Mannheim, 29. Februar 2016. (red/ms) Das Benjamin Franklin Village ist das Kernstück der Konversion: Das ehemalige Kasernengelände mit eigener Infrastruktur soll in den kommenden Jahren zum Vorzeigestadtteil für 8.000 Menschen werden – das bedeutet einen immensen Planungsaufwand und Investitionen in Milliardenhöhe. Es ist das derzeit bedeutendste Projekt Mannheims, vermutlich auf Jahrzehnte, eine „Jahrhundertchance“ – doch die stand auf der Kippe. Nachdem Mannheim-Franklin schon fast zu scheitern drohte, geht es nun endlich los mit den Bauarbeiten.
Kommentar: Minh Schredle
Es fällt schwer, die schieren Dimensionen dieses Projektes begreiflich zu machen. Baubürgermeister Lothar Quast rechnet mit rund 550 Bauanträgen allein bis zur Jahresmitte 2016, „ohne Übertreibung“ – und das ist nur der Anfang, nur ein Bruchteil im Gesamtbild.
Allein in den Hochbau werden in den kommenden Jahren über eine Milliarde Euro investiert. Die vorgesehenen 1,2 Millionen Kubikmeter Bauschutt würden ausreichen, um knapp 500 olympische Schwimmbecken randvoll aufzufüllen. Das entspricht grob etwa drei SAP-Arenen.
Schwindelerregende Zahlen
Bei diesen Zahlen könne einem schnell schwindelig werden, sagt Dr. Konrad Hummel. Er ist als Konversionsbeauftragter die treibende Kraft hinter der Entwicklung der freigewordenen Militärflächen in Mannheim. Ein nüchterner und zurückhaltender Mann mit messerscharfem Verstand. „Ich bin kein Freund von Superlativen,“ sagt er von sich selbst. Trotzdem kommt er zu dem Urteil:
Wir spielen hier von der Größenordnung in einer Liga mit der Hamburger Elbphilharmonie oder auch einem Berliner Flughafen.
Warum er ausgerechnet diese nicht gerade ruhmreichen Beispiele wählt? Er überspitze bewusst, begründet Dr. Hummel, „weil hier, wie bei jedem Projekt in diesen Dimensionen, die gleichen Chancen und Risiken auf uns zukommen.“
Die Größe einer zweiten Innenstadt
Einige gewaltige Hürden sind bereits überwunden worden.
Nach einem langen Vorlauf beginnt nun endlich die Realisierung,
sagt Karl-Heinz Frings, der Geschäftsführer der GBG. Die städtische Wohungsbaugesellschaft wird sich am Projekt Franklin ebenfalls mit Investitionen im mehrstelligen Millionenbereich einbringen und war von Beginn an eng in den Planungsprozess mit eingebunden. Das ist nun schon einige Jahre her: Seit 2013 wird das Konzept für die Konversion von Franklin zunehmend konkretisiert. Allein in die Planung sind bereits Millionenbeträge geflossen. Auffällig ist die taffe Taktung, mit der verfahren wird. Gemessen an der Größenordnung schreitet die Planung von Franklin mit Siebenmeilenstiefeln voran.
Es geht um nicht weniger als einen kompletten neuen Stadtteil, der geschaffen werden soll – das Benjamin Franklin Village ist das Kernstück der Konversion. Nicht nur in Mannheim, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Es handelt sich um die größte Wohnsiedlung, die US-amerikanische Streitkräfte je in Deutschland aufgebaut haben – mit 144 Hektar Fläche ist sie fast genauso groß, wie die gesamte Mannheimer Innenstadt.
Differenziertes Angebot – möglichst für alle
Hier soll nun Vorzeige-Wohnraum für 8.000 Menschen entstehen. Ein Aushängeschild für Mannheim, das nicht nur Menschen aus der Metropolregion anlocken soll, sondern sogar aus dem Ausland. Franklin wird dabei aber nicht zum exklusiven Luxusviertel für die Gutbetuchten. Dr. Hummel führt aus:
Auf Franklin werden wir die größte wohnungstypologische Breite in Mannheim haben. Vom Reihenhaus bis zur anspruchsvollen Loft ist alles dabei und das gesamte Spektrum der Nachfrage am Mannheimer Wohnungsmarkt wird bedient.
Es soll kostengünstige Möglichkeiten zur Eigentumsbildung geben, außerdem werden laut Planung etwa 650 Wohneinheiten für Mietpreise von unter 7,50 Euro pro Quadratmeter zu haben sein. Das ist eine kleine Sensation: Da sich die Baukosten in den vergangenen Jahren explosionsartig gesteigert haben, gibt es in Baden-Württemberg kaum noch Neubauten, die zu einem Preis von unter 12,50 Euro pro Quadratmeter angeboten werden.
Was Franklin so reizvoll und besonders macht, sind die gestalterischen Freiräume, die das Projekt bietet: Für gewöhnlich wächst eine Stadt natürlich und über Jahrzehnte hinweg. Die Infrastruktur wächst nach und nach – und ist damit nur in den seltensten Fällen wirklich optimal – im Zweifelsfall muss kostenintensiv nachgebessert werden. Auf Franklin stehen die Stadtplaner vor einer gänzlich anderen Situation, einer deutschlandweit weitgehend einzigartigen Situation: Denn der Stadtteil darf vollständig vorgeplant werden – erst dann folgt die Realisierung.
