Mannheim, 29. Oktober 2014. (red/cb) Der Arbeitskreis Justiz erinnert durch ein Mahnmal an die mehr als 1.000 Opfer von Zwangssterilisationen während des Zweiten Weltkriegs in Mannheim. Das Kunstwerk ist seit November 2013 vor dem Amtsgericht zu sehen. Die Verantwortung für die Pflege des Mahnmals wurde am 20. Oktober im ökumenischen Bildungszentrum sanctclara von der Friedrich-List-Schule an das Ursulinen-Gymnasium übergeben.
Von Carolin Beez
Es sind unmenschliche Verbrechen, die von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden. Der Arbeitskreis Justiz ist eine kleine Gruppe von Menschen, die es sich zum Ziel gemacht haben, gegen das Verdrängen und Vergessen der damaligen Ereignisse vorzugehen.
Die Mitglieder beschäftigen sich mit geschichtlichen Themen aus dem Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit. So auch mit den Opfern der Zwangssterilisation, deren Grundlage im ersten Rassengesetz von den Nationalsozialisten beschlossen wurde.
Über 1.000 Mannheimer Bürger wurden unfruchtbar gemacht
Nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 wurden, auf die Anordnung des dafür errichteten Erbgesundheitsgerichts, über 1.000 Mannheimer Bürger unfruchtbar gemacht – ohne die Einwilligung der Betroffenen.
Der Arbeitskreis recherchierte zu diesem Thema an verschiedenen Stationen. So zum Beispiel im Gesundheitsamt oder Uniklinikum, wo viele der Operationen durchgeführt wurden.
Das Amtsgericht, diente ehemals als Erbgesundheitsgericht. Hier wurde über das Schicksal der Menschen entschieden, die vermeintlich an Krankheiten wie Schwachsinn, Schizophrenie oder anderen Gebrechen erkrankt waren.
Und hier ist momentan auch das Mahnmal positioniert, das an diese Verbrechen der Geschichte erinnern soll. Es ist ein 2 Meter hoher und 1,40 Meter breiter Block, zusammengesetzt aus 1.000 kleineren Würfeln. Entworfen wurde das Kunstwerk von dem Bildhauer Michael Volkmer.
Wenn man das Mahnmal so betrachtet, dann kommt es einem vor, wie ein großer Klotz der einfach nur im Weg rumsteht,
sagt der Künstler selbst über seine Arbeit. Doch genau das soll es auch tun. Herr Volkmer will die Aufmerksamkeit der Passanten auf den im ersten Moment unscheinbar wirkenden Klotz lenken.
Durch seine auffällig unauffällige Farbe, kann man eben nicht einfach wegsehen und dran vorbeilaufen. Und wenn man näher hingeht, erkennt man jeden der 1.000 Würfel – symbolisch für die Opfer.
„Schüler sensibilisieren“
Die Pflege dieser Arbeit wurde vom Arbeitskreis Justiz in die Hände von Mannheimer Schulen gelegt. So wurde im November 2013 die Patenschaft erstmals an die Friedrich-List-Schule übergeben. Seitdem bildeten sich hier mehrere Projekte und Arbeitskreise, die sich mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte auseinandersetzen.
Frau Bourrat-Moll, Kunstlehrerin an der Friedrich-List-Schule, sagt dazu:
Wir haben die Aufgabe übernommen, das Selbstbewusstsein für dieses schwere Thema an unsere Schüler weiterzugeben.
Gerade weil die Schule im zweiten Weltkrieg als Deportationspunkt genutzt wurde, von dem aus tausende Juden in das Arbeitslager Gurs gebracht wurden und dort nahe zu alle ums Leben kamen, sei es für die verantwortlichen Lehrer ein besonderes Anliegen die Schüler für dieses Thema zu sensibilisieren.
Übergabe der Patenschaft in sanctclara
Die nächste Schule die diese Verantwortung nun auf sich nimmt ist das Ursulinen Gymnasium. Im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung im ökumenischen Bildungszentrum sanctclara wurde den Schülern der neunten Klassen am 20. Oktober die Patenschaft übergeben.
Warum tun wir euch das an?
fragt Gitta Grimm, die Schulleiterin des Ursulinen Gymnasiums, ihre Schüler. Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Bedrückung der Anwesenden ist im Saal durchaus spürbar. Trotzdem ist eine Antwort darauf schnell gefunden:
Den Verbrechen der Nazis wird durch dieses Kunstwerk ein Gesicht gegeben.
Außerdem helfe es bei der Vermittlung von dem was damals geschah, sagt Frau Grimm weiter. Und das solle sich wenn möglich nicht nur auf Schulunterricht auswirken, sondern auch auf das Alltagsleben der Schüler.
Die Schüler der neunten Klassen haben sich im Rahmen einer Projektwoche bereits mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Das Denkmal wird ihnen weiterhin einen Anreiz geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Solange bis es seinen Standort wechselt und die Patenschaft erneut übergeben wird. Nächste Stationen werden zum Bespiel das Klinikum und das Ludwig Frank Gymnasium sein.
„Die Unfruchtbarmacher“
Bei der Veranstaltung vergangene Woche zeigte der Arbeitskreis Justiz außerdem die Szenische Lesung „Die Unfruchtbarmacher“. Die Schauspieler zitierten dabei Texte aus den Originalakten des Erbgesundheitsgerichts Mannheim aus dem Jahr 1934.
Antrag Nummer 517 aus 1934 auf Unfruchtbarmachung der Ingrid Klant
So ist der inszenierte Fall in den Akten überschrieben. Es wird das Schicksal einer jungen Mannheimerin dargestellt, die gerade das Abitur abgeschlossen hat. Als Kind litt Ingrid Klant unter „ungeklärten Ohnmachtsanfällen“.
Und obwohl ihr nach mehreren Untersuchungen die physische und psychische Gesundheit bescheinigt worden war, wurde sie zwangssterilisiert. Das Stück wirkt auf die Zuschauer sehr bedrückend. Es macht deutlich, mit welchem Nachdruck die Nationalsozialisten ihre rassistischen Vorstellungen verwirklichten.