Mannheim, 26. März 2015. (red/ms) Schon 2007 wurden die Turley Barracken von den Amerikanern geräumt. Am Dienstag hat der Gemeinderat einen Bebauungsplan für das Areal als Satzung beschlossen. Sicher gibt es bei solchen Vorhaben eine Menge zu beachten. Aber: Musste das wirklich so lange dauern? Mal etwas Grundsätzliches.
Kommentar: Minh Schredle
Das Ziel der Konversion auf Turley sei eine „hochwertige, urbane Mischung aus besonderem Wohnen, innovativem Arbeiten und Forschen, Gemeinbedarf und Stadtkultur“, heißt es in der öffentlichen Vorlage. Das „denkmalgeschützte Ensemble“ will man „feinfühlig mit Neubauten ergänzen“.
Im Bebauungsplan gibt es dann Auflagen wie: In den Wohngebieten müssen die Dächer durchgängig zu mindestens 50 Prozent begrünt werden, dabei muss die Vegetations- und Dränschicht eine Gesamtstärke von mindestens acht Zentimetern aufweisen.
Wer Bäume Pflanzen will, muss beachten:
Der durchwurzelbare Raum muss mindestens zwölf Kubikmeter pro Baum umfassen.
Die Grenzen des Geltungsbereichs für den Bebauungsplan werden textlich festgesetzt – und zwar sehr penibel: Ausgehend von einem vorher beschriebenen Fixpunkt: „… im rechten Winkel abknickend in nordöstliche Richtung in einer Länge von 0,3 Metern“.
Die Turley Barracks wurden bereits 2007 geräumt. Den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan hat der Gemeinderat am 25. September 2012 getroffen. Warum hat es so lange gedauert, bis für knapp 13 Hektar Fläche endlich ein Plan als Satzung beschlossen werden konnte?
Es dauert eben, weil es jede Menge relevante Themen gibt, die sorgfältig durchdacht werden müssen, damit eine gute Planung aufgehen kann: Verkehr, Erschließung, soziale Infrastruktur, Gestaltung von Grünflächen, Bebauung und Stadtbild, Zulässigkeit welcher Gewerbe, Lärmbelastung und Umweltschutz, um nur einen Teil zu nennen.
Vieles wird bis ins Detail normiert: Wie hoch dürfen die Gebäude höchstens sein? Wie weit muss der Abstand von der Hauswand bis zu welcher Straße mindestens sein? Wie dürfen die Dächer aussehen? Welche Dachneigung dürfen sie haben?
Planung braucht einen klaren Rahmen
Viele Fragen und Festsetzungen wirken penibel und klingen zuerst einmal nach einer Menge überflüssiger Bürokratie. Aber sie sind notwendig, um abzusichern, dass sich eine Stadt ungefähr so entwickelt, wie der Gemeinderat es sich vorstellt.
Im deutschen Rechtssystem ist alles erlaubt, was nicht verboten, vorgeschrieben oder festgelegt ist. Auch wenn Befürchtungen nicht zwangsläufig eintreten müssen – sie sind immer denkbar, wenn es keine präzisen Festsetzungen gibt. Eine Verunstaltung des Stadtbildes muss hingenommen werden, wenn es keine Bestimmungen gibt, die sie verhindern können.
Und diese Festsetzungen müssen aus juristischer Sicht vollkommen wasserdicht sein – ansonsten kann der gesamte Bebauungsplan für rechtswidrig erklärt werden. Jede kleine Fehler kann die Stadt ein Vermögen kosten.
Ein gewaltiger Aufwand – für jedes Vorhaben
Alleine für umweltbezogene Aspekte wurden ein schalltechnisches Gutachten, ein Fachgutachten für den Verkehr, ein Bodengutachten und ein Regenwasserkonzept erstellt – und auch so etwas ist nicht einmal etwas Außergewöhnliches: Aufwändige Untersuchungen gehören bei komplexen Bebauungsplänen zum Standardverfahren.
Vor jedem Satzungsbeschluss erfolgt mindestens eine Offenlage: Die allgemeine Öffentlichkeit, Nachbargemeinden und Träger Öffentlicher Belange – das sind betroffene Behörden, wie etwa die Rettungsdienste oder das Landratsamt – dürfen Anregungen und Bedenken mitteilen. Und die Stadtverwaltung muss sich damit auseinander setzen. Und zwar mit jeder einzelnen Einbringung.
Die Verwaltung überprüft die Umsetzbarkeit von Vorschlägen und verfasst eine Stellungnahme, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Anregung gefolgt wird. Wenn der Bebaunngsplan in seinen Grundzügen verändert wird, ist eine erneute Offenlage notwendig – und erneut dürfen Stellungnahmen eingereicht werden.
Jedes Verfahren bringt einen enormen Aufwand mit sich – aber der zahlt sich aus: Wenn durch Aufmerksamkeit und Sorgfalt auch nur ein kleines Einsparpotenzial erkannt wird, kann dadurch langfristig sehr viel Geld eingespart werden.
Jahre lange Planung – fünf Minuten Entscheidung
Eine enorme Verantwortung hat die Stadtverwaltung, die für die Planung zuständig ist und dem Gemeinderat Beschlussvorschläge unterbreitet. Die Gemeinderäte müssen Vertrauen haben können: Denn das Baurecht ist ein sehr komplexes Thema und ein juristischer Laie kann sich unmöglich mit allen der unzähligen Paragraphen und rechtlichen Feinheiten auskennen.
Am Ende eines solchen Verfahrens steht der Satzungsbeschluss, der einen Bebauungsplan zum Ortsrecht werden lässt. Mehrjährige Planungsvorgänge, aufwändige Beratungen, kontroverse Diskussionen und ein immenser finanzieller Aufwand laufen schließlich hinaus auf: Nicht einmal fünf Minuten, die der Gemeinderat im Fall Turley gebraucht hat, um die Satzung einstimmig zu beschließen. Es gab nicht einmal Wortmeldungen.
Viele Gemeinderäte lesen die Verwaltungsvorlage gar nicht, verrät uns ein Insider. Die Fraktionen hätten in der Regel Experten, die sich auf verschiedene Komplexe spezialisieren – auf deren Einschätzung müsse man sich dann verlassen.
Entscheidungen über die Zukunft einer Stadt werden also auf einer Vertrauensbasis getroffen. Das ist sicher nicht immer ideal – aber nachvollziehbar. Denn der Arbeitsaufwand, der mit einem Ehrenamt als Gemeinderat einhergeht, ist enorm.
Ehre für das Amt
Die eigentliche Arbeit verursacht nicht der Satzungsbeschluss – sondern alles, was davor kommt: In der Zielsetzung, in der Überprüfbarkeit der Umsetzung, im Abwägen von Interessenkonflikten, in den Detailfragen der Ausgestaltung und jeder Menge komplexen Feinheiten, die es zu bedenken gilt.
Es darf also ruhig mal etwas länger dauern. Das ist sicher besser, als mit einem Schnellschuss Millionen in den Sand zu setzen oder eine Entwicklung zu initiieren, die womöglich nicht mehr umkehrbar ist und ein Stadtbild langfristig verunstaltet.
Die Gemeinderäte, die ihr Ehrenamt gewissenhaft ausführen, verdienen Dankbarkeit und Anerkennung für die Arbeit, die sie leisten. Wenn sie sie leisten, ist sie enorm.