Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar, 27. Juni 2016. (red/ms) Eine Europameisterschaft ist Ausnahmezustand – und niemand mag Negativnasen, die die Stimmung vermiesen. Trotzdem darf nicht jede Verantwortung über Bord geworfen werden. Bei Autokorsos in der Region wurden aktuell wiederholt Schreckschusswaffen eingesetzt. Warum? Jubel und Freude in allen Ehren – aber wie dämlich soll es denn bitte noch werden? Insbesondere nach den Vorfällen in Viernheim wäre hier ein bisschen mehr Vernunft angebracht.
Kommentar: Minh Schredle
Fußball ist Emotion. Fußball ist Leidenschaft. Und eine Europameisterschaft ist Ausnahmezustand.
Was wurde in den vergangenen Tagen, Wochen und Jahren diskutiert, wie sehr man jetzt mit „seiner“ Mannschaft mitfiebern darf und sollte und ob man dazu Nationalflaggen schwenken darf, ohne Nazi zu sein und wenn ja: wie viele…
Alles für die Katz‘. Man kann versuchen, krampfhaft in jede Handlung und jedes Motiv eine politische Ideologie hereinzuinterpretieren.
Oder man gesteht den Menschen zu: Es muss auch Phasen geben dürfen, in denen man einfach mal abschalten und ausgelassen feiern kann. Ob nun zur EM oder zu Fasching oder zu welchem Anlass auch immer, ist eigentlich egal – dabei handelt es sich nämlich um persönliche Vorlieben und es wäre schön, wenn man hier anderen ihre Freiheit lässt und ihren Geschmack ohne nervtötende Debatten akzeptiert.
Manches geht gar nicht
Und trotzdem dürfen manche Grenzen nicht überschritten werden. Auch wenn in Feierlaune und Partystimmung gerne mal über Hemmungen hinweggesehen wird, gibt es ein paar absolute No-Gos.
Nach dem 3:0-Erfolg der deutschen Mannschaft gegen die Slowakei war die Laune in der Metropolregion aus naheliegenden Gründen bombastisch: Wie die Polizei mitteilt, wurden alleine in Mannheim etwa 400 Fahrzeuge gezählt, die sich am Autokorso zur Siegesfeier beteiligten; auch in Heidelberg waren etwa 200 Autos unterwegs.
Doch die Feierlichkeiten in der Region hatten auch ihre Schattenseiten. In Viernheim ist eine 15-Jährige in einem geöffneten Kofferraum mitgefahren und herausgefallen. Sie erlitt Verletzungen im Gesicht und zog sich Schürfwunden zu – womit sie noch vergleichsweise glimpflich davon kam. Man will sich nicht ausmalen, was noch hätte passieren können. Gegen die 15-Jährige und den 18-jährigen Fahrer laufen nun Ermittlungen wegen Gefährdung des Straßenverkehrs.
„Eine Unsitte“
In einem offenen Kofferraum mitzufahren, ist leichtsinnig, weil hochgefährlich. Mindestens genauso dämlich ist es allerdings, mit Schreckschuss-Waffen herumzufahren und Schüsse abzugeben. Polizeisprecher Norbert Schätzle kommentiert:
Das ist eine üble Unsitte.
Und es sei leider nichts Außergewöhnliches: „Das hat es auch schon bei der vergangenen WM gegeben,“ sagt er und auch diese EM sei es bereits in der Region vorgekommen. Am Sonntag habe man Ermittlungen gegen zwei Personen aufgenommen, die am Wasserturm Schüsse abgegeben haben sollen.
Unsäglich dumm
Schreckschuss-Waffen dürfen zwar grundsätzlich von jedem Volljährigen mit kleinem Waffenschein geführt werden – aber nur in Notwehrsituationen oder auf Privatgrundstücken benutzt werden. Einfach so herumzuballern ist ein Verstoß gegen das Waffengesetz.
Aber auch unabhängig von der Rechtslage stellt sich die Frage: Wie dämlich soll es denn bitte noch werden?
Ein bisschen Lärm zu Zeiten von Großereignissen muss man aushalten können. Und wenn jemand ausnahmsweise ein wenig über die Stränge schlägt, kann man dafür gerne auch etwas Nachsicht zeigen, denn mal ehrlich: Wer hat es noch nie mit irgendetwas übertrieben?
Aber. Schreckschusswaffen? Geht’s noch?
Bisschen nachdenken
Gerade erst am Donnerstag findet im Kinopolis in Viernheim eine Geiselnahme statt. Der Täter ist maskiert und führt Waffenattrappen mit sich – schließlich wird er aufgrund einer „akuten Gefährdungslage“ von der Polizei erschossen.
Viele Schreckschusswaffen lassen sich optisch wie akustisch kaum von den Originalen unterscheiden.
Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen terroristischen Bedrohung sollte eigentlich niemand mehr auf den Gedanken kommen, mit täuschend echt wirkenden Waffen aus fahrenden Autos zu ballern.
Das ist einfach nur unsäglich dumm. Die Polizei ist im Alltag ohnehin schon stark genug gefordert. Eine EM ist für die Beamten zudem enorm kräftezehrend. Zusätzlich zum Regelbetrieb kommen Großveranstaltungen im Tagesrhythmus. Also mutet den Menschen, die für unsere Sicherheit sorgen, bitte nicht auch noch so einen Schwachsinn zu.