenn man sie auf Drogen hinweist und dass ihnen etwas angeboten werden könne, aber: “Nur wenn man sich mental auf eine Situation vorbereitet, kann man adäquat reagieren”, sagt Frau Kramper.