Rhein-Neckar, 26. Mai 2015. (red/pro) Am Samstag berichtete die Berliner „taz“: „Das Ende des Hypes. Die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ kämpfen ums Überleben – wie viele hyperlokale Blogs.“ Die Zeitung, berühmt für ihre Überlebenskunst, fragt weiter: „Hat der Onlinejournalismus der Nachbarschaft eine Zukunft?“ Natürlich hat er das. Schließlich hat Lokaljournalismus die weltweit exklusivsten Nachrichten überhaupt. Leider fehlen dem Bericht der taz entscheidende Einsichten in ein komplexes Thema. Tatsache ist: Journalismus kostet Geld und ist nicht umsonst zu haben. Die Prenzlauer Berg Nachrichten werden eingestellt und deren Ende sollte die Menschen aufrütteln. Warum, wieso, weshalb? Chefredakteur Hardy Prothmann versucht es in aller Kürze zu erklären – tatsächlich wird ein langer Artikel daraus.
Von Hardy Prothmann
Bevor ich einsteige, muss ich etwas klar machen: Es gibt weltweit kein Beispiel für eine freie Gesellschaft, in der es nicht auch ein weitestgehend freies, pluralistisches Mediensystem gibt. Kein Einziges. Wenn in einem Land die Pressefreiheit stirbt, sterben Demokratie und Freiheit unausweichlich.
Dieser Text ist eine Zumutung. Es gibt keine gefälligen Fotos, keine Zwischenüberschriften, keine Gimmicks. Sie lesen diesen Text oder Sie lassen es sein. Immerhin, es gibt ein paar Links.
In Deutschland stirbt die Pressefreiheit kontinuierlich auf Raten. Das glauben Sie nicht? Dann müssen Sie sich die Zeit nehmen, den gesamten Text lesen, die Anregungen mitnehmen, weitere Texte lesen und sich eine Meinung bilden. Sie können mich auch anschreiben und ich werde versuchen, Fragen zu beantworten. Das heißt, ich werde versuchen mir die Zeit zu nehmen – trotz 70-Stunden-Woche.
Aktuell stehen die Prenzlauer Berg Nachrichten vor dem Aus – das ist nach meiner Meinung sicher. Die Online-Zeitung im Berliner Kiez versucht bis zum 29. Mai insgesamt 750 Leser-Abos zu bekommen. Es bleiben noch 4 Tage und aktuell hat man 410 Zusagen. Das wird nicht klappen und da die PBN angekündigt haben, dass Schluss ist, wenn man das selbstgesteckte Ziel von 750 „Abonnenten“ nicht erreicht, ist nach fünf Jahren eben Schluss. Die PBN haben sich keinen Ausweg offen gehalten – vielleicht wollten sie das auch nicht, um mit „Anstand“ die Bühne zu verlassen.
Ich kenne den Geschäftsführer Philipp Schwörbel seit 2011. Wir sind Teil einer „Arbeitsgemeinschaft“ lokaler Blogs. Istlokal.de – Lokaler Journalismus vernetzt. Istlokal ist meine Idee. Der Grund dafür war das Heddesheimblog. Ein so genanntes „hyperlokales“ Nachrichtenangebot, das aus Zufall entstanden ist und das ich dann mit viel Mühe weiterentwickelt habe. Wie macht man sowas? Wie finanziert man das? Wie wehrt man sich gegen Klagen? Welche Technik braucht man?
Aus diesen und vielen anderen Fragen habe ich vier Säulen definiert: Journalismus-Marketing-Organisation/Recht-Technik. Weil ich recherchiert hatte, dass deutschlandweit alle neuen Angebote im Internet dieselben Probleme hatten. Meine Idee: Lasst uns Erfolge und Niederlagen teilen, um zu lernen. Lasst uns ein Netzwerk gründen. Lasst uns lernen – careing and sharing. Gemeinsam eine technische Plattform für Lokaljournalismus schaffen, die gut ausschaut und einfach zu bedienen ist, sowohl für die Redaktion als auch für die Leser/innen. Gemeinsam Erfolge und Misserfolge bei der Vermarktung teilen, um zu lernen. Gemeinsam bei Rechtsstreitigkeiten zusammenstehen und teure Prozesse vermeiden. Gemeinsam den Austausch über die Organisation der Redaktion und des Geschäfts entwickeln.
