Heidelberg/Mannheim/Karlsruhe, 27. Juli 2018. (red/pro) Die vom Heidelberger Gemeinderat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause mit Mehrheit von CDU, FDP, Die Linke und einzelnen Stadträten beschlossene Sperrzeitenverordnung kommt wieder vor Gericht. Dieses Mal beschreiten rund 30 Kläger einen ungewöhnlichen Weg. Per Normenerlassklage wollen sie eine gerichtlich beschlossene Satzung durchsetzen, die den Vorgaben der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur Sache entspricht. Die Angelegenheit hat viele Dimensionen – kuriose und kritische.
Kommentar: Hardy Prothmann
Der Streit um die Nachtruhe in der östlichen Innenstadt geht in eine nächste Runde und hat viele teils kuriose, aber auch kritische Dimensionen.
Kuriose Entwicklungen
Kurios ist beispielsweise, dass die knappe Mehrheit (22:19, vier Enthaltungen) für eine absehbar nicht rechtskonforme neue Regelung der Sperrzeiten neben anderen durch CDU und Die Linke getragen worden ist. Zwei Parteien, die eher nicht als “natürlich Koalitionspartner” gesehen werden. Kurios ist auch, dass Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner, der im Vorfeld mehrfach Anträge, darunter den der CDU als rechtswidrig beurteilt hat. Laut Gemeindeordnung muss er rechtswidrigen Entscheidungen widersprechen, wechselt aber vom Amtsträger ins Persönliche und wieder zum Chef der Verwaltung. Gegenüber dem RNB äußert er sich auf Anfrage:
Ich halte diese Regelung nicht für ausreichend, um den Interessen der Altstadt-Bewohner gerecht zu werden. Aber das ist meine persönliche Einschätzung. Die Mehrheit des Gemeinderates hat so entschieden. Wir setzen die beschlossenen Maßnahmen so schnell wie möglich um. Und dann müssen wir sehen, ob das Verwaltungsgericht diese Regelung für ausreichend hält oder ob es uns strengere Sperrzeiten vorschreibt.
Damit liegt der Ball wieder bei den Anwohnern, die keinesfalls nur ein paar wenige sind. Rechtsanwalt Dr. Werner Finger der Karlsruher Kanzlei Deubner & Kirchberg beziffert gegenüber RNB die Zahl der Kläger auf rund 30 Personen. Diese wollten sich in einer Klägergemeinschaft zusammenschließen und gegen die Sperrzeitenverordnung vorgehen:
Zunächst hatte man überlegt, bereits vor der Gemeinderatsentscheidung zu klagen, dann aber beschlossen, das Votum abzuwarten. Da die Gemeinderatsmehrheit nun in voller Kenntnis der Rechtswidrigkeit diese neue Satzung beschlossen hat, werden wir nur restriktive Forderungen stellen.
Die Klage werde in Kürze beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingereicht.
Kritische Dimensionen
Das ist die kritische Dimension. Der “Souverän” der Stadt Heidelberg, der Gemeinderat beschließt mit Mehrheit, eine höchstrichterliche Entscheidung zu ignorieren – was für ein fatales Signal in die Bürgerschaft. Ein Rechtsorgan beschließt, den Rechtsstaat zu missachten. Ist das vorbildlich?
Mit der Normenkontrollklage hatten die Anwohner vollen Erfolg. Der VGH hat umfassend und wie zu erwarten vorbildlich eine Güterabwägung vorgenommen und die vergangene Sperrzeitenverordnung von Ende 2016 als rechtswidrig beurteilt. Eigentlich sollte auch ein Gemeinderat Interessen abwägen und bei kritischer Lage den bestmöglichen Kompromiss suchen.
Die Stadtverwaltung hatte dazu vor dem Hintergrund eines Lärmgutachtens und der VGH-Entscheidung einen Vorschlag gemacht, der aber keine Mehrheit fand. Danach sollten die Sperrzeiten ab 1.00 Uhr in den Nächten zum Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag sowie ab 3.00 Uhr in den Nächten zum Samstag und Sonntag erlassen werden. Die jetzt beschlossene Satzung regelt die Sperrzeiten wie folgt: Ab 1.00 Uhr in den Nächten zum Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, in der Nacht zu Freitag ab 3.00 Uhr und in den Nächten zum Samstag und Sonntag ab 4 Uhr.
Zugleich sollen “flankierende Maßnahmen” für Ruhe sorgen. Unter anderem wird der Kommunale Ordnungsdienst um drei Stellen aufgestockt – es werden also drei neue durch Steuergelder finanzierte Stellen geschaffen, mit der Begründung, dass diese eine Maßnahme zum Interessenausgleich sei, um durch stärke Kontrollen für mehr Ruhe zu sorgen. Anders formuliert: Die CDU und andere, die dafür gestimmt haben, gehen nach wie vor davon aus, dass die neue Sperrzeitensatzung alleine nicht zum Interessenausgleich führt, sondern nur unter dem Einsatz erheblicher Mittel durchgesetzt werden kann. Hofft man zumindest und ignoriert, dass selbst erhöhte polizeiliche Kontrollen das Treiben bislang nur wenig wirkungsvoll beeinflussen.
Und wofür das alles? Damit ein “studentischer Donnerstag”, auch “schmutziger Donnerstag” genannt, erhalten bleibt und auch am Wochenende weiter bis früh am Morgen gesoffen werden kann, bis der Arzt kommt?
Alkohol ist nach dem Rauchen deutschlandweit die tödlichste Droge, die von vielen Wirten mit “Flatrate-Preisen” angeboten wird, die zum billigen Saufen einladen. Die Studenten und andere Nachtschwärmer treffen sich nicht auf ein genüssliches “Viertele”, sondern in Teilen zum kollektiven Besäufnis. Drei Nächte die Woche. Hat das was mit “kulturellem Leben” zu tun?
Man muss den Eindruck haben, dass die CDU die Lobby der Gastronomen vertritt, die ordentlich Geschäft machen und Die Linke auf Stimmen der jüngeren Wähler hofft – das ist die Interessengemeinschaft hinter dieser seltsamen Koalition.
Normenerlassklage
Dr. Finger teilt mit, dass man eher keine erneut mögliche Normenerlassklage einreichen wolle:
Da dreht man sich nur im Kreis, denn vermutlich wird der Gemeinderat wieder keine vernünftige Entscheidung treffen wollen und vielleicht hier und da eine halbe Stunde wegnehmen. Die Entscheidung des VGH ist eindeutig.
Heißt: Statt sich weiter einem, das muss man so nennen, willkürlichen Verhalten der Gemeinderatsmehrheit auszusetzen, will man durch den Erlass einer Norm den Gemeinderat nun zwingen, eine Regelung umzusetzen, die die rechtlichen Interessen der lärmgeplagten Anwohner umsetzt.
Sollte dies Erfolg haben, würde am Ende feststehen, dass sich ein souveränes Gremium wenig souverän, sondern willkürlich verhalten, Gerichtsurteile und daraus folgende vernünftige Gestaltungsmöglichkeiten ignoriert hatte – aus lobbyistischem Kalkül heraus. Das wäre wenig geeignet, das Vertrauen in das politische System zu stärken, wenn selbst dieses den Rechtsstaat zu ignorieren versucht.
Nach unserer Einschätzung wird die Entscheidung voraussichtlich Anfang kommenden Jahres oder im Frühjahr vor der Kommunalwahl 2019 fallen. Sollten sich die Anwohner durchsetzten, wofür nach unserer Einschätzung die Chancen gut stehen, wäre das übersetzt der klare Nachweis rechtswidrigen Handelns durch die Gemeinderatsmehrheit. Das könnte Wählerstimmen kosten. Kurios wäre, wenn man Wählerstimmen gewinnen würde, denn dann würden die Wähler für rechtswidriges Handeln stimmen.
Kritisch könnte sich die Sache auch für die Beschlussmehrheit auswirken:
Wir werden durchaus Amtshaftungsansprüche prüfen,
teilt Dr. Finger dem RNB mit. Heißt: Es wird geprüft, ob man Gemeinderatsmitglieder, die dieser Satzung zugestimmt haben, persönlich haftbar macht.