Eppelheim/Stuttgart, 28. April 2017. (red/pro) Der Stuttgarter Jurist Prof. Dr. Volker Haug wurde uns auf Anfrage an die Universität Mannheim, wo er einen Lehrauftrag hat, als Kommunalrechtsexperte empfohlen. Wir haben ihn zur Einschätzung der Lage nach der Bürgermeisterwahl in Eppelheim angefragt. Seine rechtliche Sicht bestätigt die Unterstützer von Frau Patricia Popp. Die Abweisung der Wahlanfechtungsklage hält er für richtig – auch, wenn er einen klaren Wahlfehler erkennt.
Anm. d. Red.: Wir haben Herr Prof. Dr. Haug aus zeitlichen Gründen Informationen zur Sache und auch gleich Fragen per email übermittelt und zusammenfassende Antworten zu einzelnen Komplexen erhalten. Die Anfragen fassen wir zusammen und dokumentieren darauf die Antworten von Herrn Haug.
Zunächst hatten wir um eine Einschätzung gebeten, ob Herr Mörlein im Amt bleiben konnte, ob dies bei einem schwebenden Verfahren nicht von Vorteil wäre oder es von Vorteil wäre, wenn Frau Popp die Amtsgeschäfte als Amtsverweserin bereits im Januar übernommen hätte?
Herr Mörlein hätte einen Antrag auf Bestellung von Frau Popp zur Amtsverweserin stellen sollen
Prof. Dr. Haug: „Solange die Nachfolgerin ihr Amt nicht antreten kann, greift § 42 Abs. 5 der Gemeindeordnung, wonach der bisherige Amtsinhaber die Geschäfte fortführen kann. Insofern war Herr Mörlein zur weiteren Amtsführung berechtigt.
Für den speziellen Fall aber, dass eine Nachfolgerin gewählt und die Wahlprüfung positiv abgeschlossen ist – was hier seit geraumer Zeit der Fall ist -, sieht § 48 Abs. 3 der Gemeindeordnung die Bestellung der gewählten Person zur Amtsverweserin vor. Dieser Weg ist zwar nicht rechtlich zwingend, wird aber in Fällen gerichtlicher Wahlanfechtungen üblicherweise beschritten, weil darin der Respekt vor dem demokratischen Votum der Wählerinnen und Wähler zum Ausdruck kommt.
Insofern wäre eigentlich im Sinne verantwortungsbewussten Handelns zu erwarten gewesen, dass die Verwaltung selbst – also Herr Mörlein – den Antrag auf Bestellung von Frau Popp zur Amtsverweserin im Gemeinderat stellt. Jedenfalls aber wäre es alles andere als rechtswidrig, wenn der Gemeinderat Frau Popp nach § 48 Abs. 3 zur Amtsverweserin bestellen würde.
Insbesondere gibt es kein Vorrangverhältnis von § 42 Abs. 5 gegenüber § 48 Abs. 3, wonach ersteres letzteres ausschließen würde. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mit der Bestellung einer Amtsverweserin entfiele automatisch die Fortführungsberechtigung des bisherigen Amtsinhabers. Diese Rechtslage besteht völlig unabhängig davon, aus welchen Motiven heraus eine Wahlanfechtungsklage – was das gute Rechte eines jeden Wahlberechtigten ist – erhoben wird.“
Der klagende Bürger hat die Wahl angefochten, weil seiner Auffassung nach ein Wahlplakat der Frau Popp zu nah an einem Wahllokal aufgehängt worden sei. Dazu haben wir Fotos und die im Raum stehenden Abstandsdaten an Prof. Dr. Haug übermittelt. Wie beurteilt der Experte die Situation – ist die Anfechtungsklage gerechtfertigt und kann diese möglicherweise in der nächsten Instanz Erfolg haben, nachdem das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen hat?
Es liegt ein Wahlfehler vor – aber nicht jeder Fehler führt zu Ungültigkeit
Prof. Dr. Haug: „Nach den mir von Ihnen vorgelegten Abbildungen erscheint mir das Plakat in der Tat zu nah am Wahllokal aufgehängt gewesen zu sein. Denn es prägt – jedenfalls von einer Seite aus – das optische Erscheinungsbild des Gebäudes, in dem das Wahllokal war. Dies beeinträchtigt den Grundsatz der freien Wahl (§ 45 Abs. 1 GemO), wonach die Wähler im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Wahlhandlung von Beeinflussungen frei sein müssen.
Damit liegt zwar ein Wahlfehler vor. Doch führt natürlich noch lange nicht jeder Wahlfehler zu einer Ungültigkeit der Wahl, weil sehr oft kleinere Wahlrechtsverstöße – in aller Regel unbeabsichtigt – auftreten. Die Wahlfehlerfolgenlehre hat deshalb das Prinzip der sogenannten Mandatsrelevanz entwickelt. Danach ist ein Wahlfehler nur dann relevant, wenn es bei Zugrundelegung eines realistischen Geschehensablaufs wahrscheinlich ist, dass die Wahl ohne diesen Fehler im Ergebnis anders ausgegangen wäre.
Da es aber angesichts der Stimmenzahl von Frau Popp wenig wahrscheinlich ist, dass sie ohne dieses Plakat unter 50 Prozent gelandet wäre, fehlt es hier an dieser Mandatsrelevanz. Deshalb halte ich auch das Urteil des VG Karlsruhe für zutreffend.“
Wäre eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim aber möglicherweise nicht sinnvoll, um feststellen zu lassen, ob der Gesetzgeber hier genauere Regeln für „Bannmeilen“ festlegen sollte?
Eine Nachbesserung der Gemeindeordnung in diesem Punkt ist nicht sinnvoll
Prof. Dr. Haug: „Eine gesetzgeberische Nachbesserung halte ich für nicht sinnvoll. Wir leiden schon heute an viel zu vielen Vorschriften, die detaillistisch alles regeln wollen, aber die Vielfältigkeit der Lebensverhältnisse doch nicht abbilden können.
Deshalb gibt es ein juristisch-methodisches Handwerkszeug, mit dem man problematische Sachverhalte auch gegenüber abstrakteren und allgemeineren Normen – hier also dem Grundsatz der Wahlfreiheit – auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen kann.“
Zur Person:
Prof. Dr. Volker Haug (51) studierte in Tübingen Rechtswissenschaften, wo er 1992 die Erste juristische Staatsprüfung ablegte und 1994 mit einer Arbeit über ein parlamentsrechtliches Thema promovierte. Nach der Zweiten juristischen Staatsprüfung trat er 1995 in die Landesverwaltung Baden-Württemberg ein. Dort absolvierte er im Geschäftsbereich des Wissenschaftsministeriums verschiedene Stationen, zuletzt langjährig als Leiter der Zentralstelle des Ministeriums. In dieser Funktion beriet er die Hausspitze in politischen und administrativen Fragen.
Seit 2011 leitet er hauptberuflich die Abteilung für Rechtswissenschaft im Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht der Universität Stuttgart. Dort war er nebenamtlich bereits seit 1992 in der Hochschullehre auf den Gebieten Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht – seit 2003 als Honorarprofessor – aktiv. Seine wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte liegen im Parlaments-, Gesetzgebungs-, Internet-, Föderalismus-, Partizipations- und Hochschulrecht. Er ist Mitglied des Deutschen Juristentages e.V., der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung e.V., sowie Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Ordnung der Wissenschaft“ (OdW).