Rhein-Neckar, 27. November 2015. (red/pro) Bis Jahresende werden vermutlich 200.000 Flüchtlinge in Baden-Württemberg leben, die in diesem Jahr hier angekommen sind. Das ergeben unsere Recherchen – also vier Mal so viel, wie man noch vor dem Sommer als “Höchstzahl” angenommen hatte.
Am 18. November bezifferte der Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Sckerl die Zahl der in diesem Jahr ins Land gekommenen Flüchtlinge mit 108.000 als “Zahl vom Montag” – die Äußerung fiel am Mittwoch, den 18. November in der Gemeinderatssitzung in Weinheim, wo Herr Sckerl auch Stadtrat ist.
Unsere Hochrechnung: Rund 200.000 Flüchtlinge
Rechnet man 45 weitere Tage mit 1.500 Neuzugängen pro Tag hinzu, ergibt sich bis Jahresende eine Zahl von 175.500. Rechnet man darauf nochmals 10 Prozent unregistrierter Flüchtlinge ergeben sich 193.000 – teils wird auch mit 20 Prozent gerechnet, dann sind es 210.000 Flüchtlinge.

Trostlose Unterbringung – immer mehr Notlager entstehen und die Zahl der Flüchtlinge reißt nicht ab.
Aktuell leben rund 44.000 Flüchtlinge in Liegenschaften des Landes, weit über die Hälfte davon in Nordbaden. Michael Brandt, Sprecher der Lenkungsgruppe, sagt auf Anfrage:
Für Mannheim gilt ein Zielwert von 12.000, in Heidelberg (PHV) von 4000. In der Not (Obdachlosigkeit) könnten die Zielwerte temporär erhöht werden. In Schwetzingen sind momentan rund 1000 Flüchtlinge untergebracht.
“Geschwindigkeit des Aufwuchses” als Problem
Ministerpräsident Winfried Kretschmann teilte am Dienstag, 24. November 2015, in der Regierungspressekonferenz mit, dass die die Landesregierung keine nationalen Obergrenzen nennen könne, da dies nicht umsetzbar sei. Die Herausforderung sei nicht die Zahl an sich, sondern die “Geschwindigkeit des Aufwuchses”. Die Flüchtlingskrise sei nur europäisch zu meistern.

Winfried Kretschmann setzt auf europäische Lösungen in der Flüchtlingskrise, doch die ist weit und breit nicht zu sehen.
Angeblich werden die Quartiere auf Columbus (Benjamin Franklin Village, Mannheim) aktuell ertüchtigt, um 12 statt bisher acht Personen unterbringen zu können. Dies wies der Sprecher als “reine Spekulation” zurück.
Zwischenzeitlich sind auf Spinelli insgesamt 15 Hallen ertüchtigt worden – anfangs waren es sechs. Jede Halle fasst 2-300 Menschen. Die Neuertüchtigung weiterer Gebäude sei derzeit nicht geplant.
Keine Polizeiwache für Spinelli – mal schauen, wie lange noch
Auf Spinelli hat es jüngst mehrfach Konflikte gegeben, die einen hohen polizeilichen Aufwand erzeugt haben. Nach unseren Informationen gibt es vor Ort eine alte MP-Dienststelle. Ist geplant, hier einen Polizeiposten wie im Patrick Henry Village einzurichten?
Nein, heißt es von Seiten des Landes. Polizeiwachen seien ausschließlich an den Standorten der Landeserstaufnahmeeinrichtungen sowie am Zentralen Registrierungszentrum in Heidelberg eingerichtet. Die Beamten der Polizeiwachen seien überwiegend für die Bearbeitung von Straftaten auf dem Gelände zuständig. Notwendige Interventionsmaßnahmen erfolgten an allen Standorten durch Beamte des jeweils zuständigen Polizeireviers. Es sei nicht geplant, in den Spinelli-Barracks eine Polizeiwache einzurichten. Nach unseren Informationen hätte die Polizei daran aber Interesse.
Zentrales Registrierungszentrum erst bei halber Kraft
Die zunächst für Anfang Dezember prognostizierte Zahl von bis zu 600 Flüchtlingen, die man in Heidelberg jeden Tag im Zentralen Registrierungszentrum bearbeiten wollte, wird erst Ende des Jahres erreicht, so die Hoffnung. Derzeit würden die baulichen Voraussetzungen geschaffen, um mit 40 Registrierstationen einschließlich der zugehörigen Gesundheitsuntersuchungen und der Asylantragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis zu 600 Registrierungen je Tag umzusetzen, sagte Herr Brandt auf Anfrage
In Mannheim wurde bis zum 25. November 2015 das ehemalige Postverteilzentrum am Mannheimer Bahnhof als “Drehscheibe” genutzt, um mit dem Zug ankommende Flüchtlinge mit Bussen auf Lager in Baden-Württember, Rheinland-Pfalz und Hessen zu verteilen. Gestern erfolgte ein Wechsel auf die direkt gegenüber liegende Halle.
OB Dr. Kurz fordert angepasste Infrastruktur
Der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz fordert aktuell eine Aufstockung der Infrastruktur in Mannheim, also der Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei. Welche Zusagen gibt es dazu? “Die Infrastruktur wird von den betroffenen / beteiligten Organisationseinheiten objekt- und lageabhängig selbständig bewertet und koordiniert”, heißt es wenig konkret.