Rhein-Neckar, 26. Juni 2018. (red/kf) Verkehr betrifft uns alle – egal, wie wir daran teilnehmen, wir nehmen daran teil. Es ist vollständig unmöglich, nicht an Verkehr teilzunehmen, sobald man aus die eigenen vier Wände verlässt. Und Verkehr kann lebensgefährlich sein – von einer Zehntelsekunde auf die andere. Verkehr hat viele Perspektiven: Die Politik muss ihn nach den Bedürfnissen der Menschen, der Ökonomie und auch der Umweltbelastung regeln. Verkehrsthemen spielen deshalb auch eine wichtige Rolle in unserer Berichterstattung – wir bauen das aus.
Von Dr. Kerstin Finkelstein
Die größte Gefahr für einen Menschen in Deutschland, plötzlich seine Gesundheit oder sein Leben zu verlieren, liegt auf der Straße – genauer gesagt vor dem Auto. Die Märkte rund um Kraftfahrzeuge, ihre Fertigung, ihre Unterhaltung und die dafür nötige Infrastruktur sind immens. Ebenso wie ein „Nebenprodukt“ – nämlich jährlich über 3.000 Tote alleine hierzulande (weltweit nach OECD-Schätzungen 1,3 Millionen Menschen). 388.200 Personen wurden 2017 im Straßenverkehr verletzt.
Immer noch zu viele Opfer
1970 starben 19.193 Menschen im Straßenverkehr – trauriger Rekord. Seither sinken die Zahlen vor allem durch Sicherungsmaßnahmen: 1972 wurden Tempolimits auf Landstraßen eingeführt, 1974 Richtgeschwindigkeiten auf Autobahnen. 1973 die 0,8-Promillegrenze, ab 1974 die Gurtpflicht (Verwarnungsgeld 1984), 1976 die Helmpflicht für Krad-Fahrer (Verwarnungsgeld 1980). Ab 1978 wurden ABS-Bremssysteme verbaut, seit 1980 kamen Airbags hinzu. Ebenfalls ab 1980 kamen die verkehrsberuhigten Bereiche.
1991 starben in Deutschland 11.300 Menschen im Straßenverkehr, 2017 „nur“ noch 3.177. Das ist insgesamt eine „positive“ Entwicklung – nur nicht für die 3.177 Toten (Statistische Bundesamt (Destatis)). Im Bundesdurchschnitt starben auf eine Million Einwohner 38 Menschen infolge eines Verkehrsunfalls (BW 42. HE 34, RP 44).
Moderne Pkw sind heute mit einer Vielzahl von elektronischen Helfern ausgestattet, die Unfälle vermeiden helfen – ein gefährlicher Trugschluss. Ein Allradantrieb beispielsweise erlaubt ein sehr viel schnelleres Fahren auf nasser oder schneeglatter Fahrbahn – im Fall einer Notbremsung kann das fatal werden.
Ganz enorm waren die Auswirkungen des „Stufenführerscheins“ (1986), der die Anzahl der PS für Motorradanfänger auf 27 reduzierte. Ebenso kam der Führerschein auf Probe und 2006 der „Führerschein ab 17“, also begleitetes Fahren. Diese Maßnahmen begrenzten das Unfallrisiko von risikobereiteren jungen Menschen ganz erheblich. Warum bis heute 18-jährige Fahranfänger aber Sportwagen mit mehreren hundert PS lenken dürfen, ist vollständig unverständlich.
„Lenkende“ und technische Maßnahmen und vor allem Sicherheitssysteme reduzierten die Anzahl der Pkw-Toten enorm. Was aber ist mit den weichen Opfern – Fußgänger und Zweiradfahrer?
„29,0 Prozent der verunglückten und 27,0 Prozent der getöteten Kraftradbenutzer kamen bei Alleinunfällen zu Schaden, das heißt, es waren keine anderen Fahrzeuge oder Fußgänger beteiligt. Unfallgegner von Kraftradfahrern bei Zusammenstößen mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer war zu 80,4 Prozent ein Pkw“, teilt das Statistische Bundesamt für 2016 mit.
