
Wer ist wir und bittet "um Verständnis"? Das ist die einzige Information heute zum Streik der Angestellten beim MM. Gehts dürftiger?
Mannheim/Rhein-Neckar, 28. Juni 2011. (red) Überall in Baden-Württemberg streiken zur Zeit Redakteure, Drucker und Verlagsangestellte. Der Grund: Die schamlose Forderung der Verleger, Tarifverträge nicht nur nicht zu erhöhen, sondern im Gegenteil deutliche Einkommenseinbußen zu aktzeptieren. Die Zeitungsbranche- ist einer massiven Krise. Den Streik werden die Verleger gewinnen – wenn nicht, werden die Redaktionen umgebaut und die Verlage wählen die Tarifflucht.
Von Hardy Prothmann
Beim „Mannheimer Morgen“ ist es der Tag der Volontäre, freien Mitarbeiter und Praktikanten: Sie dürfen endlich einmal ihr Können unter Beweis stellen, während 65 der 80 gestandenen Redakteure im Streiklokal sitzen und das weitere Vorgehen beraten. Vier Druckseiten dünner ist das Blatt am Freitag. Horst Roth, Chefredakteur und Mitglied der Geschäftsleitung, ärgert sich über den Ausstand: „Bei jedem Streik stehen wir in der ersten Reihe.“
So beginnt ein Bericht auf Spiegel Online am 30. Januar 2004. Über 2.000 der damals noch 14.000 Zeitungsredakteure waren damals im Ausstand. Die Forderungen der Gewerkschaften dju (Deutsche Journalisten-Union in ver.di) und DJV (Deutscher Journalistenverband) sind fast bescheiden zu nennen: Sie wollen, dass die Manteltarifverträge für Redakteure, Drucker und Verlagsangestellte nicht angetastet werden. Also so eine Art Nullrunde.
20-25 Prozent weniger fordern die Verleger
Ganz anders die Verleger: Sie wollen neue tarifliche Regelungen und 20-25 Prozent weniger zahlen. Ein Redakteur steigt heute mit rund 3.200 Euro Brutto ein, nach zehn Jahren verdient er etwa 4.500 Euro brutto. Ein Beruftseinsteiger hat heutzutage typischerweise ein Studium hinter sich und eine ein bis dreijährige Volontariatszeit, meist kommen ein bis zwei Jahre Praktika und freie Mitarbeit hinzu. Das bedeutet eine knapp zehnjährige Ausbildung mit einem aus Verlegersicht angemessen Einstiegsgehalt von dann 2.400 Euro brutto.
2004 zitiert Spiegel online einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung:
Rainer Olbert, Nachrichtenredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, der wie 180 seiner Kollegen im Süddeutschen Verlag die Arbeit niederlegte, lässt das Argument des FAZ-Betriebsrats nicht gelten: „Die Zeitungsverleger dürfen die schwierige wirtschaftliche Lage nicht dazu nutzen, einen Horrorkatalog aufzustellen.“ Hinnehmbar sei eine Lohnerhöhung, die nur die Inflation ausgleiche, inakzeptabel sei aber, Leistungen zu kürzen, sagt er.
Wie müssen die Arbeitnehmer in Verlagen heute die Lage sehen, wenn die Forderungen 2004 schon der „Horror“ waren? Als Super-Horror? Als Lohn-Gau?
Gerhard Vohs, Mannheimer ver.di-Sektretär im Fachberich 8 (Medienbetrieben, Journalismus, Kulturellen Einrichtungen, Bildender und Darstellender Kunst, Literatur und Musik, Druckindustrie, Papier, Pappe und Kunststoffverarbeitenden Betrieben, Betrieben der industriellen Dienstleistung) bringt die Forderung auf den Punkt: „Finger weg vom Mantel“.
Heißt, keine Kürzungen bei Urlaubsgeld – momentan erhalten Redakteure 14 Monatsgehälter bei einer 35-Stunden-Woche. „2007 und 2008 waren Spitzenjahre für die Verlage, 2009 bis heute konnten die Zeitungen wohl nicht in gleichem Maße vom Aufschwung profitieren wie die erzeugende Industrie, aber immer noch wird gut verdient.“
Zweistellige Umsatzrenditen bei Verlagen
Wie gut, lässt sich nicht genau sagen, weil die Verlage sich nicht in die Karten schauen lassen. Mitte der Neunziger galten Umsatzrenditen von über 20 Prozent noch fast als „normal“, mittlerweile müssen sich viele Verlag mit „nur noch“ zehn bis fünfzehn Prozent „zufrieden geben“.

Auch wenn das Produkt nicht vollwertig ist - der Abonnent zahlt trotzdem. Quelle: Impressum MM
Um die Gewinne hoch zu halten werden die Redaktionen immer mehr ausgedünnt – redaktionelle Inhalte werden mit Pressemitteilungen und Vereintexten gefüllt. Freie Mitarbeiter fühlen die Zeilen für einen Hungerlohn. Am übelsten wird den meist freien Fotografen mitgespielt, die technisch immer auf der Höhe der Zeit sein müssen und nur noch Minimalsthonorare erhalten, wenn nicht freie Mitarbeiter ohne Fotografiekenntnisse die Bilder vor Ort gleich mitmachen.
Der dumme ist der Kunde
Laut Gerhard Vohs sind rund 80 Prozent der 80 Redakteure beim Mannheimer Morgen gestern und heute im Ausstand. Bei der Rhein-Neckar-Zeitung haben sich die Kollegen nicht angeschlossen, dort sei man „verunsichert“. Vohs sagt: „Die Stimmung ist fast überall in Baden-Württemberg so, dass wir vielleicht sogar eine ganze Woche in den Streik gehen könnten, das wird dann bitter, weil keine vorgefertigten Texte mehr da sind und nur noch echte Notausgaben erscheinen könnten.“
In den Zeitungen selbst wird kaum über die Streik berichtet, die die eigene Branche betreffen.
Egal, wie die Verhandlungen ausgehen – die Abonnenten zahlen unabhängig vom Produkt und den Inhalten den vollen Preis. Auch hier zeigen die Verleger sich knallhart. Wem das nicht gefällt, kann natürlich das Abo kündigen. Bei den Tarifverhandlungen haben dju und DJV meist klein beigegeben – zu groß ist der Druck im Arbeitsmarkt. Abo-Kündigungen aber fürchten die Verleger, denn die Auflage diktiert immer noch die unverschämten Anzeigenpreise.
Ausgliedern als ultima ratio
Landauf- landab haben viele Verlage schon vorgemacht, wie sie damit umgehen, wenn die Gewerkschaften nicht spuren. Dann werden Redaktionen kurzerhand entlassen und neue GmbHs gegründet, bei denen die Redakteure sich dann mit teil 40-prozentiger Einkommenseinbußen wieder verdingen können.
Wer nicht spurt, fliegt raus und kann sicher sein, nirgendwo anders einen Job zu erhalten – es sei denn, zu noch schlechteren Bedingungen.