Mannheim/Rhein-Neckar, 27. Februar 2018. (red/ow) Seit vierzehn Jahren versorgt die Mannheimer Tafel Bedürftige aus der Region mit Lebensmitteln. Die Essener Tafel ist in den vergangenen Tagen in die Schlagzeilen geraten, weil dort keine weiteren Ausländer mehr bedient werden sollen – deren Anteil sei mit 75 Prozent zu hoch. Wie sieht die Situation bei der Mannheimer Tafel aus? Gibt es auch hier einen markanten Anstieg der Migranten- und Flüchtlingszahlen? Wie reagiert man darauf?
Von Oliver Weber
Hubert Mitsch organisiert seit 2013 die Mannheimer Tafel und kann auf ein ausgeglichenes Jahr zurückblicken:
Wir haben ungefähr dieselbe personelle und geschäftliche Größe wie vor einem Jahr.
Die Kosten seien zwar gestiegen, doch dieser Umstand sei eher auf steigende Lebensmittel- und vor allem Mietpreise zurückzuführen.
Besonders wichtig ist für uns, dass wir unseren Angebotsstandard halten konnten. Das heißt, wir geben – runtergerechnet auf jeden Kunden – nicht weniger Lebensmittel aus als vor ein oder zwei Jahren,
sagt Herr Mitsch.

Tafelladen in der Alphornstraße in der Neckarstadt.
Täglich fünf Tonnen Lebensmittel
Für viele Menschen ist das entscheidend, um bezahlbar an frische Lebensmittel zu kommen. Die Tafel organisiert landesweit Ausgabestellen für Menschen, die an oder unter dem Existenzminimum leben. Dafür sammelt der Verein bei rund 150 Betrieben der Region formell abgelaufene Lebensmittel ein, überprüft deren Qualität und verteilt sie anschließend auf mehrere Geschäftsstellen.
Das sind pro Tag circa fünf Tonnen Lebensmittel, die ohne Zweifel noch genießbar sind, ohne das Engagement der Tafel aber im Müll landen würden. Zur Verteilung gibt es in Mannheim und Umgebung sechs Geschäfte: in Neckarstadt, Schönau und Rheinau sowie in Edingen-Neckarhausen, Schriesheim und Hockenheim.
Um Nahrungsmittel zu maximal einem Drittel des Warenpreises erwerben zu können, haben 2.450 Menschen in der Mannheimer Region einen gültigen Tafelausweis. Das sind zweihundert mehr als im vergangenen Jahr. Hinzu kommt, dass zu jedem angemeldetem Kunden meist mehrere Angehörige gehören, sodass die Mannheimer Tafel insgesamt über 9.600 Personen mit Lebensmitteln versorgt. Die tatsächliche Zahl Bedürftiger liegt wohl weit darüber,
sagt Herr Mitsch. Im Gesamtgebiet Mannheim rechnet man mit schätzungsweise 30.000 Menschen unterhalb der Armutsgrenze.
Steigende Zahl von Ausländern
Der Anteil von Ausländern und speziell Flüchtlingen sei auch bei den Mannheimer Tafeln gestiegen, aber laut Herrn Mitsch bewegen sich die Zahlen im normalen Rahmen:
Viele Flüchtlingsunterkünfte in der Region sind vollversorgend. Das heißt, dass die dort untergebrachten Menschen nicht auf das Angebot der Tafel zurückgreifen müssen. Anders in Hockenheim. Unsere dortige Stelle hat durch die vielen Flüchtlinge durchaus einen Ansturm erlebt, den wir aber in geregelte Bahnen lenken konnten.
Parallelen und Unterschiede zu Essen
Es gibt also Parallelen zur Lage in Essen – aber auch eklatante Unterschiede. In Essen soll es in den vergangenen Monaten bei den ansässigen Tafel-Ausgabestellen zu einem dramatischen Anstieg des Ausländeranteils gekommen sein, sodass der dortige Vereinsvorsitzende Jörg Sartor laut Medienberichten Verdrängungseffekte festgestellt habe: Es sei bei den neuen Gruppen zunehmend „mangelnder Respekt gegenüber Frauen“ beobachtet worden; viele ältere Menschen und Alleinerziehende hätten sich daraufhin nicht mehr getraut, das Angebot der Tafel wahrzunehmen. Deswegen habe der Verein im Dezember beschlossen, „zurzeit nur Kunden mit deutschem Pass aufzunehmen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten“, wird Herr Sartor in Medien zitiert.

Viele Bedürftige in der Region. Archivbild
Die aufgeregte Debatte um die Entscheidung der Essener Tafel entwickelte sich allerdings erst Wochen später. Mehrere überregionale Medien berichteten, nachdem die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, das Thema problematisiert hatte. Sogar Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) mischte sich in die Debatte ein: „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut“, sagte Frau Merkel am Montag in einem RTL-Interview. Gleichwohl erkenne sie „den Druck, den es gibt“, wenn viele Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen seien.
Soziale Durchmischung via Farbkarten
Hubert Mitsch sieht die gesamte Debatte um den Beschluss in Essen mit kritischen Augen:
Wir müssen den Menschen immer als soziales Wesen sehen. Dabei spielt die Herkunft erstmal keine Rolle. Wer bedürftig ist, muss Hilfe bekommen. Deswegen ist die Essener Entscheidung sicher nicht der richtige Weg.
Dennoch ist er sich der Problematik bewusst. Wenn bedürftige Menschen verschiedenster Kulturen um begrenzte Nahrungsmittel konkurrieren, kommt es nun mal zu Problemen. Um mit solchen Situationen umzugehen, gebe es aber bessere Wege als den pauschalen Ausschluss von Ausländern:
Speziell in Hockenheim stand die Mannheimer Tafel vor einem vergleichbaren Problem. Wir konnten aber den Andrang gut regulieren, indem wir Farbkarten verteilt haben. So hatte jede Person bestimmte Tage, an denen sie bei der Ausgabestelle bedient wurde. Mit dieser Handhabe konnten wir die Kundenverteilung so gut es ging sozial durchmischen und die Verteilungs- und Verdrängungsprobleme abschwächen,
erklärt Herr Mitsch die Lösung der Mannheimer Tafel und ergänzt:
Generell liegt die Verantwortung aber bei der Politik. Wir sind nur ein Ausgleichsorgan – und wir beobachten Jahr für Jahr, wie die Zahl der Bedürftigen steigt. Diesen Zustand muss der Staat mit einer besseren Daseinsfürsorge endlich beenden.
Seit 2004 gibt es die Mannheimer Tafel bereits und leistet in überwiegend ehrenamtlicher Tätigkeit einen wertvollen Beitrag für Menschen mit wenig Geld. Koordiniert wird das Angebot von der Zentrale des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Wer immer sich engagieren oder spenden möchte, ist herzlich eingeladen, frei nach dem Motto der Mannheimer Tafel: „Jeder gibt, was er kann.“
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