Rhein-Neckar/Stuttgart, 28. November 2016. (red/pro) Insbesondere Großeinsätze fordern die Polizei heraus. Aus Sicht der baden-württembergischen Regierung sind Bereitschaftszeiten von Polizisten aber nur bedingt Arbeitszeit. Das Bundesverwaltungsgericht sieht das anders und hat entschieden, dass Bereitschaftszeit 1:1 als Arbeitszeit zu bewerten ist. Damit folgt das Gericht der Klage von Polizeibeamten.
Von Thomas Mohr
Wenn man in der freien Wirtschaft von Arbeitnehmern eine Arbeitsleistung verlangt, ist auch immer klar, was der Arbeitgeber dafür bezahlt bzw. wie er die Überstunden verrechnet.
Nicht so bei der Polizei. Denn hier wusste man bisher nie, wie Einsätze – auch in anderen Bundesländern – verrechnet werden. Die Gewerkschaft der Polizei vertrat immer die Forderung, eine 1:1 Vergütung der kompletten Anwesenheitszeit vorzunehmen.
Oft tagelang gebunden
Wenn Polizisten außerhalb ihres üblichen Dienstortes die Kollegen in anderen Bundesländern unterstützen, dann sind sie dort oft über Tage gebunden und von ihren Familien getrennt. Nach Einsatzschluss werden sie in Unterkünfte gebracht und sind für die Einsatzleitung (also für ihren Arbeitgeber) jederzeit verfügbar. Darum ist das auch keine wirkliche Freizeit. Ein Beispiel soll dies deutlich machen.
In Frankfurt kam es im Frühjahr 2015 anlässlich der Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) zu ausufernden Protesten. Unter dem Dach von Blockupy haben gewalttätigen Chaoten Steine und Brandsätze auf Polizisten geworfen. Zusammen mit Kollegen der Einsatzzüge Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe, wurde ich aus der Freizeit heraus alarmiert.
Wir wurden angefordert, weil die Kollegen vor Ort dringend Unterstützung benötigten. Dafür hat jeder Polizist Verständnis.
Systematische Angriffe
Die öffentliche Sicherheit war massiv bedroht. Einsatzkräfte wurden systematisch angegriffen. Brennende Polizeistationen und Dienstfahrzeuge sind uns noch heute in Erinnerung. Unsere Familien hatten Angst um uns, als die ersten Bilder aus Frankfurt durch die Medien liefen.
Ich war Gruppenführer einer Einsatzgruppe von sieben Einsatzbeamten und wir machten uns so schnell wie möglich auf den Weg nach Frankfurt. Bereits bei der Alarmierung wurde uns mitgeteilt, dass wir wohl mehrere Tage vor Ort im Einsatz sein würden.
In Frankfurt angekommen sahen wir Polizeieinheiten aus mehreren Bundesländern, Wasserwerfer und gut bewachte Absperrlinien um die Zentralbank. Den Rest des Tages und bis spät in die Nacht bestreiften wir zunächst in Gruppenstärke die Absperrlinien. Natürlich mit der ca. 20 Kilogramm schweren Schutzausstattung. Es blieb verhältnismäßig ruhig. Die Verpflegung vor Ort war dürftig, weil nicht mit so vielen Polizeieinheiten geplant worden war.
Freizeit – aber bitte zur Verfügung halten
Weit nach Mitternacht wurden wir von einer Einheit aus einem anderen Bundesland abgelöst. Wir fuhren dann in eine Unterkunft etwa 30 Minuten vom Einsatzort in Frankfurt entfernt. Dort wurde uns dann von der Polizeiführung mitgeteilt, dass wir „Freizeit“ hätten, jedoch die Unterkunft nicht verlassen sollten. Falls sich die Lage verschärfe, könnten wir wieder zur Unterstützung in Frankfurt angefordert werden.
Nach dem Einsatz wieder daheim angekommen, verfügte Tage später das Landespolizeipräsidium der Polizei im Innenministerium Baden-Württemberg, die sogenannte „Freizeit“ in der Unterkunft nur zum Teil als Arbeitszeit (Dienstzeit) zu vergüten. Gegen diese Entscheidung, die bei ähnlichen Einsätzen oft angewandt wurde, haben sich zahlreiche Kollegen mit einem Widerspruch gewehrt. Sie wollten die ortsgebundene „Freizeit“, die eigentlich eine Bereitschaftszeit war, 1:1 als Arbeitszeit angerechnet bekommen.
Taube Ohren im Landespolizeipräsidium
Als Gewerkschaft haben wir auch direkt mit dem Landespolizeipräsidium in Gesprächen versucht, die Forderung der betroffenen Kollegen zu klären ohne den Klageweg zu bestreiten. Das Landespolizeipräsidium war hierzu jedoch nicht bereit.
Man betonte immer wieder, die Einsatzkräfte hätten in Frankfurt ja in der Unterkunft „Freizeit“ gehabt. Diese Auffassung teilen wir bis heute nicht. Wer echte Freizeit hat, kann über diese auch frei bestimmen und verbringt sie beispielsweise mit der Familie oder mit Freunden. Durch die Ortsgebundenheit und die Verpflichtung der Übernachtung in einer Unterkunft steht man jedoch für diese Zeit dem Arbeitgeber bei Bedarf zur Verfügung. Damit handelt es sich um eine Bereitschaftszeit und somit Arbeitszeit!
Es blieb uns nur die Möglichkeit, dieses Recht mit einer Musterklage vor dem Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg einzufordern, wozu sich einige Kollegen auch bereit erklärt haben.
Traurig, dass man die Vergütung seiner Leistung einklagen muss
Nun hat aber in diesen Tagen die höchste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Grundsatzentscheidung gefällt: Bereitschaftszeit von Polizisten ist 1:1 als Arbeitszeit zu vergüten – ohne wenn und aber!
Mit dieser Entscheidung haben die obersten Verwaltungsrichter Deutschlands die Rechtsauffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP), wie auch die Forderung der betroffenen Polizisten bestätigt, die Bereitschaftszeit von Polizisten bei Großeinsätzen in anderen Bundesländern grundsätzlich 1:1 als Arbeitszeit zu vergüten.
Das Land Baden-Württemberg hat bisher hingegen von Fall zu Fall unterschiedlich und oft anders über die Vergütung entschieden. Das Urteil dürfte deshalb nicht nur die Kollegen aus der Metropolregion, sondern die Beamten in ganz Baden-Württemberg freuen.
Ende gut, alles gut? Natürlich bin ich glücklich, dass wir für unsere Einsatzkräfte eine spürbare Verbesserung erreichen konnten! Aber ich finde es traurig, dass Polizisten in diesem Land für ihre Rechte klagen müssen.
Auch wir in Baden-Württemberg haben wie bereits erwähnt 2015 parallel zu den in Leipzig entschiedenen Verfahren ein eigenes Musterverfahren zur Vergütung der Bereitschaftszeit als Arbeitszeit angestrengt.
Ich gehe nun nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings davon aus, dass Baden-Württemberg seine Haltung unverzüglich ändern wird.
Zudem erwarte ich, dass alle Polizisten, die in den vergangenen Jahren erfolglos Widerspruch eingelegt haben und deren geleistete Bereitschaftszeit nur zum Teil als Arbeitszeit vergütet wurde, die fehlenden Stunden nachträglich gutgeschrieben bekommen.
Betroffen davon sind in Baden-Württemberg mehrere tausend Beamte.
Zur Person: Thomas Mohr ist GdP-Vorsitzender der Bezirksgruppe Polizeipräsidium Mannheim.
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