Mannheim/Rhein-Neckar, 28. April 2014. (red/ms) Gabriele Z. (†20) lebte nur 43 Tage in Mannheim. Sie hatte es nicht einfach, sagen Freunde über die litauische Psychologie-Studentin. Die Vorlesungen waren alle auf Deutsch – sie hatte mit ihren Grundkenntnissen in der Sprache Schwierigkeiten allem zu folgen. Außerdem soll sie schüchtern und zurückhaltend gewesen sein. Kein Mensch, der leicht neue Kontakte knüpft. Gerade hatte sie begonnen, sich einen Freundeskreis aufzubauen. Sie war offenbar sogar kurz davor, eine Beziehung einzugehen. Dann wurde sie brutal ermordet. Vor Gericht sagten am Montag einige Zeugen aus, die Gabriele nahe standen und berichteten, was für eine Person die viel zu jung Verstorbene aus ihrer Sicht gewesen ist.
Von Minh Schredle
Neben Gabriele gab es zeitgleich noch einige andere Austausch-Studenten aus Litauen in Mannheim. Nicht mit allen stand sie in engem Kontakt, aber mit ein paar hat sie sich regelmäßiger getroffen. Ihre Freundinnen beschreiben sie als schüchtern, introvertiert und zurückhaltend. Sie war kein Mensch, der gerne im Mittelpunkt stand. Sie war eher zurückhaltend. Neue Freundschaften zu schließen, fiel ihr nicht leicht.
Eine der Freundinnen sagte vor Gericht aus, dass sie gerade anfing, sich zu öffnen. Kurz vor ihrem tragischen Tod sei sie immer häufiger mitgekommen zu verschiedenen Veranstaltungen. So auch am Tag, als sie vergewaltigt und erdrosselt worden war, dem 03. Oktober 2013.
Die Universität Mannheim richtete eine „Movie-Night“ aus, der Besuch soll eher ein Reinfall gewesen sein. Gabriele hatte sich mit einer Freundin aus Litauen verabredet. Die brachte noch einen Freund aus London mit, der ebenfalls als Zeuge aussagte, ohne Gabriele je richtig kennengelernt zu haben. Der Film hatte eigentlich mit englischen Untertiteln vorgeführt werden sollen, allerdings funktionierten diese nicht, sodass die drei kaum etwas von der Handlung verstanden.
Schwierigkeiten mit der Sprache
Überhaupt habe Gabriele Probleme mit dem Deutsch gehabt, sagen ihre Freundinnen. Insbesondere in Vorlesungen sei es ihr schwer gefallen, allem zu folgen. Darüber habe sie oft geklagt und offen gezweifelt, ob sie das alles schafft. Mit ihren Freunden unterhielt sie sich entweder in ihrer Muttersprache oder auf Englisch. Sie wirkte oft ein wenig unglücklich, finden drei ihrer Freunde. Ihre Mitbewohnerin sagt dagegen, ihr gegenüber habe Gabriele stets angegeben, sich in Mannheim wohl zu fühlen.
Nach dem Film habe sich Gabriele rasch verabschiedet, das sagen sowohl ihre Freundin, als auch deren Begleiter. Warum sie so schnell gegangen ist, habe sie keinem der beiden gegenüber gesagt. Beide Zeugen sagten aus, Gabriele zu diesem Zeitpunkt noch mit ihrem Handy gesehen zu haben: Am Tatort wurde dieses später nicht gefunden. Dafür sicherte die Kriminalpolizei dieses am Tag der Verhaftung des Angeklagten Emil S. in dessen Wohnung.
Gabriele hatte nie ein Semester-Ticket. Sie sei den Weg zur Universität immer zu Fuß gegangen, sagt ihre Mitbewohnerin:
Wenn man die direkteste Route nimmt, dauert das ungefähr zehn Minuten und führt am Tatort vorbei. Klar ist der Park ein bisschen unangenehm, aber eigentlich sind immer genug Leute da. Ich hätte nie gedacht, dass da etwas passiert.