2017 wurde mit knapp 2,6 Millionen durch die Polizei aufgenommenen Unfällen ein Rekordwert erreicht – trotz aller Sicherungssysteme ist der Verkehr also nicht sicherer, was die Zahl der Unfälle angeht, wohl aber, was die Folgen angeht – nicht jedoch für die „weichen“ Opfer. Und alarmierend ist die Zahl der getöteten Lkw-Fahrer: +24,2 Prozent – offenbar herrscht hier immer mehr Eile und möglicherweise leidet die Konzentration auch unter anderen Faktorn.
Und nachdem 2010 mit rund 375.000 „Verunglückten“ die niedrigste Zahl der vergangenen 40 Jahre erreicht werden konnte, stieg die Anzahl 2014-2016 auf über 389.000 und 2017 lag sie immerhin bei 388.200 verletzten Personen.
Eine Stadt ohne Autos? Entsteht in China
Inzwischen macht man sich vielerorts grundsätzliche Gedanken über das Thema (Straßen-) Verkehr und probt die Abkehr von der vierrädrigen Erfindung. In Madrid etwa dürfen in der Innenstadt nur noch Anwohner mit dem Kfz fahren, allen anderen drohen 90 Euro Strafgelder, zudem werden Parkgebühren pro Schadstoffausstoß berechnet. In Paris ist zumindest an jedem ersten Sonntag im Monat der Champs-Elysées autofrei. Und Oslo erlaubt ab 2019 gleich gar keine Pkw mehr in der Innenstadt.
Und es gibt erstaunliche Zukunftsprojekte wie die Tianfu District Great City in der Nähe der chinesischen Metropole Chengdu: Hier wird eine neue (!) Stadt für 80.000 (!) Menschen geplant, die so umfänglich wie möglich auf motorisierten Verkehr verzichtet. 2020 soll die Stadt „bezugsfertig“ sein. Dagegen wirkt das „Großprojekt“ Franklin in Mannheim wie ein Amateurprojekt, was es natürlich nicht ist.
Gesunde, ruhige, unfallfreie, neue Welt also? Hier in Deutschland ist davon so gut wie nichts zu bemerken, stattdessen werden nicht eingehaltene Schadstoffbegrenzungen medial vor allem als mögliche Bedrohung der freien Fahrt von Dieselautos wahrgenommen (während die tägliche Einschränkung des freien Atems aller Bürger als Kollateralschaden höchstens am Rande vermerkt wird und normaler Alltag ist, dass Kinder zum Spielen hinter Zäunen gesperrt werden, damit draußen Autos frei fahren können).
Das Rheinneckarblog beginnt in einer Artikelserie mit einigen Themenaspekten rund um Mobilität:
- Welche Verkehrsmittel nutzen die Menschen der Metropolregion?
- Wer von ihnen wird am ehesten zum Opfer eines Verkehrsunfalls?
- Und welches sind die „klassischen“ Unfallursachen?
- Wie lassen sich Unfälle verhindern – oder wie können zumindest ihre Folgen abgefedert werden?
- Sollten Fußgänger und Autofahrer besser einen Helm tragen?
- Warum spricht sich Mannheims oberster Verkehrspolizist für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von LKW auf Autobahnen aus?
- Welche Rolle spielen Fahrradleihsysteme?
- Welche Rolle werden E-Bikes spielen?
Unsere Leserinnen und Leser sind gerne eingeladen, sich mit einzubringen – mit positiven wie negativen Beispielen. Wo Verkehr also gut funktioniert, gar nicht oder sogar eindeutig gefährlich ist. Wie suchen dazu auch Menschen, die beispielhaft darstellen, wie sie am Verkehr teilnehmen: Also auf ein Auto verzichten können oder eben nicht? Gerne viel ÖPNV nutzen oder dies aus welchen Gründen auch immer nicht können. Mehr Radfahren als früher oder eben nicht.
Schreiben Sie uns, welche Verkehrsthemen Sie wichtig finden oder wenn Sie uns Ihre Erfahrungen schildern wollen an: redaktion (at) rheinneckarblog.de