Mannheim/Rhein-Neckar, 28. Mai 2018. (red/pro) Die Randale im Carl-Benz-Stadion und danach im öffentlichen Raum dürfen keine weitere Duldung erfahren. Wieder einmal soll die Polizei der Buhmann sein. Ist sie aber nicht. Ohne massiven Polizeieinsatz wäre eine Fußballpartie in eine Schlacht ausgeartet. Der SVW07 wird sein Gewaltproblem nicht los – warum sollte die Gesellschaft das weiter hinnehmen?
Von Hardy Prothmann
Es gab 45 Verletzte, darunter sechs Polizeibeamte. “Nur” muss man betonen. Wieso “nur”? Das lag sicherlich nicht daran, dass es nicht genug Gewaltpotenzial für hunderte von Verletzten und möglicherweise auch Tote gegeben hätte. Dass es “nur” 45 Verletzte waren (37 davon durch Pyrotechnik), hängt vor allem damit zusammen, dass eine sehr gut ausgebildete Polizei mit viel Erfahrung und unter strategisch überlegter Leitung nicht zulässt, dass es zu Straßenschlachten kommt.
Und zwar unter Einsatz erheblicher Kräfte. Wenn solche Einsätze durch die Veranstalter bezahlt werden müssten, wären diese Szenen schnell vorbei.
Zum Vergleich: Beim Mannheimer Stadtfest gibt es wohl mit gut 300.000 Besuchern einen neuen Rekord. Die Polizei meldet: Keine besonderen Vorkommnisse. Beim Spiel SVW07 gegen den KFC Uerdingen kamen 24.000 Gäste, also noch nicht einmal zehn Prozent und die öffentliche Ordnung konnte nur mit massiven Polizeikräften gehalten werden.
Ein Beamter ging zu Boden und wurde massiv gegen den Kopf und den im Frontbereich gegen den Körper getreten – wer weiß, wie das ohne Helm und Schutzausrichtung ausgegangen wäre. Andere Beamte wurden mit Flaschen und anderen Gegenstände beworfen und angegangen.
In sozialen Netzwerken ist zu lesen: “Pyrotechnik für die Stimmung ist in Ordnung. Aber nicht so.” Wie bitte? Bei welchen anderen sportlichen Veranstaltungen wird in großem Umfang nicht zugelassene Pyrotechnik durch Privatpersonen erlaubt und als “normal” angesehen? Wieso muss irgendetwas rauchen und knallen und abbrennen? Damit es wie Krieg aussieht?
Warum reichen nicht Schminke und Fahnen oder durchaus sehenswerte Choreografien durch Kleidung und andere harmlose Gegenstände, damit auch Fans sich in Szene setzen können und Spaß haben?
Die entscheidende Frage ist: Wie kam die Pyrotechnik ins Stadion? Ein Ermittler erzählte mir aktuell: “Es gibt viele Wege, wir hatten auch schon den Fall, dass ein Böller in einer Scheide den Weg ins Stadion fand.”
Die Zahl von “Scheiden-Krachern” halte ich für überschaubar. Die aktuell verwendete Pyrotechnik war vermutlich schon zuvor im Stadion.
Ganz egal, ob das Zeug es durch die Kontrollen geschafft hat oder deponiert wurde: Verantwortlich ist ganz allein der Veranstalter, also der Verein und auch die Besitzerin der Immobilie, also die Stadt Mannheim.
Es kann aus politisch-verantwortlicher Sicht nicht hingenommen werden, dass es dem Mieter nicht gelingt, Schaden vom öffentlichen Wohl abzuwenden. Wer hier die Augen zudrückt, wegsieht, keinen “Diskussionsbedarf” erkennt und das über sehr viele Jahre hinweg, handelt politisch verantwortungslos.
Der kleine Teil und das große Problem
Richtig ist, dass der größte Teil der Fußballfans keine Probleme macht und einfach nur eine sportliche Veranstaltung genießen will und ihrer Mannschaft die Daumen drückt. Das ist so ähnlich wie bei der Debatte über Flüchtlinge – auch hier ist der überwiegende Teil nicht auffällig. Es kommt auf den Teil an, der Probleme macht und ist dieser groß genug, entsteht ein gesellschaftliches Problem zu Lasten aller.
Randalierer, Gauner, Störer, Verbrecher sorgen immer – über das individuelle Opfer hinaus – für eine Störung des öffentlichen Friedens. Und ja, die Logik greift: Wenn dies konsekutiv aus einem Zustand heraus entsteht, dann muss man diesen Zustand abstellen – um die öffentliche Ordnung zu schützen.
Es ist egal, was XY angeht
Und Nein – es ist kein Argument zu sagen: “Und was ist mit XY? Die haben auch…” Was XY wo wie auch immer macht, ist vollständig die Angelegenheit der Verantwortlichen woanders. Für das, was in Mannheim passiert, ist die Mannheimer Stadtgesellschaft gefragt. In der Verwaltung, in der Politik, im Vereinswesen.
Es gibt kein Recht auf Randale und es gibt kein Recht auf Gesetzesbruch aus Stimmungsgründen. Dem normalen Bürger, der in Ruhe und Frieden leben will und das auch tut, ist nicht zuzumuten, dass Chaoten ihr Leben beschränken. Und der Gesellschaft ist nicht zuzumuten, dass enorme Gelder “verbraten” werden, nur, weil einige hundert Chaoten ihre Art von Spaß haben wollen.
