Mannheim/Köln, 26. Februar 2015. (red) Parteistiftungen sind als Wohltäter bekannt – sie vergeben beispielsweise Stipendien. Allerdings fließt hier nur ein kleiner Teil der Gelder rein – wohin fließt der Großteil? Kaum ein Medium recherchiert dazu. Deswegen ist das ein Top Thema für die INA – Initiative Nachrichtenaufklärung. Eine Jury wählt unter eingesendeten Vorschlägen die am meisten vernachlässigten Themen aus. Ziel ist, dass journalistische Redaktionen diese dann endlich aufgreifen.
Von Hardy Prothmann
Jahr für Jahr versickern Millionen an Steuergeldern in den Kanälen von Parteistiftungen. CDU, SPD, Grüne & Co. betreiben regelrechte „Selbstbedienung“, warnen Beobachter. Doch in den Medien liest, hört und sieht man fast nichts darüber. Gibt es einen systematischen Defekt in der Berichterstattung?,
schreibt Petra Sorge auf Cicero.de. Die Kollegin und ich haben mit rund 20 anderen Journalist/innen, Medienwissenschaftlern, Juristen und Studenten vergangene Woche aus einer Fülle von Zusendungen die zehn Themen ausgewählt, die in Medien am meisten vernachlässigt werden.
Kompetente Debatten
Mir hat sehr viel Freude gemacht, in einer kompetenten Runde mitdiskutieren zu können, welche Themen überhaupt als Thema taugen und ob diese nun vernachlässigt sind oder nicht. Darunter war auch TTIP – ganz klar ein wichtiges Thema, aber vernachlässigt? Eher nicht.
Brisante Themen
Die Sache mit den Stiftungen dagegen ist ein brisantes Thema – denn man legt sich mit Parteien an, also irgendwie mit dem System. Frau Sorge schreibt:
Dafür beziehen die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, die FPD-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung sowie die Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Linke), Steuermittel. Weniger bekannt ist dagegen, dass die Parteistiftungen nur einen Bruchteil ihrer Gelder in die Studienförderung stecken. Bei der CDU-nahen KAS waren es 15 Prozent der 131,3 Millionen Euro, die Bund, Land und Kommunen im Jahr 2012 bereitstellten. Bei der SPD-nahen FES flossen nur knapp 14 Prozent (von 147 Millionen Euro) in Stipendien. Wo bleibt das Geld? Aber wo ist der Rest geblieben? Wofür wird das Geld ausgegeben, das die Stiftungen in die Entwicklungshilfe investieren?
So fängt guter Journalismus an. Mit grundlegender Recherche, Fragen und Thesen. Genau das will die INA erreichen: Hinweise auf wichtige Themen geben, die dann hoffentlich durch Redaktionen bearbeitet werden.
Die Medien haben eine Wächterfunktion – wenn sie die denn wahrnehmen. Sie können durch ihre Recherche und Veröffentlichungen die anderen „Gewalten“ kontrollieren. Auch hier hat die Kollegin schon gut vorab recherchiert:
Parteien und die Geld gebenden Bundesministerien werden wohl kaum kritisch nachfragen. Erschwerend kommt hinzu, dass Parteistiftungen als Vereine eingetragen sind. Damit unterliegen sie nicht der staatlichen Auskunftspflicht. Die Ausnahme ist die Naumann-Stiftung, die als Stiftung privaten Rechts immerhin den Landesgesetzen unterworfen ist. Dennoch rügte der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein 2010 die Vergabepraxis der FDP-nahen Stiftung. Der Jenaer Stiftungsforscher Olaf Werner sprach gegenüber der INA von einer „Selbstbedienung der Parteien über Umwege“. Über die zahlreichen Auslandsbüros der Parteistiftungen versickern Steuergelder teils unkontrolliert. Mitunter können Förderprogramme sogar Schaden anrichten. Der israelische Wissenschaftler und NGO-Beobachter Gerald Steinberg wirft der Konrad-Adenauer- und der Heinrich-Böll-Stiftung vor, eine israelfeindliche Organisation unterstützt zu haben. Er nennt die Förderpraxis im konkreten Fall „modernen Antisemitismus“.
Wächterfunktion vs. Lügenpresse
CDU und Grüne fördern also Antisemitismus? Wer glaubt, dass die Parteien von sich aus darüber informieren würden, glaubt noch an den Weihnachtsmann. Dafür braucht es kritische Medien, die oft mit Mühe, aber Entschlossenheit Missstände aufzudecken versuchen. Und auch entscheiden, wer Experte ist und wer nicht. Nochmal Petra Sorge:
In deutschen Zeitungen oder Nachrichtensendungen werden Vertreter von Parteistiftungen lieber als Experten vor Ort zitiert. Selten ist die Förderpraxis selbst Gegenstand der Betrachtung.
Auch „Lügenpresse“ war Thema bei der Jury-Sitzung in Köln. Lügen Medien wirklich? Mit Vorsatz? Ja, es gibt Medien, die bewusst lügen – vor allem im Boulevard. Es gibt aber auch viele Medien, die einfach Lügen verbreiten, weil sie nicht kritisch prüfen. Und oft fehlt es an Personal und Geld, um mitunter langwierige Recherchen durchzuführen – die Medienkrise erzeugt auch eine Krise der Ressourcen. Und manche Themen sind ohne entsprechende Hinweise von „Whistleblowern“ überhaupt nicht zu erkennen.
Achtung: Schleichwerbung
Platz 1 der vernachlässigten Themen ist eine Form von Schleichwerbung. Überall im Internet findet man Links zu Angeboten. Doch diese sind nicht „redaktionell“ ausgewählt, sondern bezahlt, um Kunden zu den Angeboten zu führen. Werbung aber muss eigentlich gekennzeichnet werden. Medien, die ihren Nutzern so etwas unterjubeln, lügen auch.
Top 3 wäre für mich das Thema „Patientendaten“ gewesen – doch die Jury hat es auf Platz 4 gewählt. Alle Teilnehmer konnten 1-10 Punkte vergeben, die Zahlen wurden addiert und heraus kam die Rangliste. 210 Punkte wären höchstens möglich gewesen, die ersten drei Themen übersprangen alle locker die 100-Punkte-Marke.
Die Top Ten der „blinden Flecken“
Top 1: Verkaufte Links: Wie Medien ihre Glaubwürdigkeit untergraben
Top 2: Undurchsichtige Finanzen bei politischen Stiftungen
Top 3: Prekäre Verhältnisse in Ausbildungsberufen
Top 4: Fragwürdiger Umgang mit Patientendaten
Top 5: Weißes Papier, schmutziges Geschäft
Top 6: Überwachung in Skigebieten
Top 7: Arbeitsbedingungen von Strafvollzugsbeamten
Top 8: Facebook erforscht Künstliche Intelligenz
Top 9: Millionen-Grab Polizei-Software
Top 10: Moderne Rasterfahndung per Handy
Wer die INA-Jury auf ein vernachlässigtes Thema hinweisen möchte, kann das auf der Webseite des Vereins tun.