Meine Erfahrungen sind ernüchternd. Man könnte auch sagen frustrierend. Aber ich bin weit davon entfernt, mich selbst frustrieren zu lassen. Denn ich bin gerne Journalist und überzeugt, dass ohne funktionierenden Journalismus kein freiheitlich-demokratisches Leben möglich ist. Aber ich weiß auch, dass das Internet alles, was früher galt, verändert hat. Das Internet ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Und meine eigene Aussicht ist trotz der ernüchternden Erfahrungen insgesamt überaus positiv.
Grundsätzlich muss ich feststellen, dass deutsche Journalisten ganz überwiegend keine Unternehmer sind. Ich weiß, wovon ich rede, ich entwickle mich auch erst in diese Rolle. Die allermeisten suchen die Festanstellung oder wollen wenigstens Pauschalist sein. Sie propagieren gerne Freiheit, machen sich aber lohnabhängig. Das ist verständlich, denn am Ende des Monats muss man Rechnungen bezahlen.
Bis zum 29. April 2009 hatte ich 18 Jahre lang Themen angeboten, umgesetzt, verkauft. Mein Unternehmertum bestand aus Selbstvermarktung. Meine Bilanz war eine einfache Einnahme-Überschussrechnung, die ich mit Excel erledigt habe. Mitarbeiter hatte ich keine, ich habe auch niemals einen „Businessplan“ geschrieben, habe keine Anzeigen verkauft, keine „Sales-Pipeline“ entwickelt und kein Controlling gehabt. Ich habe mich an meinen „Bauchladen“ verkauft, also eine Reihe von „Stammredaktionen“ plus zusätzliche Auftraggeber. Das hat in den 90-er Jahren auch sehr gut funktioniert, dann kam die Dotcom-Blase, dann kam die Medienkrise. Weil ich auf Hintergrund, Reportage und Porträt spezialisiert war, war ich weniger betroffen als andere. Aber heute ist alles anders als früher.
Freier Journalismus war noch nie einfach, aber gute Stories haben gutes Geld gebracht. Heute wird überall gespart und selbst für gute Stories gibt es nur noch wenig Geld und ohne Geld für Reisen und Recherchen gibt es keine guten Stories.
Insbesondere die Zeitungsverlage haben jeden Fehler gemacht, den man machen kann. Sie sind für die Gratiskultur verantwortlich, sie haben ihre Milchkühe der Rubrikenmärkte beschädigt (Job, Immo, Auto), sie haben alles getan, um den Anzeigenmarkt im Internet zu beschädigen. Und dieser glorreichen Branche, die sich über Jahrzehnte dumm und dämlich im Wortsinn verdient hat, schaffte es, den Werbeumsatz in rund 12 Jahren von 4,6 Milliarden Euro auf 2,65 Milliarden Euro herunterzuwirtschaften.
Bravo. Wer in einer solchen Zeit versucht, ein Unternehmen für Lokaljournalismus aufzubauen, ist entweder bescheuert, leidenschaftlich oder hat im besten Fall einen Plan und das nötige Know-how. Und noch besser Geld für Investitionen. Ich hatte weder einen Plan, bin ausreichend bescheuert und leidenschaftlich und das Know-how, das lerne ich täglich seit sechs Jahren und seit Beginn des Jahres, weil mich ein Freund berät, der Kaufmann ist und zudem ein treuer Leser. Er versteht mich als Journalist und bringt mir bei, was ich wirtschaftlich können muss.
Wir stimmen uns meistens ab, aber diesen Text schreibe ich aus der Seele. Weil die keine Kennzahl beschreiben kann und man kann jeden Plan haben, ohne journalistische Seele sind neue mediale Angebote zum Scheitern verurteilt – darin unterscheiden sie sich überhaupt nicht von „alten“ Angeboten.
Ich wundere mich sehr, dass die Kollegin der taz das nicht verstanden hat. Die deutsche Zeitungslandschaft ist nach dem Krieg auf Basis von Lizenzen gegründet worden. Das waren Lizenzen zum Gelddrucken. Die allermeisten haben sie genutzt, einige nicht. Irgendwann gab es mal rund 700 „publizistische Einheiten“ (so nennt man eigenständige Verlage), dann wurde konsolidiert, heute sind es nur noch gut 300, Tendenz abnehmend. Die taz ist die letzte eigenständige Gründung einer Tageszeitung – das war im Jahr 1978, also vor 37 Jahren!