Die Freundin, mit der sich Gabriele den Film angesehen hatte, erinnert sich noch, um 21:46 Uhr den Bus genommen zu haben. Gabriele sei etwa eine Viertelstunde vorher losgelaufen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Gabriele am 03. Oktober etwa gegen 21:40 Uhr auf ihrem üblichen Heimweg überfallen worden ist.
Eine furchtbar traurige Geschichte
Neben den Freundinnen aus Litauen und ihrer Mitbewohnerin gab es hierzulande noch eine weitere bedeutende Person für die 20-Jährige: Ein 21-jähriger Pole, der ebenfalls als Austausch-Student in Mannheim lebte. Sie waren scheinbar kurz davor, eine Beziehung einzugehen.
Es ist eine furchtbar traurige Geschichte, die der junge Mann erzählt. Manchmal lächelt er kurz, wenn er sich zurückerinnert. Aber dann verhärten sich seine Gesichtszüge schnell wieder und er spricht mit tiefer Trauer in der Stimme.
Die beiden lernten sich auf einer Veranstaltung für Austausch-Studenten kennen. Sie kamen eher zufällig ins Gespräch, tauschten ein paar grundsätzliche Informationen aus. Er fand sie sympathisch und lud sie auf einen Kaffee ein. Ihre Reaktion war sehr zögerlich, beschreibt er, aber schließlich sagte sie zu.
Sie haben zwar nie ihre Nummern ausgetauscht, aber per Facebook den Kontakt aufrecht erhalten. Sie trafen sich wieder, gingen spazieren, irgendwann nahm er sie in den Arm und küsste sie.
Intimer sei es zwischen den beiden nicht geworden. Gabriele habe sich Zeit lassen wollen und er hätte das respektiert. Es war der zaghafte Anfang einer möglichen Studentenliebe.
Ein schöner Urlaub mit grausamen Ende
Am Sonntag, dem 29. September 2013, haben sie sich letzte Mal gesehen, bei einem einen Ausflug nach Heidelberg. Er sagte, er habe Gabriele noch nie zuvor so glücklich gesehen. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, es könne eine langfristige Bindung zwischen den beiden entstehen.
Zwei Tage später, am 01. Oktober, fuhr er nach Holland, wo er Freunde besuchte. Er sagte, es sei eine sehr schöne Zeit gewesen, unbeschwert und spaßig. Am Sonntag, dem 06. Oktober, öffnete er am Nachmittag Facebook. Vielleicht hatte ihm Gabriele ja geschrieben, dachte er sich. Stattdessen sieht er ein Bild von ihr – und die Meldung, dass eine 20-jährige Studentin aus Litauen tot aufgefunden worden ist.
Er kann es kaum glauben, will es nicht wahrhaben. Eigentlich hätte er noch länger im Urlaub bleiben wollen. Stattdessen macht er sich sofort zum Bahnhof auf, nimmt die nächstmögliche Verbindung nach Mannheim und kommt um 04:00 Uhr morgens am Hauptbahnhof an. Auf dem Polizeirevier bestätigen die Beamten dem jungen Mann, dass eine Gabriele ermordet worden ist.
Angeklagter regt keine Miene
Während der junge Mann im Gerichtssaal seine tragische Geschichte erzählt, ist es ganz still. Nur gelegentlich wird die Ruhe durch ein leises Schluchzen aus dem Publikum unterbrochen. Der Angeklagte regt keine Miene. Er starrt vollkommen apathisch zu Boden.
Wenn dem Angeklagten die Schuld an dem Sexualmord nachgewiesen wird – ist er sich bewusst, welch unsäglichen Schmerz er vielen anderen Menschen bereitet hat, der Familie, den Freundinnen, dem jungen Mann, allen, die Gabriele nahe standen, indem er sie überfiel, sich an ihrem bewusstlosen Körper sexuell befriedigte und sie schließlich entwürdigt und missbraucht im Dreck sterben ließ?