Rhein-Neckar, 26. September 2014. (red/pro) Wie Netzpolitik.org vor einigen Tagen meldete, sind in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen durch „Personengebundene Hinweise“ (PHW) erfasst. Polizisten, die Personalien kontrollieren, erhalten dann Stichworte wie „Landstreicher“ oder „Fixer“, die jetzt aber gelöscht werden sollen, während „Ansteckungsgefahr“ oder „Drogenkonsum“ weiter erfasst bleiben. Angeblich dient das der „Eigensicherung“ der Beamten. Das Innenministerium hat unsere Fragen nur sehr dürftig beantwortet.
Von Hardy Prothmann
Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Begriff „Straftäter“ getagt und geraten in eine Polizeikontrolle – dass sich die Beamten Ihnen gegenüber dann, sagen wir mal, „besonders“ verhalten, dürfte klar sein.
Was den Beamten aber nicht klar ist, weil sie das nicht erfahren: Vielleicht standen Sie nur in Verdacht, ein Straftäter zu sein. Vielleicht wurden sie auch von einem Tatvorwurf vor Gericht freigesprochen, weil sie keiner sind oder die Beweise nicht reichten. Vollkommen egal. Der Eintrag ist gemacht und die Beamten sind im Falle einer Kontrolle „gewarnt“ – vor was auch immer.
Uns ist ein Fall bekannt, bei dem Polizeibeamte einen Verkehrsteilnehmer als „Rowdy“ behandelten: „Sie halten sich ja nicht so gerne an die Straßenverkehrsordnung“, teilte ein Beamter dem Mann mit. Auf Nachfrage erfuhr er, dass das der Personalienüberprüfung entnommen werden konnte. Tatsächlich gab es sogar eine Gerichtsverhandlung wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ – allerdings war der Mann das Opfer und war von fünf jungen Männern angegriffen worden, die alle verurteilt worden waren. So schnell wird aus einem Opfer ein mutmaßlicher Täter. Sechs Jahre später noch – ganz eindeutig wurden hier alle Fristen deutlich überschritten.
Problematisch sind auch Tags (Schlagworte) wie „Prostituierte“. Problematisch deshalb, weil das Wissen sicher nicht den Eigenschutz der Beamten erhöht. Ebenso wie Landstreicher oder Fixer – zwei Begriffe, die das Bundeskriminalamt künftig nicht mehr verwenden will, nachdem Netzpolitik.org das Thema hochgebracht hatte. Insbesondere „Landstreicher“ ist problematisch, weil ein Begriff der Nazis und damit ein Hinweis auf entsprechende geistige Haltungen innerhalb der Polizei. Welche Gefahr sollte von einer Prostituierten ausgehen? Das sie einen Anbagger-Angriff startet?
PHWs zur „Eigensicherung“
„Offiziell werden die PHW zur “Eigensicherung” von Polizeikräften vergeben. Im Falle der Kategorie “Straftäter linksmotiviert” können PHW aber auch dann vergeben werden, wenn Verstöße gar nicht gegen die Polizei begangen werden, sondern im Bereich des Versammlungsrechts, des Presserechts oder des Kunsturheberrecht. Das gilt ebenso, wenn deren zukünftige Begehung lediglich vermutet wird“, schreibt Netzpolitik.org. Zweites Problem: Ein PHW darf eigentlich kein Auslöser für weitere polizeiliche Maßnahmen sein. Ist das glaubwürdig, wenn beispielsweise „Drogenkonsument“ erfasst ist? Oder muss die Person nicht umgehend mit einer sonst nicht stattgefundenen Kontrolle rechnen?
Die Daten werden nach §§ 7, 8 Bundeskriminalamtsgesetz und § 38 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG BW) gespeichert. Auf Anfrage teilte uns das Stuttgarter Innenministerium mit, dass die Löschfristen eingehalten würden und auch der Landesdatenschutzbeauftragte Kontrollaufgaben wahrnehme und bei „grundsätzlichen Fragen“ eingebunden werde – nur seltsam, dass dieser solche Begriffe nicht anmahnt.
Vielleicht, weil es sich um einen „bundeseinheitlicher Leitfaden“ handelt, der allerdings vertraulich ist. Ebenso wie die Eintragung von Schlagwörtern zu einer Person – die erfährt davon nichts. Man kann allerdings Auskunft verlangen. Dazu muss man einen formlosen Antrag auf Selbstauskunft stellen und sich per Ausweis legitimieren. Das kann auf jeder Polizeidienststelle oder postalisch an das LKA erledigt werden.
Wir wollten gerne wissen, wie viele Personen in Baden-Württemberg getagt sind. Die Antwort:
Wegen der entsprechenden Einstufung der Dokumente als vertraulich können Ihnen leider keine weiteren Auskünfte mit Blick auf die PHW-Vergabekriterien und Anwendungszahlen erteilt werden.
Das Innenministerium teilt also weder die verwendeten Schlagwörter mit, noch die Zahl der Personen. Was an xy Personen sind als Prostituierte getagt, vertraulich sein soll, teilt das Ministerium nicht mit. Auch nicht, ob andere Behörden Zugriff darauf haben. Und ebenfalls nicht, wie streng die Vorschriften angewandt werden, wann die Daten gelöscht werden – hier ist viel interpretatorischer Spielraum drin und Sachbearbeiter können mit einer „Auslegung“ Daten speichern, die eigentlich nach den Zeitfristen gelöscht werden müssten.
Am Beispiel unseres Mannes ist auch fraglich, was die Polizei unter „Verbrechen“ oder „schwerem Verbrechen“ versteht: Klar, es lag eine gewalttätige Auseinandersetzung vor. Aber ist das ein schweres Verbrechen? Oder wenn man Teilnehmer einer Demo ist und linke Fahnen schwenkt? Auch dazu schweigt sich das Innenministerium aus.
Und selbst die Frage, ob denn schon mal überprüft worden sei, ob die PHW in der Praxis tatsächlich tauglich sind, beantwortet das Innenministerium nicht.
Netzpolitik.org hat mehr in Erfahrung bringen können – in Berlin gab es eine Abgeordnetenanfrage. Wir werden unsere Abgeordneten informieren und sind gespannt, ob sich jemand des Themas annimmt.