Vor gut zehn Jahren gab es die ersten elektronischen Nachrichtenangebote im Lokalen und Regionalen, vor fünf Jahren etwa so etwas wie einen „Boom“. Darum wurde viel Wind gemacht – wo? In den Medien und dort bei Medienjournalisten. Sie schrieben einen Hype herbei und liebten das Wort „hyperlokaler Journalismus“. So ein kleiner, süßer Journalismus, die elektronische Heimatzeitung für die eigene Straße, das eigene Viertel. Hach, wie romantisch.
Leider machen viele Journalisten ihre Hausaufgaben nicht. Um nur einen Redakteur auf Basis der Tarifverträge in der deutschen Zeitungslandschaft bezahlen zu können, braucht man mindestens 60.000 Euro im Jahr. Da ist der Anzeigenverkäufer noch nicht bezahlt, auch nicht das Sekretariat, der Fotograf, der Techniker, der Steuerberater und so weiter. Damit haben diese Medienjournalisten aber niemals gerechnet. Hier und da wurde was von „Selbstausbeutung“ geschrieben – das ist korrekt. Aber besser sich selbst ausbeuten, als von anderen ausgebeutet zu werden. Denn von den Hungerhonoraren der Lokalzeitungen kann kein vernünftiger Journalist leben.
Gleichzeitig ist der Markt brutal. Über Jahrzehnte haben sich „Netzwerke“ entwickelt – zwischen denen, denen die Zeitungen für teuer Geld Anzeigen verkauft haben und den Zeitungen, die dafür liebedienerische Berichterstattung geliefert haben. Das hat gut funktioniert – aber zum Schaden der Öffentlichkeit, denn ganz überwiegend informieren Zeitungen nicht, sie machen PR. Die Formel: Schalte Anzeige – erhalte wohlwollenden Bericht, ist keine Verschwörungstheorie, sondern gelebte Realität. Und selbst große Medien haben sich darauf eingelassen, wie auch jüngst kritische Veröffentlichungen gezeigt haben.
Auch die Prenzlauer Berg Nachrichten klagen darüber und wollen deswegen nur über die Leser finanziert sein. Doch die wollen nicht in ausreichendem Maß zahlen. Da bin ich wieder bei dem Punkt mit dem Rechnen. Gründer Philipp Schwörbel meint, mit „3.000 Euro monatlich geht es weiter“. Das tut es eben nicht. Damit bezahlt man vielleicht eine halbe Stelle und ein Büro irgendwo im Hinterhaus in Berlin, Telefon und Internetzugang, aber keine „lokale Tageszeitung im Internet“ für einen Kiez mit 150.000 Einwohnern. Selbst wenn 750 Abonnenten zusammen kämen, wäre das höchstens eine lebenserhaltende Maßnahme an der Herz-Lungen-Maschine, aber sicher keine Basis für lebendigen Journalismus. Und das ist, was mich ärgert.
Denn Philipp Schwörbel muss es besser wissen als ich. Er ist Kaufmann. Und er ist zudem Geschäftsführer von Krautreporter, die es vergangenes Jahr geschafft haben, rund eine Million Euro über Crowdfunding einzusammeln. Das wirkt erstmal wie eine gigantische Summe – tatsächlich ist das dasselbe Herz-Lungen-Maschinen-Prinzip. Denn davon sollen knapp 30 Autoren leben. Wenn die Million durch 30 teilt, hat man den „gleichen“ Jahresumsatz für jeden der Autoren und wenn man das durch 12 teilt, ist man bei 2.777 Euro brutto Monatsumsatz. Da ist der Geschäftsführer Schwörbel noch nicht bezahlt, nicht die Technik und so weiter. Der einzige Ausgabenposten, der fehlt, ist der Anzeigenverkäufer, denn Krautreporter ist werbefrei. Moment – muss man aber nicht trotzdem werben? Um zahlende Leser/innen? Wen das nicht ins Grübeln bringt, der denkt auch keine Sekunde darüber nach, dass es keinerlei erkennbare Aktivität bei Krautreporter gibt, die zahlende Leser bei der Stange hält und neue hinzugewinnen will. Vor allem steht Philipp Schwörbel nicht für leidenschaftlichen Journalismus – aber ist in der Kampagne omnipräsent.
Kein Leser zahlt etwas für einen Gründer und Geschäftsführer – die Menschen wollen, hoffentlich, Ideen und Inhalte. Aber die Prenzlauer Berg Nachrichten haben mich inhaltlich nicht überzeugt. Ebenso wenig wie die Krautreporter.
All das sind Betrachtungen, die die taz-Autorin nicht anstellt. Wie auch. Ich habe keine Ahnung, ob die Kollegin Fromm angestellt ist oder Freie. Sie wird so oder so schlecht bezahlt. Und damit sind wir wieder beim Problem: Guter Journalismus kostet Geld. Und ohne Leidenschaft und Seele gibt es keinen guten Journalismus. Also einen, der kritisch ist, der unbequeme Fragen stellt, der aufklärt, der sich was traut und es aushält, wenn der Wind plötzlich ganz eiskalt wird und Leute, die einem „wohlgesonnen“ waren, mit einem Mal als erbitterte Feinde gegenüberstehen, weil sie in den Fokus der Kritik geraten.
Da erlebt man Menschen, die sich als Lordsiegelbewahrer der Meinungs- und Pressefreiheit darstellten und hinter den Kulissen, alles, wirklich alles tun, „um diesem Schreiberling das Handwerk zu lesen“. Geifer ums Maul. Hass in den Augen. Und was sagt uns das? Journalismus ist ein sehr emotionales Geschäft. Und nur, wenn man das frei von Angst betreiben kann, kommt auch unabhängige Berichterstattung raus. Wer sich aber nie vor Ort beginnt, also quasi in Gefahr, wird auch nie eine Stimmung erfahren und beschreiben können – Journalismus vom Schreibtisch aus ist nur bedingt einer. Wichtig für Factchecking und viele andere Dinge, aber die Seele holt man vor Ort ab. Egal, ob lokal oder international.
Ich habe seit sechs Jahren keine Angst, aber Sorge. Immer wieder – ob ich den nächsten Monat überstehe. Nicht so sehr um mich, aber um meine Leute, die ich gut bezahlen will, wobei gut heißt: Besser als viele andere und zwangsläufig nicht so, wie ich das gerne möchte. Angst heißt auch, dass ich 18 Jahre lang ohne eine einzige juristische Auseinandersetzung meine Berichterstattung machen konnte und in den vergangenen sechs Jahren 24 Mal abgemahnt worden bin. Gesamtkosten rund 22.000 Euro. Ein Mal habe ich verloren, zwei Mal habe ich mich vergleichen müssen, den Rest habe ich gewonnen oder die „Gegner“ haben aufgegeben. Die Belastung ist enorm, denn sie ist existenziell und seit ich verlagsunabhängiger „Blogger“ bin, musste ich mich oft fragen, ob ich ein „Verbrecher“ bin – dabei wollte ich doch nur zur Meinungsbildung beitragen. Der Fall, in dem ich verloren habe, wird sich zu einem Desaster entwickeln. Dazu darf ich aber gerichtlich verfügt nichts mehr sagen. Ich füge mich dem Urteil, aber ich suche Auswege.
Warum ich mich über das Ende der Prenzlauer Berg Nachrichten auch ärgere – die journalistische Branche ist extrem verkommen. Viele klopfen einem auf die Schulter und denken nur: „Du Depp hast immer noch nicht kapiert, wie es läuft“, dann lächeln sie und wünschen viel Glück. Bin ich „der Depp“, weil es mir nicht um „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ geht, sondern um gesellschaftliche Aufklärung? Wer ist der Depp? Der Opportunist oder der, der hehre Prinzipien verteidigt? Ich kann Ihnen das noch nicht beantworten, weil ich noch nicht aufgegeben habe. Und ja, es gibt Angebote an jemanden wie mich, mit „diesen Talenten“. Und die sind sehr lukrativ.
Ich weigere mich bis heute, keine Ideale mehr zu haben, keine Seele und keine Haltung. Meine Erfahrung mit meinen Kunden ist: Das sind hochanständige Menschen, die genau wissen, warum sie bei uns werben. Sie erreichen damit Menschen, die unsere Angebote lesen und sich eine Meinung bilden. Und zwar differenziert. Sie stellen fest, dass wir „polarisieren“ und hohe Aufmerksamkeit finden. Sie stellen auch fest, dass wir die Agenda für Debatten auslösen. Das heißt, wir erfüllen unsere Aufgabe für einen kritischen Journalismus. Wir wollen nicht geliebt werden, sondern informieren – ob das gefällt oder nicht. Damit erreichen wir Aufmerksamkeit – die vermarkten wir und manchmal ist das willkommen und manchmal betrachtet man das kritisch.
Wie die Prenzlauer Berg Nachrichten wollen wir auch von den Leser/innen finanziert sein – die können uns freiwillig Geld geben. Scheinbar ohne einen „persönlichen Nutzen“ – dabei ist der enorm. Denn diese Leser wollen, dass wir berichten, informativ, zutreffend und auch mal unbequem. Dafür spenden sie zwischen 3 und 30 Euro im Monat. Aktuell reicht die Summe ungefähr für einen Monat und wir wünschen uns sehr, dass noch mehr Leser/innen uns finanziell unterstützen.
Eine ausschließliche Finanzierung über Leser/innen halten wir für vollkommen utopisch aktuell. Denn dafür muss man all das, was ich geschrieben habe wissen. Der Wert von zuverlässigem Journalismus ist extrem beschädigt und die Menschen müssen darauf hingewiesen werden und wissen, wofür es sich zu zahlen „lohnt“.
Im Fall der Prenzlauer Berg Nachrichten urteile ich hart – so kennt man mich und es ist nicht böse gemeint. Das Angebot ist optisch gut umgesetzt. Und ich erkenne sehr viel Arbeit, sehr viel Pflege – aber leider zu wenig Journalismus. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die PBN eine gewisse Relevanz erreicht hätten. Dass sie tatsächlich Agendasetting betrieben hätten. Sie waren immer nett, aber vollständig harmlos. „Hey, wir sind die einzigen, die sich ausschließlich um den Kiez kümmern“, ist zu wenig. Und dass ein Hans-Christian Ströbele erst für „Werbung“ verwendet wird, aber letztlich zurückzieht, hinterlässt kein gutes Licht – uns hat der Grüne immerhin mal verklagt.
Die taz hat Recht. Der von den Medien hochgeschriebene Hype zu „hyperlokalen“ Medien ist vorbei. Aber auch das ist bitter: Denn es gab immer nur einen hochgeschriebenen, aber niemals einen mit Relevanz. Es gab einen Haufen Selbstdarsteller, aber ohne Wirkung. Die, die Wirkung erzielt haben, sind noch am Markt. Das ist die Tegernseer Stimme, das ist die Leipziger Internetzeitung, das ist der Solinger Bote, das ist Regensburg digital und das ist mein Rheinneckarblog.
Daneben gibt es einige, die wie wir weiter kämpfen, ob in Köln, in Rostock und verschiedene Kunden von istlokal. Insgesamt ist das ziemlich ernüchternd, um überhaupt von einem „Hype“ zu sprechen und damit ist auch die Nachricht von dem „Ende“ hinfällig. Tatsache ist – den angeblichen „Hype“ hat es noch nicht gegeben.
Denn ein Blog aufzusetzen und zu behaupten: „Hey, wir sind online und wir rocken jetzt mal die Region“, klingt zwar markig, ist letztlich aber nur hohles Geschwätz, wenn man keinen Businessplan hat, wenn man nicht irgendwelche „Benchmarks“ aufstellt, wenn man nicht aufs Controlling achtet und das „Income“ bearbeitet und pflegt. Um das mal in Zahlen zu sagen: Wir bei istlokal haben anfängliche „Interessenten“ von rund 120 auf 60 „potenzielle“ Partner runtergestuft, übrig sind keine zwei Dutzend. Die „Säulen“ stehen trotzdem fest. Keiner, der diese nicht erkennt und bearbeitet, wird Erfolg haben.
Tatsache ist auch, dass die etablierten Netzwerke aus Politik und Wirtschaft extrem langsam im Lernen sind. Sie wundern sich, das „bekannte“ Abläufe nicht mehr funktionieren. Sie wundern sich über schlechte Wahlbeteiligungen, kümmern sich aber überhaupt nicht um „junge Medien“. Sie beklagen „schlechtes Image“, kümmern sich aber überhaupt nicht um Zielgruppen, die längst nicht mehr über „alte“ Medien erreichbar sind. Sie bedienen das, was sie gelernt haben.
Aufmerksame Leser/innen werden jetzt einwenden: „Aha, die neuen Angebote wollen an die Töpfe und sich als „Partner“ anbieten, das ist doch dasselbe.“ Ist es nicht – die neuen Angebote müssen finanziert werden, durch Leser-Abos, durch Werbung, durch Crowdfunding, durch Beteiligung, was auch immer. Aber neue Angebote bieten die Möglichkeit für einen Neustart.
Und wer Journalismus schätzt, der weiß, dass aufrechte Journalisten oft über lange Zeit dicke Bretter bohren, aber das er notwendig ist – für jeden von uns. Die Skandalisierung ist oft ätzend, insbesondere für die in der Mitte des Skandals, aber kennt jemand Beispiele, dass mal jemand freiwillig eine Pressekonferenz gemacht hat: „Ja, ich habe Schmiergeld genommen“ oder „Ja, wir haben hier mafiös zusammgearbeitet“ oder „Ja, hier geht es drunter und drüber“?
Journalismus ist eine gesellschaftliche Kraft, die neben den demokratischen drei Gewalten als „vierte“ Gewalt seit Jahrzehnten beweist, dass man sie braucht. Aber dieser Kraft geht ohne Finanzierung die Puste aus. Globale und nationale Beispiele sind NSA und NSU oder ISIS und der Ukraine-Krieg – hoho, das sind die „großen“ Themen, aber die „kleinen“, die lokalen Schmier-Affären sind genauso wichtig, aber teils viel schwieriger aufzudecken. Vor allem, weil man denen, die es betrifft, am nächsten Tag wieder begegnet. Und manchmal sind das auch die, die mal Werbung geschaltet haben. Und manchmal sind das auch die, die anderen, die Werbung schalten, sagen, dass es keine gute Idee ist, weiter Werbung zu schalten. Kapiert?
Wer uns Journalisten vorwirft, wir machten da zu wenig, hat Recht und ist ein Ignorant. „Wir Journalisten“, darunter gibt es viele mit Leidenschaft und Ausdauer, machen viel. Aber wir sind so viel weniger als die anderen und wir erhalten immer weniger Geld, während „die anderen“ unglaubliche Mittel haben.
Um Ihnen das ganz praktisch vor Augen zu führen. Die Stadt Mannheim hat über 7.000 Beschäftige, dazu kommen andere Institutionen, Vereine, Stiftungen und was es sonst so gibt. Die Stadt Mannheim hat acht Medienteam-Mitarbeiter, dazu Referenten für Öffentlichkeitsarbeit, Assistenten und so weiter. Dazu gibt es die Stadt Heidelberg, Ludwigshafen, Weinheim, Schwetzingen, Sinsheim, es gibt den Rhein-Neckar-Kreis, es gibt hier die 54 Gemeinden mit jeweiligem Bürgermeister, die Verwaltungen, die Gemeinderäte, die Parteien. Der Kreis Bergstraße, die Kreise in Rheinland-Pfalz nicht mitgerechnet, auch nicht die „Metropolregion“.
Um das jetzt nicht falsch zu verstehen: Wir arbeiten mit den allermeisten Organisationen gut zusammen – aber innerhalb dieser gibt es immer „Interessen“, die nicht daran interessiert sind, dass wir „so und so“ berichten. Und es gibt „Interessen“, die klar daran interessiert sind, unsere Berichterstattung und unseren Ruf zu beschädigen. Und darunter befinden sich auch Stadträte und andere „offizielle“ Vertreter, Parteimitglieder, Ideologen.
Zu unseren Aufgabenfeldern kommen die Landtags- und Bundestagsabgeordneten und die für Europa. Dazu kommen sonstige Vereinigungen und Verbände, ob der Bund der Selbständigen (BdS) oder die Industrie – oder Handelskammern. Dazu die Schulen und die Hochschulen. Dazu alle Ministerien der Länder in unserem Drei-Länder-Eck Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Europa. Und die USA, die wieder Panzer in Mannheim stationieren.
Und es gibt jede Menge „neue Angebote“, die überhaupt nichts mit Journalismus am Hut haben, dafür aber fleißig Pressemitteilungen verbreiten und so tun als ob sie eine „Redaktion“ wären. Und im Zweifel, das ist besonders bitter – mag man diese „Botschafter“ lieber als kritischen Journalismus. Und es gibt fette Kredite für „etablierte Medien“, aber keine Förderbasis für journalistische Start-ups. Keine. Es gibt keine Förderung von Pluralität im Meinungswesen, sondern nur zementierte Netzwerke. Das ist knallhart.
Wir bearbeiten häufig Vorlagen von mehreren hundert Seiten nur für eine einzige Gemeinderatssitzung. Ob in Ladenburg oder in Weinheim oder in Ilvesheim oder in Mannheim. Und „wir“ sind vier (!) sozialversicherte Mitarbeiter plus sechs „Freie“. Eigentlich ist das komplett „irrsinnig“. Vor allem, wenn dann irgendwo noch eine Gasleitung hochgeht oder Nazis gegen Asylbewerber demonstrieren oder wieder mal ein schlimmer Unfall auf der A5 passiert oder mal ein Großlager mitten in Ludwigshafen brennt oder sich „Milieu-Gruppen“ in Mannheim ein Schießerei bieten und wir einen Text veröffentlichen, der mehr als 100.000 Mal gelesen wird.
Und sobald wir einen vermeintlichen Fehler machen, werden wir verklagt – nicht ein einziges Mal hat jemand eine „Gegendarstellung“ verlangt, es geht immer gleich in die Vollen. Das Ziel ist klar: Tot klagen. Problem erledigt.
Die Politik, die Wirtschaft und die Nutzer von Nachrichten müssen sich entscheiden, ob sie willens sind, Menschen dafür zu bezahlen, aus täglich ansteigenden Wust von Informationen solide Nachrichten zu machen. Ob sie seriösen Angeboten ihre Aufmerksamkeit schenken oder sich mit „Bratwurstjournalismus“ zufrieden geben, der nur bestätigt, dass immer alle zufrieden sind, vor allem mit dem „leiblichen Wohl“.
Ich habe Ihnen nicht zuviel versprochen, als ich oben angemerkt habe, dass der Text lang ist. Er ist nicht aufgehübscht, um ihn „leicht verdaubar“ zu machen, sondern er ist dem Ernst der Lage gewidmet.
Der Journalismus ist in der Krise. Der internationale, der nationale, der lokale. Sie als Politiker, als Unternehmer, als Angestellter, als Beamter, als Familienvorstand, als Vereinsmitglied, als Verbandsmitglied, als Bürger/in entscheiden mit, ob sie engagierten Journalismus stützen und damit sich selbst helfen oder nicht.
Mein Klage über den desaströsen Zustand des Journalismus hier in Deutschland ist natürlich „relativ“ – in den meisten Ländern der Welt hätte ich mich das nicht getraut oder würde morgen erschossen werden, wenn ich „Ross und Reiter“ nenne.
„Nachbarschaftlicher Journalismus“ ist schon längst ein globaler (hier einer unser Top-Texte über IS-Terrorismus, der vor Ort bedrohlich wird). Das weltweite Dorf heißt, dass vieles, was weltweit ist, vor Ort wichtig wird – beispielsweise durch die zunehmenden Asylbewerber. Lokaljournalismus hat ganz neue Herausforderungen – und alle müssen sich denen stellen. Ob als „etabliertes Medium“ oder als „neues Medium“. Lokaljournalismus ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Eine, für die es Ressourcen und Wissen braucht, keine schlecht bezahlten Mitarbeiter oder Freizeitschreiber in Rente.
Wir informieren Sie und mit Herzblut, Leidenschaft und dem Willen zur Aufklärung. Wenn Sie werben wollen, dann fragen Sie uns an, wenn Sie uns im Förderkreis unterstützen wollen, dann tun Sie das. Sie tun etwas Gutes – für sich und für andere.
Ist kompliziert, aber auch so einfach.
Herzlichst