Rhein-Neckar/Stuttgart/Leipzig, 28. März 2012. (red) Heute urteilt das Bundesverwaltungsgericht, ob das Fotografieren von Polizeieinsätzen verboten werden kann oder nicht. Das Haller Tagblatt (Schwäbisch Hall) hatte gegen ein bei einem SEK-Einsatz ausgesprochendes Fotografierverbot geklagt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte das Verbot, der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim erklärte das Verbot als rechtswidrig. In letzter Instanz entscheidet nun das Leipziger Gericht – sollte das Fotografierverbot bestätigt werden, wären die Folgen für die Pressefreiheit fürchterlich. Die Landesregierung sieht sich nicht in der Lage, sich in der Sache zu äußern.
Von Hardy Prothmann
Ein Verkehrsunfall hat sich ereignet. Es gibt Tote und Verletzte. Reporter kommen an den Ort und fotografieren die Szenerie. Der zuständige Einsatzleiter der Polizei verbietet jegliche Aufnahmen mit Hinweis auf Persönlichkeitsrechte.
Ein Gerichtstermin: Polizisten führen einen Verbrecher vor. Reporter wollen die Szenerie fotografieren. Der zuständige Einsatzleiter der Polizei verbietet jegliche Aufnahmen mit Hinweis auf Persönlichkeitsrechte.
Ein Volksfest. Polizisten kontrollieren Gäste wegen irgendeines Verdachts. Ein zufällig anwesender Reporter will das Geschehen fotografieren. Der zuständige Einsatzleiter der Polizei verbietet jegliche Aufnahmen mit Hinweis auf Persönlichkeitsrechte.
Das sind nur drei von sehr vielen alltäglichen Situationen, in denen Medienvertreter Bild- oder Videoaufnahmen anfertigen. Geht es nach dem Bereitschaftspolizeipräsidium Göppingen, können Polizisten die Anfertigung von Aufnahmen im öffentlichen Raum unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte der Beamten verbieten.
Anlass war Anfang 2008 ein Arzttermin eines vermeindlichen Mitglieds der russischen Mafia. Der Mann wurde aus dem Gefängnis heraus durch SEK-Beamte zu einem Augenarzt gebracht. Ein Volontär des Tagblatts und ein Fotograf hatten vom Termin erfahren und wollten vor Ort fotografieren. Diese wurde durch den Einsatzleiter untersagt, mit Hinweis auf „Gefahrenabwehr“ für sich und seine Beamten.
Statt den Vorfall auf dem „kleinen Dienstweg“ zu lösen, zeigte sich die Polizei störrisch und beharrte auf der Korrektheit der Entscheidung. Dagegen klagte die Zeitung und verlor in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof hob das Urteil auf und bestätigte die Pressefreiheit (Az: 1 S 2266/09):
„Die Polizei darf einem Pressefotografen grundsätzlich nicht die Anfertigung von Bildaufnahmen eines Polizeieinsatzes mit der Begründung untersagen, dass bei einer Veröffentlichung der Bilder eine Enttarnung der Beamten des Spezialeinsatzkommandos der Polizei des Landes Baden-Württemberg (SEK) drohe. (…)
Da die Presse regelmäßig erst nach Sichtung des Fotomaterials über die Art und Weise der Veröffentlichung und über eine gegebenenfalls erforderliche Unkenntlichmachung von Personen entscheidet und in dieser Entscheidung durch die in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Pressefreiheit grundsätzlich geschützt ist, kann nicht bereits die Anfertigung von Bildaufnahmen durch Pressevertreter generell von vornherein verboten werden. Im Hinblick auf die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung muss grundsätzlich von der Rechtstreue eines Pressefotografen ausgegangen werden. Dies gilt auch, soweit es um Einsätze besonders gefährdeter SEK-Beamter geht. Die Untersagung von Bildaufnahmen kann daher, wenn nicht im Einzelfall gegenteilige Erkenntnisse vorliegen, nicht darauf gestützt werden, dass eine rechtswidrige Veröffentlichung der Bilder durch die Presse und dadurch eine Enttarnung der SEK-Beamten drohe.“
Das Land, vertreten durch die Göppinger Polizei, beharrt auf dem Verbot. Ein Anfrage von mir an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, sich im Sinne der Pressefreiheit zu positionieren, wurde durch das Staatsministerium wie folgt beantwortet:
„Die von Ihnen angesprochene Gerichtsverfahren, in dem es um die kollidierenden Interessen von Vertretern der Presse und SEK-Beamten im Hinblick auf ihr Persönlichkeitsrecht bei Einsätzen geht, ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Landesregierung zu diesem laufenden Verfahren nicht äußern kann.“
Die Regierung kann sich also nicht in Sachen Pressefreiheit äußern? Das ist bedauerlich. Die grün-rote Landesregierung ist anscheinend in der politischen Realität angekommen. Und die heißt leider viel zu oft: Staat gegen Bürger. Denn die Presse arbeit nicht des Selbstzwecks wegen, sondern stellvertretend für die Öffentlichkeit, also Bürgerinnen und Bürger.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht das Fotografierverbot bestätigen, wären die Folgen fürchterlich. Bei jedem Einsatz könnten sich Polizisten versucht fühlen, sich darauf zu berufen und die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit aushebeln.
Man muss hoffen, dass die Leiziger Richter ebenso klug und umsichtig entscheiden wie der VGH in Mannheim. Heute ist mündliche Verhandlung – das Urteil wird am Nachmittag erwartet.
Siehe auch Pressemitteilung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger.