Rhein-Neckar, 27. April 2015. (red) Dr. Bernhard Lasotta ist integrationspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Bei der Gedenkveranstaltung am 25. April, zum 100-jährigen Gedenkjahr des Völkermordes an den Armeniern sprach er in der Martin-Luther-Kirche Stuttgart-Bad Canstatt. Er findet dabei klare Worte: Die Türkei könne die historische Wahrheit nicht länger leugnen. Dabei geht es nicht um eine Anklage der Türkei, sondern um die Bereitschaft zur Versöhnung. Wir dokumentieren die Rede in unserer Reihe Montagsgedanken.
Von Dr. Bernhard Lasotta
Der 24. April 1915 vor 100 Jahren stellte mit der Deportation der armenischen christlichen Elite aus Konstantinopel den Beginn des ersten Völkermordes im 20. Jahrhundert dar, wie es der Heilige Vater, Papst Franziskus, benannt hat.
Bis zum Ende des Jahres 1915 fielen dem Völkermord im osmanischen Reich über 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Der Genozid brachte Leid, Terror, Deportation, Folter, Mord und unvorstellbare Grausamkeiten über die Familien.
Die Todesmärsche in die syrische Wüste und die Massaker waren auf Vernichtung ausgelegt. Durch das Verbrechen an der Menschheit sollten die christlichen Völker und ihre Kulturen ausgelöscht werden. Armenier, Assyrer, Aramäer, Chaldäer und Pontus-Griechen wurden Opfer des Völkermordes.
Wir verneigen uns – und gedenken der Opfern: Den Familien, Kindern, Frauen und Männern. Wir gedenken der Familien, denen sich Verfolgung und Mord auch nach Generationen in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.
Wir wollen kein Verschweigen oder Drumherumreden. Wir wollen nicht, dass durch die Leugnung historischer Tatsachen, die Opfer nochmals Opfer werden. Als Christen folgen wir unserem Gewissen und dem Glauben an Gott. Wir stehen an der Seite unserer Mitchristen und leiden mit ihnen, beten mit ihnen und ringen um Gerechtigkeit und Anerkennung für ihr schweres Schicksal.
Historische Einordnung
Die Trennung nach ethnischen und religiösen Gruppen kennzeichnete das Erstarken der Nationalstaaten im 20. Jahrhundert. Ethnische und religiöse Verfolgung waren den Jungtürken im Osmanischen Reich Mittel zum Zweck, dem Generieren ihrer nationalistischen Identität.
Nationalismus und Ausgrenzung ermöglichten später im Deutschen Reich das dunkelste Kapitel der Geschichte überhaupt, die Shoah, den systematischen Mord an über sechs Millionen Juden und anderen Gruppen. Indem wir dem Völkermord an den Armeniern gedenken, soll nicht von der Einzigartigkeit der Schuld unserer deutschen Geschichte abgelenkt werden. Hierfür haben wir Deutschen eine besondere moralische und historische Verpflichtung.
Das Deutsche Reich war in die Verbrechen an den Armeniern verstrickt: 1915 waren das Deutsche und das Osmanische Reich Verbündete. Deutsche Offiziere im osmanischen Reich und deutsche Botschafter und Diplomaten sandten die Nachrichten des Völkermordes nach Berlin. Die deutschen Verbündeten leisteten weder Hilfe noch Widerstand. Wir bedauern diese unrühmliche Rolle unserer Geschichte, die diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugelassen hat und entschuldigen uns dafür. Das Deutsche Reich hätte die Macht gehabt, die Vernichtung zu stoppen.
Die wenigen Überlebenden hatten ein schweres Schicksal. Sie verloren nicht nur ihre historische Heimat. Einige fanden auf dem Gebiet des heutigen Armeniens eine Heimat, viele sind weltweit zerstreut. Die meisten der kulturellen Identitäten sind zerstört, zweckentfremdet, vernichtet; Hinweise auf die armenische Herkunft sucht man fast vergebens.
Forderungen
Das ungesühnte Unrecht des Völkermordes an den Armeniern muss als solches in Deutschland benannt – und auch von der Türkei offiziell anerkannt werden. Vor der Wahrheit muss niemand Angst haben: Dies ist Voraussetzung für Friede und Versöhnung, dem wir uns als aufgeklärte und humanitäre Gesellschaft verschrieben haben.
Die Opfer dürfen zu Recht erwarten, dass historische Tatsachen nicht geleugnet, sondern beim Namen benannt werden.
So wie Papst Franziskus, Bundespräsident Gauck und heute alle Fraktionen des Deutschen Bundestags klar benennen, was war, muss es auch die Türkei tun. Es darf keinen Geschichtsrevisionismus in unserem Land geben. Das sind wir den Nachfahren der Opfer, die auch deutsche Staatsbürger sind, schuldig.
Die Benennung und Anerkennung der Wahrheit ist Voraussetzung für die Aufarbeitung und Versöhnung. Daran müssen wir arbeiten.
Wir verurteilen die Bestrebungen der Türkei, in unserem Land revisionistisch Einfluß zu nehmen. Wenn durch das türkische Generalkonsultat versucht wird, Vorträge über den Genozid bei unseren Volkshochschulen zu verhindern oder mit Unterstützung des türkischen Generalkonsulats nationalistische türkische Gruppen gegen ein Theaterstück in Konstanz über den Völkermord demonstrieren, findet dies unsere schärfste inhaltliche Verurteilung.
Versöhnung braucht Anerkennung
Wir haben als deutsche Gesellschaft die Verpflichtung, durch schulische, universitäre und politische Bildung dem Gedenken einen Raum zu schaffen.
Wir begrüßen alle Initiativen, bei denen sich Armenier und Türken annähern, bei der es auch einen intensiven Dialog mit einer türkischen Elite gibt, einen gemeinsamen Weg der Anerkennung und Versöhnung zu finden.
Wir begrüßen alle Initiativen, die eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den Republiken der Türkei und Armenien zum Ziel haben. Dies ist auch wichtig für die Stabilisierung in der Region des Kaukasus.
Die Wahrheit der Geschichte bedeutet auch eine besondere Verantwortung für die Türkei in der Darstellung der Geschehnisse in den Schulen und Geschichtsbüchern, der Anerkennung der ethnischen Minderheiten und dem Weg der Toleranz gegenüber christlichen Gruppen. Der Dialog muss immer weitergeführt werden und darf nie abreißen. Frieden, Toleranz und Versöhnungen müssen Hauptziel unserer politischen Forderungen und Aktivitäten sein.
Auch heute werden Volksgruppen und Religionen verfolgt: Jesiden, Aleviten, Kurden und chaldäische Christen durch den Islamischen Staat. Wo Unrecht geschieht, darf es keine Relativierung geben. Wir müssen hinstehen, benennen, mitfühlen und helfen. Im Gebet und in der Tat.
Ich verneige mich in Ehrfurcht vor den Opfern und gedenke.
Gott segne Sie und schenke uns allen ein Herz, mitzufühlen, einen Verstand, hinzuschauen, und eine Seele, die barmherzig ist und durch das Verzeihen Frieden findet.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden…