Rhein-Neckar/Stuttgart, 27. Juli 2015. (red) Es wird eng für Grün-Rot. Ganz eng. Das bedeutet aber keinen Raumgewinn für Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün – sondern möglicherweise für den rechten Rand. Das Thema Flüchtlinge ist bundesweit top – doch steht Deutschland, stehen wir erst am Anfang einer “Herausforderung”, vor der sich jetzt schon viele “überfordert” sehen. Und jeder schiebt dem anderen die Schuld in die Schuhe. Eigentlich ist es eine “gesamtgesellschaftliche Aufgabe” – klingt gut, doch was ist eigentlich eine “Gesamtgesellschaft”?
Von Hardy Prothmann
“In begründeten Fällen wie Platzmangel sieht das Gesetz Ausnahmen vor.” Im Gespräch sei eine Verschiebung um ein bis zwei Jahre. Diesen Vorschlag wolle die Landesregierung an diesem Montag beim zweiten Flüchtlingsgipfel präsentieren, um den mit der wachsenden Zahl an Migranten überlasteten Kommunen entgegenzukommen, kündigte Öney an.
Das schreibt die Südwestpresse mit Bezug auf die Deutsche Presseagentur. Für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Meldung kommt. Die grün-rote Landesregierung hatte unter Federführung von Integrationministerin Bilkay Öney Mitte 2013 das Flüchtlingsaufnahmegesetz novelliert – ab 1. Januar 2016 sollte der Platzbedarf für Asylbewerber von 4,5 auf 7 Quadratmeter steigen.
Die Welle ist eingetroffen
Der “begründete Fall” ist eingetreten. Alle wussten, dass er eintreten wird. Aber kaum jemand hat das öffentlich bezweifelt. Die Landesregierung nicht, weil es so schön human klingt, die Opposition nicht, weil man sich den Matchball nicht zu früh verspielen wollte.
Und jetzt? Macht die Opposition den Matchball und haut die Landesregierung in die Pfanne? Stellt man sich wirklich hin und sagt: “7 Quadratmeter Lebensraum für einen Menschen – das war eine typisch grün-rote Schnapsidee?”. Wenn man als Misanthrop gelten will, macht man das. Man wird sich hüten. Aber irgendwas wird der Opposition einfallen, um die Regierung zu diskreditieren. “Utopische Ziele” möglicherweise.
7 Quadratmeter bedeutet, dass in einer 50-Quadratmeter-Wohnung 7,1 Personen leben. 4,5 Quadratmeter bedeutet, dass in einer 50-Quadratmeter-Wohnung 11,1 Personen leben. Beide “Mindestgrößen” zeigen, dass Asylbewerber weder Luxus genießen, noch bevorzugt behandelt werden, sondern es so richtig schwer haben.
Würde die Politik mal ordentlich mit Fakten arbeiten, wäre klar, dass “Asylbewerber sein” kein Luxus auf Staatskosten ist, sondern aus deutscher Sicht ein echt “beschissenes Leben”. Das Problem: Für viele Asylsuchende ist das immer noch besser als die Umstände, aus denen sie kommen. Und richtig: Das “Paradies Deutschland” bezahlt für diese Menschen der Steuerzahler.
Sozialromantik vs. Realitäten
Nach meiner Erfahrung als Journalist, der richtig viel Lebenszeit damit verbringt, sich in die verschiedenen Aspekte dieser “Lebensumstände” einzuarbeiten, weiß ich, dass die allermeisten Menschen aus Sonstwo einfach nur ein ordentliches Leben führen wollen. Keine Gewalt, keine Verfolgung, kein Mangel, einfach nur ordentlich leben. Und ich weiß, es gibt auch die Spitzbuben, die Kriminellen, die Abzocker. Aber die sind nicht das Problem – die sind aber gerne die Vorlage, um die allermeisten in ein schlechtes Licht zu rücken.
Es geht bei der Debatte um “Flüchtlinge” überhaupt nicht um “Sozialromantik”, sondern einfach um soziale Realitäten. Deutsche im Jahr 2015 wissen nicht wirklich, was “arm” ist. Klar: Hartz IV-Empfänger gibt es viele, Aufstocker, Alleinerziehende am Rand der “Armut”. Doch was ist “Armut”? Alles eine Frage der Definition.
Die Schere zwischen den Superreichen und den Armen klafft auch in Deutschland immer weiter auseinander. Schlimmer: Der Mittelstand bricht weg. Die “soziale” Konkurrenz wird heftiger. Vor fünfzehn Jahren waren teure Autos vor Aldi und Lidl eine Sensation – heute sind sie Alltag. Die Angst vor dem “Abstieg” ist groß – Abstieg in Deutschland heißt, beim Discounter nicht nur “für ein Angebot” einzukaufen, sondern regelmäßig. Die Fahrer von teuren Autos haben sich an “die Deutschen” beim Discounter gewöhnt oder umgekehrt, aber die vielen Schwarzen und Araber? Muss das sein?
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Lesetipp:
Wir brauchen einen regionalen Flüchtlingsgipfel
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Ich und der beim Aldi?
Und genau dort trifft man auf die “Asylsuchenden” – denn unterhalb von “Discounter” gibt es keine Einkaufsmöglichkeit. Das macht vielen Deutschen Sorge. Ist man schon so “arm dran wie die”? Das ist eine ernst gemeinte Frage: “Kauft der Deutsche da ein, wo der Asylbewerber einkauft?” Ist es erkennbar ein Tourist aus Asien, hat man damit keine Probleme – nur dann, wenn man überlegt, dass man “auf der gleichen alltäglichen Stufe ist, wie die da”. Muss man sich das “bieten” lassen? Klar, im Urlaub geht man mal gerne über einen afrikanischen Markt. Aber das ist Urlaub – Discounter ist Alltag.
Und wie kann es sein, dass der “Asylant” “Markenkleidung” trägt und “superteure Turnschuhe” und ein “Smartphone” hat? Anders gefragt: Muss der nicht in Lumpen rumlaufen und betteln? Und hat er “uns” nicht “überholt”, wenn dem nicht so ist?
Wir Deutschen regen uns darüber auf, dass “die” nicht mehr betteln müssen, sondern einkaufen können. Was wäre, wenn wir das abschaffen? Würden wir uns dann nicht mehr darüber aufregen, wenn “die” betteln würden?
Turnschuhe, Klamotten, Smartphone – das sind Standardfragen, der zutiefst auf neidigem Vergleich strukturierten “vorbildlichen” deutschen Gesellschaft. Man könnte die Asylbewerber auch dafür loben, dass sie sich “ordentlich” anziehen und moderne Technik nutzen – der deutsche Reflex funktioniert wie immer. Man dreht dem Fremden einen Strick draus.
Ich mache mir Sorgen vor dem “Deutschen Reflex” – der kein deutscher ist, sondern ein “nationaler” – auch in anderen Ländern. Was ihn nicht sympathischer macht. Denn auch Migranten, die es geschafft haben, in Deutschland oder anderen Ländern anzukommen, stimmen ein. Oftmals sind sie deutscher als deutsch oder französischer als französisch – denn sie müssen sich immer noch dafür rechtfertigen, dass sie deutsch sind, damit die Deutschen da nichts falsch verstehen. Hoch lebe Deutschland.
Andererseits: “Wir sind nicht das Weltsozialamt”, ist der Wahlspruch der NPD. Stimmt. Sind wir nicht. Aber wir sind ein reiches Land und wir brauchen Zuwanderung, damit wir “reich” bleiben. Wir brauchen definitiv nicht keine, sondern definitiv eine klare “Einwanderung in die Sozialsysteme” – also von Menschen, die sich ordentlich in die Gesellschaft einfügen, ihrer Arbeit nachgehen, ihre Pflichten erfüllen und auch ihre Rechte wahrnehmen. Wie “selektieren” wir aber die, die kommen? Links Aufnahme, rechts Abschiebung?
Rechtsanspruch ist kein Gnadenakt
Unsere reiche Gesellschaft ist mit armen Menschen konfrontiert, die zunächst als Bedrohung wahrgenommen werden. Und das ist die Krux. Nicht nur von “rechts”, sondern von den Etablierten.
Und noch krasser: Diese Menschen stellen “Folgeanträge” – sie nutzen also unser Rechtssystem “gnadenlos” aus. Ist der Anspruch auf Recht eine “Gnade” oder selbstverständlich? Diese Frage könnte überzeugte “Demokraten” massiv überfordern. Das ist zumindest der Eindruck, den man haben muss.
Wie kann es sein, dass jemand sich erdreistet, “Folgeanträge” zu stellen? Da ist nicht der Antragsteller, sondern der Gesetzgeber gefragt. Und das Verständnis von “Rechtsstaat”, dass willkürliche Rechte nicht verstehen, weil sie keine Ahnung vom Rechtsstaat haben, den sie bekämpfen.
Ja – das Asylrecht ist komplett überfordert an dem Punkt, an dem ein Horst Seehofer anfängt zu selektieren. Und vor allem, wie er das tut. Denn unterm Strich geht es um Untermenschen, die man nicht haben will und Menschen, denen die “Gnade” ergeht. Das ist eklig. Aber es ist ein reales Problem.
Die Asylsuchenden aus dem Balkan und anderen Ländern nutzen unsere Rechtsprechung nicht aus – sie nutzen sie. Unsere Rechtssprechung ist darauf nicht vorbereitet – der Fehler liegt bei uns, nicht bei den Antragstellern. Wir können diesen Menschen nicht einen Missbrauch vorwerfen ohne gleichzeitig unsere Rechtsordnung in Frage zu stellen. Und es ist vollkommen daneben, den Antragstellern dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Ängste werden geschürt und bestätigt
Wir Deutschen müssen das regeln und angesichts der Zahlen von “Flüchtlingen”, die da auf uns zukommen, klar entscheiden, was wir wollen. Was wir “verantworten” können und wie “wir” uns verhalten wollen.
Deutschland stehen Herbst und Winter mit Zeltstädten bevor, mit massiv schlechten Zuständen, die immer noch besser sind als woanders, sehr viel politischer Streit. Es wird vermutlich Anschläge geben. Menschen werden sterben. Ängste werden geschürt oder bestätigt.
Die Aussichten auf das Restjahr 2015 sind nicht gut. 2016 wird nicht besser.
Ups – Landtagswahl
Im März 2016 ist Landtagswahl – es wird eine neue Regierung gebildet, aber die Problem werden bleiben, weil die Deutschen zwar sehr erfolgreich im Maschinenbau sind, aber nicht verstehen, dass sie Nachholbedarf haben, was die Ordnung der Gesellschaft angeht.
Die globale Völkerwanderung hat begonnen – die Frage ist, ob die Gesellschaft dafür bereit ist oder ob sich Geschichte wiederholt.
20 Prozent der “deutschen Bevölkerung” sind Migranten – der Anteil wird sich kontinuierlich erhöhen. Ob “Deutsche” das wollen oder nicht. Echte Demokraten können nur ein Ziel haben: Den sozialen Frieden und das Leben in Frieden zu wahren. Jeder, der sich dagegen stemmt, ist kein Nazi, aber jemand, der sich Utopien hingibt und extrem gefährdet ist, fremdenfeindlich zu werden und den sozialen Frieden zu gefährden. Die Menge der Fremdenfeinde ist noch überschaubar – aber die Gefahr, dass sie wächst, ist realistisch.
Und davor haben alle Angst. Bis auf die Rechtsradikalen – die feiern.
Ob darüber heute beim Flüchtlingsgipfel offen geredet wird, habe ich erhebliche Zweifel.
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