Was auch klar sein muss: Fußballpartien, bei denen betont werden muss, dass es halbwegs friedlich zugegangen ist, sind meist massiv durch Polizei begleitet worden und “nur” deshalb friedlich verlaufen.
Klar ist auch: Bei großen Vereinen und großen sportlichen Events gibt es solche Szenen fast nie, weil die Sicherheitsmaßnahmen durch die Veranstalter sehr viel umfangreicher sind.
Das beschreibt ein Dilemma, in dem der SVW07 steckt. Der einstige Bundesliga-Club ist bekannt für seine helle Seite – eine hervorragende Jugendarbeit, viele Nationalspieler wurden hervorgebracht und dass ein Regionalligist 24.000 Menschen ins Stadion bringt, ist einfach nur herausragend. Für den Verein, seine Spieler und die Fans.
Der Waldhof hat eine helle und eine dunkle Seite
Aber es gibt auch die dunkle Seite – ausgehend von den City Boys und späteren Ultras und Hooligans. Das hat nichts mit Sport zu tun, nichts mit Fankultur oder Liebe zum Verein. Das ist und bleibt asozial.
Woran es liegt, dass solche Szenen wie am Sonntag weiterhin möglich sind, muss der Verein herausfinden und überzeugend abstellen. Und wenn er das nicht kann, muss er den Spielbetrieb einstellen.
Tatsache ist: Die Politik agiert nicht verantwortlich und sogar feige, wenn hier nicht klipp und klar eingefordert wird, dass der Verein in der Pflicht ist, diese Zustände zu beenden. Andere Veranstalter bekommen erhebliche Auflagen gemacht, wenn es Missstände gibt – nur beim Fußball ist das nicht der Fall. Wegen der Maße der Fans – das ist vielen zu heikel.
Wie wäre es damit, Hooligans zu isolieren?
Wie wäre es, wenn alle echten Fußballfreunde eindeutig reagierten, wenn es zu solchen Szenen kommt? Denn auch das ist Teil der Wahrheit – viele tun es nicht, weil sie Voyeure sind. Sie empören sich zwar, schauen aber trotzdem hin und wollen “mitbekommen”, was “abgeht” oder sich später selbst in der Klage über andere bestätigen.
Warum werden asoziale Gewaltchaoten nicht kollektiv ausgebuht? Warum gibt es keine “Schlachtgesänge” für tollen, fairen Sport und gegen Störer? Warum unterbrechen die Mannschaften nicht das Spiel, stellen sich vor die Asis, zeigen mit dem Finger auf sie und verweigern ihre Leistung solange, bis dieses Pack verschwunden ist?
Die P0lizei kann das Problem nicht lösen, sondern nur möglichst umsichtig begleiten. Echte Fans haben sehr viel Macht – sie können an den Verein schreiben, ihre Treue beschwören, aber auch klare Forderungen stellen.
Hooligans sind eine gesellschaftliche Pest. Die #metoo-Kampagne läuft und läuft und alle regen sich über Sexismus auf – häufig ohne konkrete Information. Die Gewalt in und um Stadien ist leider bei einigen Vereinen eher die Regel als die Ausnahme und klar und konkret. Wo bleibt die entsprechende Kampagne? Wieso müssen Polizeibeamte, von denen sicher auch viele Sportfans sind, ihren Kopf hinhalten? Wieso? Weil es “dazu” gehört?
Möglicherweise – und dieser Gedanke wäre echt gruselig – ist das aber auch Teil des Marketings verschiedener Clubs. Denn auch “schlechte Presse” ist Presse, wie man weiß.
Ich persönlich bin kein Fußballfan, wohl aber als früherer Leistungssportler absolut von Sport, von Vereinen, von Kameradschaft, von Jugendarbeit überzeugt. Sport hat mein Leben sehr geprägt und zwar positiv – das teile ich mit Millionen anderer Menschen. Respekt, Fairness, Leistung, als das vermittelt Sport, egal ob im Kleinen oder Großen. Und Fußball begeistert am meisten – auch das respektiere ich.
Vor dem Traditionsverein “Waldhof” habe ich enormen Respekt. Ich finde es großartig, wie viel Zuspruch der Verein erhält – übrigens auch als lebhaftes Beispiel für Integration.
Weniger Schaden für die Stadt als Regionalkicker
Die “Nebenwirkungen” aber finde ich ätzend. Hier sind auch Arzt und Apotheker gefragt, um die Verletzten zu behandeln. Aber vielmehr der Verein und auch die Stadtpolitik, denn so geht das nicht weiter.
Klar ist, dass der missglückte Aufstieg auch positiv gewertet werden kann. Denn solange das Gewaltproblem “nur” für einen Regionalligisten gilt, bleibt der negative Touch für die Stadt Mannheim überschaubar. Man stelle sich vor, der Waldhof wäre aufgestiegen und in allen überregionalen Medien würde immer wieder über Gewalt im Zusammenhang mit Sport berichtet. Aus Imagesicht wäre das ein Supergau für die Stadt Mannheim.
So gesehen, muss man den Aufstieg des SVW07 im aktuellen Zustand fürchten.
Dabei könnte Mannheim Vorbild sein, indem man sich gemeinsam anstrengt, den Hools ihren Platz zu zeigen. Ab in die Schmuddelecke, wo keiner mehr mit ihnen spielt. Fans und Mannschaft mit Fairness und Leistung nach vorne.
Wenn das nicht gelingt, ist ein schönes Grab auf dem Waldfriedhof ein guter Platz für Erinnerungen.