Planung für mehr als ein paar Jahrzehnte
Gleichzeitig erwächst daraus eine gewaltige Herausforderung. Denn wenn die Gesamtkonzeption nicht aufgeht, droht ein Milliardengrab mit Folgen für Jahrzehnte. Erschwerend kommt hinzu: Anders als bei vergleichbaren Großprojekten in Deutschland wird das Kostenrisiko nicht vom Land oder dem Bund geschultert – sondern zum überwältigenden Großteil von der Stadt Mannheim selbst, deren haushaltliche Lage ohnehin mehr als angespannt ist.
Deswegen muss jede Planung bis ins Detail stimmen. Das Risiko ist allen Beteiligten klar. Es gehört daher eine Menge Mut dazu, den eingeschlagenen Weg zu gehen. Die Stadt hätte auch den gesamten Bestand auf Franklin einfach einstampfen können. In der Mannheimer Innenstadt leben auf der gleichen Fläche nicht 8.000, sondern 25.000 Menschen. Warum also nicht alles zubetonieren und an den meistbietenden verschachern, was die klammen Kassen der Stadt kräftig auffüllen würde?
Weil die herausragenden Köpfe hinter der Planung etwas weiter denken als ein paar Jahre. Verkäufe bringen einmalige Einnahmen. Und dann? Strukturell ändert sich dadurch nichts an den zu hohen Ausgaben der Stadt, nach ein paar Jahren ist das ganze Geld – ähnlich wie bei den Verkäufen der MVV Aktien – wieder weg und die Stadt hätte sich riesige Gestaltungsfreiräume verbaut.
Der Mut wird sich bezahlt machen
Der Weg, den Mannheim stattdessen einschlägt, ist ohne jeden Zweifel der riskantere. Was dafür gewonnen werden kann, relativiert diesen Einsatz nicht nur vollständig – es macht ihn geradezu notwendig. Und der große Mut, den Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz, Stadtverwaltung, Planer und Gemeinderat gezeigt haben, ist womöglich der einzige Grund, warum das Projekt Franklin überhaupt noch lebt.
Seit den Sommermonaten 2015 wurden Gebäude auf Franklin zunehmend zur Unterbringung von Flüchtlingen verwendet. Die Belegungszahlen stiegen sukzessive, im Herbst wurde Franklin zum größten Massenlager Baden-Württembergs und das ist es noch heute. Damals war die Stadt Mannheim noch gar nicht der Eigentümerin der Flächen – sie befanden sich im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA).
Kaufvertrag auf den letzten Drücker
Das Zustandekommen eines Kaufvertrages erschien immer unwahrscheinlicher. Die stetig steigenden Flüchtlingszahlen und der daraus resultierende Druck, Möglichkeiten zur Unterbringung zu schaffen, machten die Kasernengebäude auf den Mannheimer Militärflächen für das Land Baden-Württemberg immer unverzichtbarer. Es gleicht einem Wunder, dass es überhaupt zu einer Einigung zwischen Bund, Land und Stadt kam.
Viele Beteiligte aus Stadtverwaltung und Gemeinderat hatten die Hoffnung darauf bereits aufgegeben und nicht mehr damit gerechnet. Wie es aus dem Rathaus heißt, sei Franklin wohl das letzte Konversionsprojekt überhaupt, bei dem es noch zu einem Kaufvertrag gekommen ist – alle anderen Flächen behält sich die BImA vorerst zur Flüchtlingsunterbrinung vor.
Entscheidende Feinplanung
Ausschlaggebend dafür, dass es zur Einigung gekommen ist, werden wahrscheinlich das ausgereifte Konzept für die Entwicklung und die hohe Kooperationsbereitschaft der Stadt, dem Land einen Teil der Gesamtfläche noch bis Ende 2018 zur Verfügung zu stellen, gewesen sein: Das Columbus-Quartier, wird weiterhin Unterbringungsplätze für wohl bis zu 8.000 Flüchtlinge bieten. Gleichzeitig sollen auf den anderen Flächen die Bauarbeiten vorangetrieben werden. Später wird Franklin dann ein Gewerbegebiet.
Der Koordinationsaufwand ist immens. Wie Dr. Hummel mitteilt, wird zu diesem Zweck ein „Baulogistikhandbuch“ herausgegeben, in dem die Abläufe und Zuständigkeiten detailliert beschrieben sind. Die „Achillesferse“ sei dabei der Zeitplan: Denn der ist extrem ambitioniert. Jede Verzögerung bedeutet eine potenziell erhebliche Kostensteigerung. Die Finanzierung von Franklin ist außerdem nur durch enge Zusammenarbeit mit Investoren möglich – und die haben eine konkrete Vorstellung davon, wann sie mit ihren Wohnangeboten auf den Markt wollen.
Bezug bereits ab Anfang 2017 geplant
Die ersten Menschen sollen auf Franklin schon Anfang 2017 einziehen – und zwar auf eine Baustelle „in progress“, in sanierte Bestandsgebäude der GBG. Geschäftsführer Karl-Heinz Frings sagt über die Zeitschiene:
Wenn alles glatt läuft, sollen 2017 die ersten 700 Menschen nach Franklin ziehen, 2018 dann weitere 2.000 Leute und 4.000 Menschen im Jahr 2019.
Doch bereits davor sollen die Maßnahmen auf Franklin zu einem öffentlichen Event werden. Dr. Hummel teilt mit:
Wir wollen einen riesigen Kulturakt, keine tote Baustelle.
Daher werde der erste Teil von Franklin noch Mitte dieses Jahres öffentlich zugänglich gemacht – hier sollen insbesondere die Sportflächen bei Jugendlichen das Interesse für die Entwicklung des neuen Stadtteils fördern.