Rhein-Neckar/Südhessen, 26. Oktober 2018. (red/pro) Nach dem Bayernwahl vor zwei Wochen folgt am Sonntag die Hessenwahl. Beide galten als “exklusiv”, in Bayern traf das nicht zu, in Hessen wird es nicht zutreffen. Beides sind Landtagswahlen und keine Bundestagswahlen. Es hängt vom Nervengerüst in Berlin ab, ob Landespolitik die Bundespolitik dominieren kann. Da es in Berlin wackelt, könnte das der Fall sein. Eine Analyse.
Kommentar: Hardy Prothmann
Hätte, könnte, sollte – im Journalismus wird viel spekuliert. Mal mehr, mal weniger kompetent. Das geht auch in Ordnung, denn niemand kann ein Wahlergebnis tatsächlich voraussagen und die “Unsicherheit” verleiht und garantiert eine andere Sicherheit: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Heißt – niemand kann sich in Demokratien auf absolute Mehrheiten verlassen. Das mussten die CSU in Bayern lernen. Aber auch die dort nun einstellige SPD. Die Grünen konnten lernen, das mehr geht als gedacht und die AfD, dass man zwar einen Erfolg verzeichnen kann, aber keinen, der auch nur ansatzweise geeignet ist, großartig bei “Machtfragen” mitreden zu können. Und das alles ist gut so.
Mit 69 Prozent waren CDU (38,3 Prozent) und SPD (30,7 Prozent) in Hessen die dominanten Parteien, auch wenn sich die CDU zum Dominanzerhalt die Grünen als Koalitonspartner ausgesucht hat. Schaut man sich die aktuellen Umfragen an, bekommen erneut CDU und SPD die Hucke voll. Beide werden deutlich verlieren. Und ja – die Groko-Beeinflussung ist nicht von der Hand zu weisen, auch, wenn es in Hessen keine Groko gab in der vergangenen Legislaturperiode.
Die Machtverhältnisse in Hessen können sich ändern und auch das ist gut so. Denkbar ist – nach den Umfragen – eine Fortführung der aktuellen Koalition, eine “Groko” von CDU und SPD, eine grün-link-links Regierung, auch “Jamaica” – aber auch, das muss der Vollstänigkeit halber erwähnt werden, eine Bündnis CDU-AfD-FDP. Wie könnte man das nennen? “Bahamas”?
Ich warte immer auf die Auszählungen, denn dann ist gewählt und noch längst nicht klar, welche Parteien sich auf eine Regierung einigen können – siehe Bundestagswahl 2017.
Wesentlich für mich als Bürger, aber auch als Journalist ist, das klingt altbacken: Stabilität. Ich erwarte von “Koalitionspartnern”, dass man sich auf Ziele einigt und über Kompromisse bereit ist, diese zu erreichen. Kompromisse können super sein, manchmal auch fade, aber sie sind das Elexier der Demokratie. Wer mit Kompromissen nicht kann, will es extrem. Auch dafür gibt es ein Angebot.
Interessant ist, dass auch die Grünen lange Zeit als extrem galten – und mit Verlaub auch weiterhin sind. Das verstehen nur viele meiner Kollegen nicht. Das gilt nicht für alle, man soll niemals pauschalisieren, sondern für viele und für wenige nicht. Zum Beispiel Herrn Kretschmann, den man problemlos für einen CDU-Politiker halten könnte und auch für Tarek Al-Wazir, den Superstar des Hessenwahlkampfs.
Der Deutsch-Jemenit ist schon als junger Mann “grün” geworden und blieb es. Im Kern ist er ein Linker, der aber auf dem Weg zur Macht gerne den Ausweg über einen Deal mit der CDU macht. Wenn es für grün-links-links reicht, wird er dieses Bündnis suchen. Historisch ist er damit nach Kretschmann nur Zweiter, aber tatsächlich wäre er absolut Erster: Der erste Mann mit arabischen Namen als Ministerpräsident eines Bundeslandes. Wow. Das ist fast noch unglaublicher als eine ostdeutsche Frau als Bundeskanzlerin.
Es wird bei der Hessenwahl wie in Bayern zwei “Gewinner” geben. Die Grünen und die AfD (also zwei im Kern extreme Parteien, die einen nach Jahrzehnten vermeintlich etabliert, die anderen noch am Start). Verlierer werden CDU und SPD sein – die Frage in Hessen ist wie die in Bayern ist nur noch: Wie schlimm wird es für CDU und SPD?
Das Problem der SPD – sollte sie es schaffen, zweitgrößte Fraktion zu bleiben und rechnerisch mit der CDU die Mehrheit stellen zu können, sollte sie sich darauf einlassen? Die CDU würde das wollen, nach der Hakelei mit den Grünen, die Oberwasser vermuten und sich auf ein grün-linkes Bündnis vorbereiten. Die AfD ohne Not (diese würde erst nahe an 20 Prozent eintreten) zu beteiligen, stellt sich nicht.
Genau das macht die Hessenwahl zu einer der spannendsten überhaupt – hier ist wirklich Musik drin, es gibt vorab gesehen, viele Möglichkeiten. Ob das so bleibt, zeigt dann das Wahlergebnis.
Ich finde das spannend und freue mich drauf, denn die Politiker müssen sich positionieren und alle haben die Chance, bei den Menschen durch Haltung zu gewinnen.
Also macht was draus. Schielt nicht nach Berlin – es geht um Hessen. Erbhöfe gibt es keine – die Wähler entscheiden. Und geht man nach den Umfragen, können sich auch FDP und Die Linke freuen, beide gewinnen deutlich dazu.
Und wenn die Hessen klug sind, was man ihnen nachsagt, dann gibt es kein Hauen und Stechen, sondern pragmatische Politik, statt hohler Sprüche und Ideologie. Sollte Herr Al-Wazir neuer Ministerpräsident werden, dann ist er in der Pflicht zu zeigen, dass er das auch kann.
Herr Bouffier, der amtierende Ministerpräsident, war übrigens ganz schlecht beraten, kurz vor der Wahl mit Merkel-Unterstützung den “Diesel-Empörten” zu geben. Wer hat den beraten?
Die SPD unter Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbelkann aktuell nur eine Sorge haben – nicht die, einprozentig zu werden, sondern auf den dritten Platz zu rücken und unter 20 Prozent zu fallen. Denn das würde, richtig, als Trend gewertet werden, dass die einst so stolze Partei weiter stolz sein kann, aber das wars dann auch.
Außer es kommt deutlich knüppelhart – dann könnte auch die Groko in Berlin implodieren. Das ist jetzt aber eine Spekulation!
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