Mannheim/Rhein-Neckar, 28. November 2014. (red/pm) 2013 stellte die SPD den Antrag, Türkisch als dritte Fremdsprache an Gymnasien in Baden-Württemberg anzubieten. Allerdings ist das Interesse für diesen Schulversuch ernüchternd gering. Und dass, obwohl Schulen in anderen Bundesländern bereits gute Erfahrungen mit der “neuen” Fremdsprache gemacht haben.
Von Carolin Beez
Im Juni 2013 wurde von der Landes-SPD der Antrag gestellt, der Türkisch als dritte Fremdsprache an Gymnasien ermöglichen sollte. Um die Möglichkeiten dafür zu verbessern, wurde der Schulversuch, der über 10 Jahre an Gymnasien in Baden-Württemberg stattfinden sollte, wenig später eingerichtet und sollte im Schuljahr 2015/16 starten.
Doch während den Recherchen zu diesem Thema stellen wir fest, eigentlich besteht an den Gymnasien in Baden-Württemberg wenig bis kein Interesse an einem derartigen Angebot. In Mannheim hat sich das Elisabeth-Gymnasium (Innenstadt) als einziges der insgesamt 13 Gymnasien interessiert gezeigt. Allerdings wurde das Angebot von der Schulleitung abgelehnt. Die Gründe dafür sind unklar. Die Schulleitung verweigert auf Anfrage die Auskunft.
Interkulturelles Lernen
Rund 75 Prozent der Schüler besitzen hier einen türkischen Migrationshintergrund und auf der Homepage verspricht das Gymnasium “interkulturelles lernen”. Bietet sich da ein solches Angebot nicht an? Weiter verspricht es “den besten Start für Ihre Kinder in unsere globalisierte Welt” – sind Fremdsprachen hierfür nicht ein Muss?
Leider erhalten wir auf diese Fragen keine Antwort: “Zu dem genannten Thema stehen wir für weitere Auskünfte derzeit nicht zur Verfügung”, heißt es in einer email der Schulleiterin.
Das Thema „Spracherwerb“ bei Kindern mit Migrationshintergrund ist generell ein umstrittenes Thema,
sagt Gökay Akbulut, Sozialwissenschaftlerin und Stadträtin im Mannheimer Gemeinderat (Linke). Frau Akbulut arbeitet seit fast vier Jahren an zwei Haupt- und Werkrealschulen in Wiesloch und Walldorf. Dabei dreht es sich darum, die Übergangsquoten von Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ausbildung und den späteren Beruf zu verbessern. Dies sei wichtig, denn die Quote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ohne abgeschlossene Ausbildung liege bei knapp 40 Prozent.
Türken sprechen kein Deutsch
Bei Deutschen hingegen bei nur 11 Prozent. Dieser Misserfolg sei aufgrund verschiedener Faktoren entstanden – zum Beispiel durch mangelnde Deutschkenntnisse. Die Mehrheit der Lehr- und Fachkräfte sei dafür, dass der Spracherwerb sich in erster Linie auf die deutsche Sprache konzentrieren sollte. Die Muttersprache könnte zusätzlich, als spät beginnende Fremdsprache – ab Klasse zehn – angeboten werden.
Zunächst scheint dies sinnvoll und stößt auf großen Konsens, da die Kinder in Deutschland zur Schule gehen und hier leben werden. Aus sprachwissenschftlicher Sicht, so Frau Abkulut, sei diese Ansicht allerdings problematisch. Bei den Schülern immer mehr zu “Halbsprachigkeiten”, auch wenn zu Hause Türkisch gesprochen wird.
Türken sprechen kein Türkisch
Frau Akbulut habe im Rahmen ihres Projekts die Erfahrung gemacht, dass Schüler weder ihre Muttersprache noch die deutsche Sprache richtig lesen, schreiben und sprechen können. Diese Problematik sei bei der Mehrheit der Migranten Kindern stark verbreitet.
Für Frau Akbulut steht fest, die Kinder an Schulen – besonders an denen, mit einem hohen Migrantenanteil – benötigen eine umfassende und ausreichende Förderung und das am besten nicht erst ab Klasse 10 mit zwei Stunden in der Woche. Das Problem in Baden-Württemberg liegt allerdings nicht darin, dass die Fremdsprache an Gymnasien zu spät oder zu wenig angeboten wird, sondern, dass sie gar nicht angeboten wird.
Chance zur Integration
In anderen Bundesländern dagegen sind derartige Angebote schon seit mehreren Jahren vorhanden. Dabei birgt das Angebot Chancen zur Verständigung und Integration der Migranten. Das Erlernen der eigenen Sprache hilft beim eigenen Verständnis und beim Erlernen neuer Sprachen, wie Deutsch oder Englisch.
Laut dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst in Bayern gibt es hier bereits seit 2011 ein erfolgreiches Angebot von Türkisch in der gymnasialen Oberstufe. Die Fremdsprache kann hier ab der zehnten Klasse als Pflicht- oder Wahlfach gewählt werden.
Gute Erfahrungen mit der Fremdsprache
Türkisch als Wahlfach wird in Bayern schon seit mehreren”Jahrzehnten” angeboten, berichtet das Ministerium weiter. Es nehmen jeweils Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulen teil. Das Fach wird dabei überwiegend von Schülern gewählt, die bereits über Türkischkenntnisse verfügen.
Der Pflichtunterricht führt bis zum Ende der 12. Jahrgangsstufe und damit bis zum Abschluss des achtjährigen Gymnasiums. Türkisch kann sogar als mündliches Prüfungsfach im Abitur gewählt werden. Die Ergebnisse seien dabei sehr erfreulich – 2014 legten 53 Schülerinnen und Schüler eine mündliche Abiturprüfung im Fach Türkisch ab. Dabei lag der Notendurchschnitt bei 1,69.
Und in Baden-Württemberg?
In Bayern funktioniert es also. Und in Baden-Württemberg? Das Kultusministerium und das Regierungspräsidium Baden-Württemberg werden weiterhin versuchen, Gymnasien für den Schulversuch zu gewinnen, damit dieser im Schuljahr 2015/2016 beginnen kann.
Die Bildungsstandards für Türkisch als 3. Fremdsprache werden zur Zeit vom Landesinstitut für Schulentwicklung erarbeitet und interessierte Gymnasien haben noch immer die Möglichkeit, den Schulversuch „Türkisch als 3. Fremdsprache am Gymnasium“ zu beantragen. Vielleicht wird ja noch was draus.