Mannheim/Rhein-Neckar, 28. Juni 2016. (red/ms) Welche Folgen der Brexit haben wird, ist noch unklar. Fest steht aber: Er wird auch für die Metropolregion Folgen haben. Jürgen Lindenberg, Geschäftsführer von Lindy, ist selbst mit seinem Unternehmen in Großbritannien aktiv – und erläutert im Interview mit dem Rheinneckarblog, dass ein Schaden schon jetzt massiv ist: Eine Unsicherheit, wie es weitergeht, lähmt die Wirtschaft.
Interview: Minh Schredle
Herr Lindenberg, Sie und Ihr Unternehmen Lindy sind selbst in Großbritannien aktiv. Wie haben Sie das Brexit-Referendum erlebt?
Jürgen Lindenberg: Es war ja abzusehen, dass die Abstimmung knapp ausfallen würde. Die Auszählung der Stimmen hat dann ja bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Das erste, was ich dann nach dem Aufwachen getan habe: Ich habe zu meinem Smartphone gegriffen und die Ergebnisse nachgeguckt – und ich muss ganz klar sagen, dass es wirklich so weit gekommen ist, war schon ein schwerer Schock. Ich hatte bis zum Ende gehofft, dass die Vernunft siegt.
Trifft Sie das Abstimmungsergebnis nur als Unternehmer oder auch privat?
Lindenberg: Mein Vater hat schon seit den 60er-Jahren Handelsbeziehungen nach England und Großbritannien gepflegt. Daraus haben sich auch viele Freundschaften entwickelt. Ich habe viele Bekannte und Kollegen auf der Insel und sie alle haben gegen den Brexit gestimmt – und waren dementsprechend entsetzt über das Ergebnis.
„Erste Schäden machen sich seit Monaten bemerkbar“
Welche Konsequenzen wird der Brexit denn haben?
Lindenberg: Zu allererst müssen wir uns eingestehen: Es ist noch völlig unklar, was auf uns zukommt. Aber allein schon diese Unsicherheit ist ein großes Problem – insbesondere für die britische Wirtschaft. Ausländische Unternehmer werden hier nur noch mit großer Vorsicht investieren.
Warum das?
Lindenberg: Wenn der Brexit vollzogen wird, müssen die Verträge zwischen Großbritannien und der EU verhandelt werden. Dadurch werden die Rahmenbedingungen für Wirtschaftsbeziehungen festgelegt. Die Verhandlungen sollen innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden. Während dieser Zeit ist mit Rezession zu rechnen. Solange Unternehmern nicht klar ist, worauf sie sich einlassen, werden sie nur zögerlich größere Investitionen vornehmen. Die ersten Schäden machen sich schon seit Monaten bemerkbar.
„Gelähmte Investitionsbereitschaft“
Wie das? Der Brexit ist doch noch gar nicht umgesetzt worden…
Lindenberg: Seitdem klar wurde, dass es zum Referendum kommt, hat sich die Wirtschaft verunsichert gezeigt. Der Ausgang war unklar. Auch jetzt weiß keiner, welche bürokratischen Vorschriften es in naher Zukunft geben wird und wie sich das auf das Geschäft auswirkt. Wenn wirklich zwei Jahre lang verhandelt wird, werden die Schäden aber immens sein. Nichts Konkretes weiß man nicht – diese Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft und lähmt die Investitionsbereitschaft.
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Lesetipp: Die Einschätzung der IHK Rhein-Neckar
„Der Brexit und Folgen für die Metropolregion“
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Sie sind als Geschäftsführer von Lindy selbst in Großbritannien aktiv. Was bedeutet der Brexit für Ihr Geschäft?
Lindenberg: Das hängt davon ab, wie die neue Rechtslage aussehen wird. Wir haben in unserer Niederlassung zwei Unternehmen in einem Gebäude. Das eine – mit knapp 40 Mitarbeitern – ist nur innerhalb Großbritanniens aktiv. Hier ist eigentlich nicht damit zu rechnen, dass es zu größeren Änderungen kommt, also werden die Auswirkungen auf das Alltagsgeschäft überschaubar bleiben.
„Irland wird profitieren“
Und was ist mit dem zweiten Unternehmen?
Lindenberg: Lindy International – eine Zweigstelle mit derzeit fünf Mitarbeitern – kümmert sich um unsere Kunden aus den Ländern, in denen wir noch keine eigene Niederlassung vor Ort haben. Also Irland, Spanien, Portugal, Skandinavien, Ost-Europa, Afrika und den Rest der Welt. Hier werden wir vorerst keine neuen Mitarbeiter einstellen. Wenn die neuen bürokratischen Auflagen zu große Komplikationen verursachen, werden wir diesen Aufgabenbereich vielleicht in ein anderes Land verlagern müssen.
Trifft der Brexit alle Branchen gleichermaßen? Oder wird es einige Unternehmen geben, die mit besonders großen Belastungen zu rechnen haben?
Lindenberg: Wie gesagt: Hier hängt sehr viel davon ab, wie die neuen Rahmenbedingungen aussehen werden. Außerdem hängt viel von der Ausrichtung und der Größe eines Unternehmens ab. Es ist leider damit zu rechnen, dass es gegenüber den sehr liberalen Handelsgrundlagen zwischen EU-Mitgliedern zu mehr Bürokratie für den Handel mit kommen wird. Das wird vor allem kleinere Unternehmen treffen – die werden sich dann vielleicht nach anderen Standorten umsehen. Für viele amerikanische Betriebe war Großbritannien das Sprungbrett nach Europa. Die werden sich jetzt womöglich lieber in Irland niederlassen. Das ist aber alles noch Spekulation.
„Es könnte noch Wendungen geben“
Soll heißen?
Lindenberg: Ich bin mir momentan nicht sicher, ob der Brexit überhaupt umgesetzt wird. Zumindest würde ich darauf aktuell nichts wetten. Nach dem Referendum herrscht eine Art Katerstimmung in Großbritannien und offenbar wachen gerade viele auf und merken: Nein, das ist nicht die beste Idee. Im Vorfeld des Referendums haben Populisten die Bevölkerung mit falschen Zahlen getäuscht, eine Petition für ein zweites Referendum hat nach wenigen Tagen Millionen von Unterstützern. Ich glaube, hier könnte es noch zu Wendungen kommen.
Hintergrund:
Jürgen Lindenberg ist einer von drei Geschäftsführern der Lindy-Elektronik GmbH. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Mannheim startete als kleiner Familienbetrieb in den frühen 1930er-Jahren und ist heute weltweit aktiv – seit 1987 auch in Großbritannien. Nach eigenen Angaben bietet das Unternehmen aktuell mehr als 3.000 Produkte aus dem Fachbereich Elektronik an.